Biden, Trump oder …?: Die Wahl der Rache

Nr. 3 –

In den USA hat der Vorwahlkampf zur Kür der Präsidentschaftskandidat:innen begonnen. Der frühere Präsident Donald Trump will zurück ins Weisse Haus – und inszeniert sich als Rächer der Nation.

Im vergangenen Dezember wollte die britische «Daily Mail» in einer Umfrage wissen, was US-amerikanische Wähler:innen von Joe Biden und Donald Trump im Fall eines Sieges bei der Präsidentschaftswahl im November erwarten. Die Ergebnisse präsentierte die Zeitung in zwei Grafiken, die jeweils die meistgenannten Begriffe hervorhoben. Bei Biden stand das Wort «nichts» im Mittelpunkt, was das Level seiner Beliebtheit recht gut einfängt. Bei Trump waren es «Macht», «Diktatur» – und ganz fett: «Rache».

Während die meisten Politiker:innen ein solches Resultat verschweigen würden, präsentierte es der Expräsident mit Stolz. Trump postete die Schlagworte auf seiner eigenen Plattform Truth Social und bekam dafür Tausende Herzchen. Die Rolle als Rächer, das wurde deutlich, gefällt ihm gut.

Trump, ein Rächer? Dieses Bild mag zunächst verzerrend wirken, weil die Objekte seiner Rache vornehmlich Hirngespinste sind. Ob nun die Verschwörungsbehauptung von der «gestohlenen Wahl» 2020 oder die «Hexenjagd», die er in den diversen Gerichtsverfahren gegen sich sehen will: Trump kämpft mit Lügen gegen Phantasmen, er ist ein Meister der heissen Luft. Diese heisse Luft allerdings benutzt er als Antrieb, agitiert damit seine Basis – und das, wie Umfragen zeigen, weiterhin effektiv. Trump zeigt also, dass Rache keine wahrheitsgetreuen Bezüge braucht. Hinzu kommt, dass manche seiner Rachenarrative durchaus auch materielle Realitäten einschliessen. Der Slogan «Make America Great Again» (Maga) etwa funktionierte, weil er den realen neoliberalen Verwüstungen, den realen kulturellen Fortschritten und dem realen demografischen Wandel eine rassistische und populistische Kampfansage machte: Wir holen uns unser Land zurück.

Seit seiner Wahlniederlage 2020 hat Trump im faschistoiden Modus noch mal einen Gang zugelegt. «Ich bin euer Krieger, eure Gerechtigkeit, und für alle, die getäuscht und betrogen wurden: Ich bin eure Vergeltung», sagte er bei der rechten Jahreskonferenz CPAC (Conservative Political Action Conference) im März 2023. Der Ton des Wahlkampfs war damit gesetzt. Will die demokratische Gegenseite eine Niederlage im November verhindern, bleibt ihr demnach gar nichts anderes übrig, als sich mit der Rache auseinanderzusetzen – vor allem mit deren Ambivalenz.

Zahn um Zahn – Rache gibt Struktur

Rache darf nicht sein. Sie widerspricht dem Ideal der Aufklärung. Seit der Etablierung von Rechtsstaaten mit Gewaltmonopol wird die Rache archaischen Gesellschaften zugeschrieben und mit ungezügelter Emotionalität und Aggressivität assoziiert. Auge um Auge, Zahn um Zahn. Wir aber, die vernünftigen Menschen, üben keine Vergeltung, wir halten uns ans Recht. So zumindest lautet die Standarderzählung des liberalen Westens.

Genau mit dieser Erzählung beschäftigt sich der Philosoph Fabian Bernhardt in seinem Buch «Rache», das 2021 erschienen ist. Wer heute noch Rache übe, so Bernhard, werde zum Fremden erklärt. Diktatoren wie Wladimir Putin, Mafiosi, primitive Rockerclans, islamistische Fanatiker:innen – es sind angeblich nur die anderen, die Rache wollen. Schon durch den Untertitel seines Buchs, «Über einen blinden Fleck der Moderne», vermittelt Bernhardt, dass uns Rachegedanken oft näher sind, als zugegeben wird. Der Affekt der Rache habe zwar keinen legitimen Platz mehr, sei aber immer noch allgegenwärtig, wenn auch unter anderen Vorzeichen.

