Parlamentswahl in Pakistan: Eine Botschaft an die Generäle

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Der Wahlgewinner sitzt im Gefängnis, der Zweitplatzierte erklärt sich zum Sieger, und das Militär wurde abgemahnt. Pakistan stehen unruhige Zeiten bevor.

Anhänger:innen von Imran Khan protestieren in Karachi gegen vermutete Wahlfälschungen
Noch ist unklar, wer Pakistan regieren wird: Anhänger:innen von Imran Khan protestieren in Karachi gegen vermutete Wahlfälschungen. Foto: Rehan Khan, Keystone

Der Machtkampf zwischen den früheren Premierministern Nawaz Sharif und Imran Khan geht in die nächste Runde. Bei den am vergangenen Donnerstag abgehaltenen Parlamentswahlen in Pakistan erreichten unabhängige Kandidat:innen die Mehrheit der Sitze. Viele von ihnen stehen Khans Partei Pakistan Tehreek-e-Insaf (Pakistanische Bewegung für Gerechtigkeit, PTI) nahe. Weil Khan im Gefängnis sitzt und die PTI von der Wahl ausgeschlossen worden war, mussten ihre Kandidat:innen als Unabhängige antreten. Die von Sharif gegründete und vom Militär unterstützte Pakistanische Muslimliga Nawaz (PML-N) landete auf dem zweiten Platz.

Gegen die Uniformierten

Das überraschend gute Abschneiden der Oppositionellen ist ein starkes Signal in einem Land, das seit der Unabhängigkeit im Jahr 1947 über lange Phasen hinweg vom Militär kontrolliert wurde. Die Junta setzte drei demokratisch gewählte Regierungen ab, und auch heute haben Generäle mehr Macht als die jeweiligen Staatschefs. Aus diesem Grund werden Wahlen im südasiatischen Land oft abwertend als «Auswahl» bezeichnet.

Dem aktuellen Urnengang war ein turbulenter Wahlkampf vorausgegangen: Weil die PTI nicht teilnehmen konnte, machte sie Wahlkampf in den sozialen Medien und setzte Technologien wie künstliche Intelligenz ein, um die Botschaft Khans an die Wähler:innen zu bringen. Gefakte Videoansprachen des inhaftierten Expräsidenten waren in Umlauf.

Am Wahltag selbst wurde landesweit das Mobilfunknetz abgeschaltet. Doch trotz der massiven Hindernisse haben die Wähler:innen gezeigt, dass sie die Einmischung der Männer in Uniform nicht länger tolerieren. Die aktuelle Parlamentswahl sei daher eine «friedliche Revolte gegen das mächtige militärische Establishment» gewesen, analysierte der Pakistanexperte Omar Waraich in der «Washington Post».

Trotz der demokratischen Botschaft an die Herrschenden droht dem Land nun eine weitere Phase der Instabilität: Keine der Parteien erzielte eine für die Regierungsbildung ausreichende Mehrheit, sodass es einer Koalition bedarf. Noch am Wahlabend erklärte sich die PML-N zur Partei mit den meisten Sitzen. Zur Bildung einer Regierung muss sie jedoch mit Rivalen und Unabhängigen eine Einigung finden. Am wahrscheinlichsten gilt eine Koalition zwischen der PML-N und der drittplatzierten Pakistanischen Volkspartei (PPP). Beide Parteien hatten bereits übergangsweise gemeinsam regiert, nachdem sie Khan gestürzt hatten.

Das jetzige Ergebnis bringt die Generäle in die Klemme: Sollte ihr Favorit Sharif tatsächlich mit der PPP eine Koalition eingehen, würde er den Wunsch der Wähler:innen übergehen – es drohten weitere Unruhen. Nach Auszählung der Stimmen protestierten bereits Tausende Unterstützer:innen Khans mit Mitgliedern anderer politischer Parteien gegen mutmassliche Wahlmanipulationen. Da das Land bereits vor einem Staatsbankrott steht, wäre eine weitere politische Krise fatal.

Ein jahrelanger Machtkampf

Der frühere Regierungschef Khan war im April 2022 durch ein Misstrauensvotum nach fast vier Jahren im Amt abgesetzt worden. Zu diesem Zeitpunkt befand sich seine Regierung vor allem wegen der desaströsen Wirtschaftslage mit massiven Preissteigerungen in der grössten Krise seit ihrem Antritt. Seit seiner Verurteilung in einem Korruptionsverfahren im August 2023 sitzt er im Gefängnis. Es kam zu landesweiten Protesten und Attacken gegen Militärgebäude, weil Khans Unterstützer:innen die Generäle für dessen Absetzung verantwortlich machen. Unterdessen eröffnete die Justiz immer neue Verfahren gegen ihn. Noch kurz vor der Parlamentswahl wurde er wegen Hochverrat und Bestechung zu langen Haftstrafen von bis zu vierzehn Jahren verurteilt. Kenner:innen vermuten eine politische Kampagne gegen ihn.

Denn auch wenn der frühere Cricketstar keine öffentlichen Ämter ausüben darf, ist die Zahl seiner Anhänger:innen vor allem unter den Jungen ungebrochen hoch. Bei den Parlamentswahlen 2018 gelang es der PTI mit dem Versprechen, gegen Korruption zu kämpfen, einen Sieg einzufahren. Khan wurde zum Ministerpräsidenten ernannt. Der wendige Politiker dreht sich seither wie ein Blatt im Wind: An einem Tag gibt er sich liberal, am anderen verteidigt er die Scharia. In seiner Regierungszeit verschlechterte sich seine Beziehung zum Militär, das seinen Aufstieg einst gestützt hatte, jedoch zunehmend.

Das Übergangsregime, bestehend aus PML-N und PPP, konnte die Wirtschaftskrise nicht eindämmen und hatte auch keine grosse Unterstützung innerhalb der Bevölkerung. Khans Nachfolger wurde der Oppositionsführer, Shehbaz Sharif, Bruder von Nawaz Sharif. Die Geschwister gehören einer Familie an, die seit Jahrzehnten eine dominante Grösse der pakistanischen Politik ist. Nawaz Sharif war 2017 wegen Korruptionsvorwürfen von der Macht vertrieben und auf Lebenszeit von öffentlichen Ämtern ausgeschlossen worden. Der Spitzenpolitiker hatte zuvor drei Amtszeiten als Regierungschef absolviert. Um einer Gefängnisstrafe zu entgehen, floh er ins Exil nach London. Erst im Oktober kehrte Sharif nach Pakistan zurück, innerhalb weniger Tage wurden die Urteile gegen ihn aufgehoben.