Bundesratswahl: Szenen des Stillstands

Nr. 50 –

Beat Jans ist neuer SP-Bundesrat, doch der Regierung fehlt weiterhin die Legitimation. Zu allem Übel wurden die Sozialdemokrat:innen von den Rechten vorgeführt – und von Daniel Jositsch.

der frisch gewählte SP-Bundesrat Beat Jans mit Alain Berset am Mittwoch im Bundeshaus
Der alte grinst – und der neue noch: Der frisch gewählte SP-Bundesrat Beat Jans mit Vorgänger Alain Berset am Mittwoch im Bundeshaus. Foto: Peter Klaunzer, Keystone

Dichter Winterregen über dem Bundeshaus, der Platz davor ist menschenleer. Nur ein paar Gerätschaften stehen bereit für ein Fest, das vielleicht irgendwann einmal kommt. Eine traurige Szenerie für den angeblichen Hochtag des Schweizer Parlamentarismus. Aber warum sollten die Leute auch kommen, wenn sowieso alles beim Alten bleibt? Um den Stillstand zu beklatschen?

Im Team des Basler Regierungspräsidenten Beat Jans, der kurz nach Mittag für die SP zum Bundesrat gewählt werden wird, hat man alles versucht, um eine Kulisse für den Wahlsieg bereitzustellen. Im Basler Lokalradio wurde zur Reise nach Bern aufgerufen, Fasnachtscliquen wurden angefragt, damit überhaupt irgendwer merkt, dass Basel-Stadt nach einem halben Jahrhundert Absenz wieder ein Mitglied der Landesregierung stellt. Als Jans nach der Wahl auf den Bundesplatz tritt, steht immerhin eine Clique mit Piccolos und Trommeln für den musikalischen Empfang bereit.

Plötzliche Nervosität

Was draussen passiert und was unter der Bundeshauskuppel verhandelt wird, passte längst nicht immer gut zusammen. Entkoppelt von der Realität wirkt nach den nationalen Wahlen Ende Oktober auch die Sitzverteilung im Bundesrat. Klar ist, dass SVP und FDP mit ihren insgesamt vier Sitzen übervertreten sind – schliesslich sind die Freisinnigen bloss noch die viertgrösste Kraft. Gemäss «Zauberformel» hätte die Mitte-Partei Anspruch auf einen zweiten Sitz. Auch die Grünen können rechnerisch einen Sitz eher für sich reklamieren als die FDP einen zweiten. Und doch wollen offenbar fast alle am Bestehenden festhalten, zumindest scheint es im Vorfeld so.

Immerhin ist das helvetische Vokabular des Stillstands wohlklingend: In ihren Erklärungen zu Beginn der Wahl sprechen die Fraktionschef:innen jeweils von «Konkordanz», «Stabilität», «Respekt vor den Institutionen». Die Mitte-Partei will nicht angreifen, obwohl laut Ständerat Philipp Bregy «vier Sitze für rechts nicht gerechtfertigt» seien, und die SVP will sich ans SP-Ticket halten, trotz «Kandidaten am äussersten linken Rand der Partei» (Zitat Thomas Aeschi). Zumindest beteuern sie das in ihren Ansprachen.

Einzig die Grünen begeben sich in die Offensive – und attackieren wie angekündigt den Sitz von FDP-Bundesrat Ignazio Cassis. «Veränderung ist nie einfach, aber immer möglich», erklärt Fraktionschefin Aline Trede vor dem Plenum. «Sie können der Zusammensetzung im Bundesrat wieder Zauber verleihen.» Am Ende bleibt ihr Kandidat Gerhard Andrey chancenlos, im Duell mit Cassis erhält er lediglich 59 Stimmen, später gegen Karin Keller-Sutter sogar nur noch 15.

Ein erster Dämpfer aus linker Sicht. Doch es kommt dann schlimmer: Als der Wahlmorgen beim frei werdenden Sitz von Alain Berset angelangt ist, geben Dutzende Parlamentarier:innen ihre Stimme dem SP-Sprengkandidaten Daniel Jositsch. Zufriedene Gesichter in der rechten Ratshälfte, grosse Nervosität bei der SP.

Diese hatte zuvor sämtlichen rechten Bundesrät:innen Spitzenresultate mit ermöglicht, wohl aus Angst vor unangenehmen Überraschungen – weil die Sozialdemokrat:innen wussten, dass Jositsch für Chaos sorgen kann. Der Zürcher Ständerat sitzt selbstzufrieden an der Rückwand des Nationalratssaals. Oft ist er an diesem Tag auch draussen in der Wandelhalle unterwegs, «am Schaffen», wie es aus der Partei heisst, beim Sondieren in eigener Sache. Die Tage hatte er laut «Blick» noch mit SVP-Einflüsterer Toni Brunner telefoniert – ein würdeloser Egotrip.

Dass er überhaupt in die Position des aussichtsreichen Rebellen gelangen konnte, liegt nicht nur an ihm selbst. Das Spektakel Jositsch ist vor allem auch ein Phänomen der Medien, die die Bundesratswahl einmal mehr zum Ereignis von globaler Bedeutung hochstilisiert haben – und Jositsch in diesem Schauspiel eine prominente Rolle zugestanden. Seite um Seite füllten die Redaktionen landauf, landab mit dem Thema, Geheimplan um Geheimplan offenbarten sie, fast im Stundentakt neue Namen im bundesrätlichen Spiel, während andere Kandidat:innen in der Versenkung verschwanden. Bis man sich selbst nicht mehr ganz sicher war, ob Kuno Lauener auf allen Kanälen läuft, weil Züri West ein neues Album herausgebracht haben – oder ob der Berner nicht allenfalls auch noch für den Bundesrat kandidiert.