Bernhardt, der an der Freien Universität in Berlin im Bereich Affective Societies forscht, beschreibt die gewandelte Sicht auf die Rache anhand von Beispielen aus Mythologie und Popkultur. Während der griechische Held Achilles etwa noch unverborgen Rache nehmen durfte, ist es bei der Comicfigur Batman anders. Nachdem Strassenräuber seine Eltern ermordet haben, sucht Bruce Wayne Vergeltung und legt sich deshalb das Cape des Fledermausmanns um. Obwohl es ihm anfangs um die Mörder seiner Eltern geht, kämpft Batman – mit Maske, Anzug und bei Nacht, also verborgen – letztlich gegen das Verbrechen an sich. Doch ist es überhaupt noch Rache, fragt Bernhardt, wenn sie indirekt ausgeübt wird und Unrecht Erleidende und dieses Ahndende nicht dieselbe Identität haben? Batmans verschleierte Revanche sei exemplarisch für unsere Zeit, so Bernhardt. Rohe Rache darf es bei modernen Held:innen nicht geben.

Das Problem ist nur: Jede:r kennt Rachedurst. Wenn wir verletzt werden, psychisch oder physisch. Wenn uns jemand betrügt oder beklaut. Kaum ein Mensch wird behaupten können, noch nie einen Drang zur Rache verspürt zu haben. Ob Rache in uns steckt, also etwas «Natürliches» ist, oder nur durch äussere Umstände entsteht, lässt sich schwer festlegen. Sehr wahrscheinlich ist es eine Mischung. Ebenso wenig geht die Gegenüberstellung von Rationalität und Emotionalität auf. Rache kann pragmatisch begründet und pedantisch geplant sein, kann auch emanzipatorischen Bestrebungen entspringen, wie sich etwa in der Geschichte der Sklav:innenbefreiung zeigt. Mit «jüdischer Rache» beschäftigte sich 2022 eine von Max Czollek kuratierte Ausstellung in Frankfurt. «Selbst wenn die Rache nicht mit der Gewalt bricht, ihre Bahnen nicht blockiert, auf Gewalt mit Gegengewalt antwortet, kann sie nicht zumindest zeitweilig ein Bruch mit dem Schweigen sein?», fragt die Autorin Şeyda Kurt in ihrem Buch «Hass. Von der Macht eines widerständigen Gefühls».

An dieser Stelle aber geht es um rechte Rache. Und bei rechter Rache liegt nahe, dass sie insbesondere in jenen Gesellschaften gedeiht, die massenweise Prekarität hervorbringen und Hierarchien produzieren – dort also, wo es Sündenböcke braucht. Die Autorin Astra Taylor spricht mit Blick auf die ökonomischen Strukturen der USA von «fabrizierter Unsicherheit». Eine fabrizierte Sicherheit wiederum erzeugt Trump. In seiner Logik der Rache stehen die Volksfeind:innen fest, ist der Umsturz unvermeidbar, ist die Rettung personalisiert. Rache gibt Struktur.

Gier nach Revanche

Trumps Popularität gründete von Anfang an darauf, dass er die ideologischen Ressentiments vieler Menschen instrumentalisierte: Hass gegen Immigrant:innen, Muslim:innen, Queers und trans Menschen, Frauen, Linke; gegen alle, die nicht bei Maga mitgemeint sind. Das Motiv der Rache kam und kommt dabei gleich doppelt vor. Zum einen, weil Trump seiner Basis die Rechtfertigung liefert, dass rechtsnationale Aggressionen eine Antwort auf die Bedrohungen von aussen seien, eine verlängerte Selbstverteidigung quasi. Empfänglich sind dafür keineswegs nur Abgehängte, wie Wahlstatistiken zeigen, sondern auch die Mittel- und Oberschicht. Zum anderen scheint Trump auch persönlich von Rachelust getrieben, wie seine lange Karriere des grotesken Revanchismus zeigt.

Es liegt knapp 35 Jahre zurück, dass Trump erstmals als explizit politischer Akteur in Erscheinung trat. Anlass war der Fall der «Central Park Five»: fünf Schwarze und hispanische Jugendliche, denen vorgeworfen wurde, im April 1989 eine weisse Joggerin im Central Park in Manhattan vergewaltigt und schwer verletzt zu haben. Trump schaltete daraufhin in vier Tageszeitungen ganzseitige Anzeigen, in denen er die Wiedereinführung der Todesstrafe im Bundesstaat New York forderte. «Ich möchte diese Räuber und Mörder hassen dürfen. Sie sollten gezwungen werden zu leiden – und wenn sie töten, dann müssen sie wegen ihrer Verbrechen hingerichtet werden», hiess es darin. Wie sich später herausstellte, hatten die fünf Teenager mit dem Verbrechen nichts zu tun und sassen viele Jahre unschuldig im Gefängnis. Trump hat sich für seine rassistische Kampagne selbstredend nie entschuldigt.

Rache soll auch eine Rolle gespielt haben, als Trump selbst als Politiker die Bühne betrat. Bis heute hält sich das Gerücht, dass er vor allem deshalb Präsident werden wollte, um sich an Barack Obama zu rächen. Konkret ging es dabei um das White House Correspondents’ Dinner im Jahr 2011, bei dem sich der damalige Präsident Obama über Trumps Verschwörungsmythen und Reality-TV-Laufbahn lustig machte – und zwar in dessen Anwesenheit. Nur ein paar Tage vor der Veranstaltung hatte Obama veranlasst, dass der US-Bundesstaat Hawaii seine Geburtsurkunde veröffentlicht, um damit der rechten «Birtherism»-Kampagne entgegenzutreten, wonach er gar nicht in den USA geboren sei. Einer der prominentesten Treiber dieser Verschwörung wiederum war Trump, worauf Obama mit seinem Spott Bezug nahm. Niemand ahnte damals, dass Trump ein paar Jahre später selbst im Weissen Haus landen würde.

Dass Trump 2016 Präsident werden konnte, hat Gründe. Ein zentraler: Er versprach – frei nach dem Ku-Klux-Klan-Propagandafilm «The Birth of a Nation» von 1915 – eine Art Wiedergeburt der Nation, zurück nach vorne zu einem prosperierenden, patriotischen, sicheren, weissen, christlichen Amerika, das es so natürlich nie gegeben hatte; aber der Mythos verkaufte sich trotzdem. Nach acht Jahren Obama, der den neoliberalen Pluralismus wie kein anderer verkörperte, köderte Trump die Leute mit Heimzahlung. Auf den ersten Schwarzen Präsidenten folgte so der «First White President», wie Autor Ta-Nehisi Coates über den rassistischen Backlash schrieb. Auch in dieser Hinsicht war es so verhängnisvoll, dass Trumps Konkurrentin Hillary Clinton die Fans von Trump im Wahlkampf als «Korb voller Erbärmlicher» beschimpfte. In der Trump-Logik war das ein weiterer Grund zur Rache.

Rassistische Besitzansprüche

Trump ist kein Einzelphänomen. An vielen Orten der Welt verpacken rechtsnationale Parteien, Bewegungen und Politiker:innen ihre Programme in Narrative der Vergeltung. Oft verschmelzen dabei, wie bei Trump, persönliche und ideologische Motive. «Wir werden Frau Merkel oder wen auch immer jagen. Und wir werden uns unser Land und unser Volk zurückholen», sagte AfD-Chef Alexander Gauland 2017 nach dem Einzug seiner Partei in den Bundestag. Seine alte Partei, Merkels CDU, hatte er einige Jahre zuvor verlassen, weil sie ihm angeblich «zu links» geworden war. Mindestens so entscheidend wird gewesen sein, dass Gauland dort keine Rolle mehr spielen durfte.

Rechte Führungsfiguren wie Geert Wilders und Giorgia Meloni sprechen von Revanche und mobilisieren dabei etwas, das die Philosophin Eva von Redecker «Phantombesitz» nennt. Gemeint sind rassistische und chauvinistische Besitzansprüche, die trotz ihrer formalen Abschaffung weiterleben und sich oft in zerstörerischer Wut entladen. Männer rächen sich dafür, dass sich Frauen ihrer Kontrolle entziehen; Weisse für den Verlust rechtlicher Übermacht gegenüber People of Color; Autokraten für den Niedergang von Imperien. Putin etwa hat das Ende der Sowjetunion einmal als «grösste geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts» bezeichnet. Man weiss, dass diese Kränkung auch den Angriffskrieg gegen die Ukraine mit motiviert hat. Blutrache mag also nicht zum Selbstbild der Moderne passen. Blut-und-Boden-Ideologien wuchern aber überall.