Tinguely-Maschine stockt

Drinnen im Nationalratssaal sind am frühen Morgen alle Augen auf den abtretenden Bundespräsidenten gerichtet. Alain Berset wirkt gelöst, als er ans Redner:innenpult tritt. Er spricht von komplexen Entscheiden, von Verantwortung, Stabilität und Krisen. «Sie sind ein Pilot – im wörtlichen wie übertragenen Sinn», hatte Nationalratspräsident Eric Nussbaumer soeben in seiner Würdigung gesagt – und mit dem Spruch das erste laute Gelächter des noch frühen Tages ausgelöst.

Grosse Worte, das kann Berset: «Die Welt des 21. Jahrhunderts ist sehr stark in Bewegung, sehr bedrohlich, auch für uns. Die Zeit, in der sich die Schweiz in ihrer Nische einrichten konnte, ist vorbei», betont er gegen Ende seiner Abschiedsrede. Fast scheint es in diesem Moment, als würde etwas mental in Bewegung kommen – nicht umsonst vergleicht der Fribourger die Schweiz mit einer Tinguely-Maschine. Und dann bewegt sich doch wieder nichts. Stabilität und Konkordanz.

Ende Juni hatte Alain Berset nach zwölf Jahren in der Regierung seinen Rücktritt verkündet. Für seine Partei kam das zum richtigen Zeitpunkt. Politiker:innen, die Berset beerben wollen, verschaffen der SP und ihren Inhalten viel Präsenz vor den nationalen Wahlen. Zumindest eine Weile lang. Als Jon Pult am 2. Oktober seine Kandidatur bekannt gibt, geht es schon bald vor allem um eine Sache: dass er mal bei den Jusos war. Ein Politiker, der mal der Jungpartei angehört hat – das soll ein Skandal sein? Es ist der intellektuelle Tiefpunkt der Wahlkampagne. Aber dieser und weitere bizarre Vorwürfe haben Jon Pults Kampagne zerrieben.

Im Bundeshaus steht jetzt der siebte Wahlgang an, es geht um den frei gewordenen Posten von Alain Berset. Pult tigert die Gänge im Nationalratssaal auf und ab, schiebt sich einen Kaugummi nach dem anderen in den Mund. Als Nussbaumer das Resultat verkündet, bleibt Pult versteinert: bloss 49 Stimmen. Beat Jans liegt zwar deutlich vorne, doch auch Jositsch erhält 63 Stimmen – nachdem die SP an dieser Bundesratswahl alle Wünsche der Rechten erfüllt hat.

Fraktionschefin Samira Marti wählt ungewöhnlich deutliche Worte, mahnt das Plenum zur «Einhaltung der Konkordanz», zur Bewahrung der Stabilität – also dazu, die ganzen Floskeln von soeben ernst zu nehmen. Daraufhin bekommt Jositsch im zweiten Anlauf noch mehr Stimmen. «Ich nehme das zur Kenntnis», sagt ein sichtlich enttäuschter Jon Pult später. Im dritten Wahlgang schafft es Beat Jans schliesslich. Gewählt mit 134 Stimmen.

Grüne Ernüchterung

Die Vereidigung ist noch nicht vorbei, Jans steht noch im Saal, da beginnt in der Wandelhalle die Suche nach Antworten auf das, was soeben drinnen passiert ist. Haben sich Exponent:innen der SVP nicht an Aeschis Erklärung gehalten? Oder hat die FDP um jeden Preis versucht, die Mehrheit ihres Blocks zu verteidigen? Zurück bleibt jedenfalls eine erneute Verfestigung der Verhältnisse – und der Eindruck einer rechten Machtdemonstration. Samira Marti formuliert es so: «Es hat sich gezeigt, dass die Bürgerlichen ihre eigenen Regeln nicht einhalten und die grossen Reden zur Konkordanz vor allem leere Phrasen sind.» Über die Wahl von Jans freue sie sich aber sehr.

Der grünen Fraktionschefin Aline Trede ist ihre Ernüchterung über den Wahlausgang kurz darauf hingegen deutlich anzumerken. «Ich finde gar keine Worte», sagt sie – und findet sie dann doch. «Die SP hat sich von der SVP extrem unter Druck setzen und vorführen lassen.» Die Grünen hingegen hätten sich an die Abmachung mit den Sozialdemokrat:innen gehalten und deren Sitz nicht angegriffen, erklärt Trede. Für die Zukunft brauche es von der SP ein «klares Bekenntnis» zur Partnerschaft.

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Kommentare

Kommentar von kusto

Do., 14.12.2023 - 17:37

Überraschend kommt dieses Resultat nicht! Schon lange tanzt die SP Reformplattform den Genossen auf der Nase herum. Ich meine, das hat sich die SP selber eingebrockt solange sie nicht klar den "sozialliberalen" Geistern rund um Prof. Jositsch zeigt wo Bartl den Most holt. Erstes Ziel des rechten Flügels der SP ist doch klar die Anbiederung an die bürgerliche Elite. Zudem soll der karrierehinderliche Passus im Parteiprogramm von der Überwindung des Kapitals gestrichen werden.

Kommentar von Igarulo

Fr., 15.12.2023 - 04:04

Der fähigste Bundesrat wäre Jositsch gewesen. Die SP-Führung aber schiebt lieber Ideologien vor sich her. Ob das bei den nächsten Wahlen gut kommt?