«Sie vergiften das Blut unseres Landes», hat Trump in den vergangenen Monaten mehrfach über Immigrant:innen gesagt. Kombiniert man solche Sätze mit den Plänen, die sein Team und rechte Organisationen wie The Heritage Foundation unter dem Stichwort «Project 2025» schmieden, zeigt sich das Ausmass seiner faschistoiden Politik. Es geht um die Strafverfolgung politischer Gegner:innen, den Rauswurf «illoyaler» Staatsbediensteter und die Begnadigung derer, die für den gewaltsamen Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021 im Gefängnis gelandet sind. Das Justizministerium soll so umgebaut werden, dass Trump kaum noch anfechtbar ist. Zehntausende Beamt:innen sollen ersetzt werden. Gesetzesänderungen sind geplant, sodass progressive Demonstrationen noch brutaler unterdrückt werden können. Trump plant die «grösste Abschiebeoperation in der amerikanischen Geschichte», seine Sprache wird immer extremer: «Wir versprechen Ihnen, dass wir die Kommunisten, Marxisten, Faschisten und die linksradikalen Schläger ausrotten werden, die wie Ungeziefer in den Grenzen unseres Landes leben.»

Als Trump bei einer Fox-News-Fragestunde im Dezember gefragt wurde, ob er jemals seine Macht missbrauchen werde, um sich an der Opposition zu rächen, antwortete er: «Nur am ersten Tag.» Liberale Medien warnten anschliessend, dass Trump «Diktator für einen Tag» werden wolle. Unter ging dabei, und das war mindestens so bemerkenswert, welche Prioritäten er direkt nach dieser Aussage nannte. Neben der Abriegelung der Grenze zu Mexiko sei der Fokus, nach Öl zu «bohren, bohren, bohren». Einerseits kann man darin schlicht die Weitertreibung eines fossilen Kapitalismus sehen, wie ihn auch viele Regierungen der politischen Mitte verfolgen. Andererseits aber hatte die Genüsslichkeit, mit der Trump die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen ankündigte, auch etwas von Rache. Rache an einer Natur, die sich nicht mehr so locker kontrollieren lässt. Rache als absolute Perversion von Freiheit.

Keine Vergebung, sondern Handlung

Was bedeutet das nun alles für die Demokrat:innen und das progressive Lager? Wie geht man damit um, dass Trump in einem wahnhaften Rachefeldzug Richtung Weisses Haus stürmt, unterstützt von einer Millionenbewegung, die sich im Recht des regressiven Rückschlags sieht? Als Gegenprinzip zur Vergeltung käme die Vergebung infrage. Liebt eure Feinde, heisst es im Neuen Testament. Ein grosszügiger Fortschritt nach «Auge um Auge». Vergebung allerdings hat sich im Umgang mit rechtsradikaler Politik noch nie bewährt. Wer es mit dem Antifaschismus ernst meint, sollte das «anti» mit Überzeugungen und Aktionen füllen. Die Antwort auf Rache muss demnach ideologiekritischer, robuster, offensiver und transformativer sein.

Ein Anfang wäre es, sich mit dem Nährboden rechter Rache ehrlich auseinanderzusetzen und an einer Gesellschaft zu arbeiten, die keine Unsicherheiten fabriziert oder zumindest viel weniger davon. In einer Gesellschaft, in der niemand hungert, friert oder sich kaputt arbeitet, in der Ressourcen gerecht verteilt und soziale Infrastrukturen üppig ausgestattet sind, in der Demokratie wirklich fühlbar ist, in einer solchen sorgenden Gesellschaft würde Rache von oben weniger fruchten. Diese Vision kommt von den Demokrat:innen aber kaum. Das Problem, um noch einmal zur anfänglich genannten Umfrage zurückzukommen, ist nicht nur, dass so viele Amerikaner:innen hinter Trumps Racheplänen stehen, sondern auch, dass so viele von Biden nichts erwarten.