Pakistan: Wird nun gar die Armee demokratiefreundlich?

Nr. 39 –

Die von einem ehemaligen Cricketstar angezettelten Demonstrationen gegen die Regierung führen vielleicht zum Gegenteil des Beabsichtigten.

Der frühere pakistanische Cricketstar Imran Khan lässt nicht locker. Eine Weile sah es so aus, als liesse er die Regierung von Ministerpräsident Nawaz Sharif, die er seit über einem Monat mittels Grossdemonstrationen in der Hauptstadt Islamabad zum bedingungslosen Rücktritt auffordert, wenigstens zwischenzeitlich etwas in Ruhe. Denn immerhin muss sie sich um die desaströsen Folgen der grössten Überschwemmungen seit über hundert Jahren kümmern.

Doch nun ist Khan dabei, die Proteste in weitere Landesteile zu tragen: Am Sonntag jubelten ihm in der Hafenmetropole Karatschi Zehntausende zu, deutlich mehr als zuvor in der Hauptstadt. Und am Montag kündigte er auch für Lahore Demonstrationen an. Wer profitiert von Khans Bewegung gegen die Regierung?

«Sharif am Genick packen»

Die Partei Khans, die Pakistanische Gerechtigkeitsbewegung (Pakistan Tehreek-e-Insaf, PTI), schnitt bei den Wahlen im vergangenen Mai nicht gerade glorios ab: Sie holte nur 35 von 342 Parlamentssitzen. Obwohl die Wahlen von internationalen BeobachterInnen als «grösstenteils frei und fair» beurteilt worden waren, spricht Khan nun von massivem Wahlbetrug. Unterstützt wird er dabei von Muhammad Tahir-ul-Qadri, Sufigelehrter und Gründer der konservativen Partei Pakistan Awami Tehreek. Die beiden belagern seit Mitte August mit mehreren Tausend AnhängerInnen den Platz vor dem nationalen Parlament.

Khan pendelt gern zwischen den Polen des zivilen Ungehorsams und der Androhung von Gewalt. Seiner Anhängerschaft rief er in Islamabad zu: «Persönlich möchte ich dieses falsche Parlament stürmen, Nawaz Sharif am Genick packen und ihn rücksichtslos zur Rechenschaft ziehen. Aber wir glauben an einen friedlichen Kampf.»

Ausgerechnet PTI-Präsident Javed Hashmi weigerte sich, die Farce mitzumachen. Daraufhin wurde er abgesetzt und aus der Partei ausgeschlossen. Mit Aussagen gegenüber pakistanischen Medien hat er Vermutungen Auftrieb gegeben, nach denen die Proteste mit der Armee abgesprochen sein könnten, um dieser den Vorwand für einen Staatsstreich zu liefern: Khan habe vor der Parteiführung angedeutet, dass die Proteste einem «Drehbuch» folgten.

Das Militär Pakistans hat das Land seit der Staatsgründung 1947 etwa die Hälfte der Zeit direkt kontrolliert und nimmt bis heute erheblichen Einfluss auf die Politik. Seit Monaten verschärfen sich die Spannungen zwischen altgedienten Generälen und der Regierung, nicht zuletzt weil Letztere es zuliess, dass der frühere Armeechef und Diktator Pervez Musharraf wegen Hochverrat vor Gericht steht.

Katharine Adeney, eine auf Pakistan spezialisierte Politikwissenschaftlerin an der Universität von Nottingham, bestätigt diese Einschätzung: «Vieles spricht dafür, dass die Proteste von Militärkreisen unterstützt und sogar organisiert wurden. Diese waren mit Sharif bereits unzufrieden, weil er auf einer zivilen Oberhoheit über die Aussenpolitik und das Militär besteht. Der Musharraf-Prozess brachte dann wohl das Fass zum Überlaufen.»

Die pakistanische Militärwissenschaftlerin und Buchautorin («Military Inc.») Ayesha Siddiqa sieht nicht nur das Militär als möglichen Gewinner der antidemokratischen Proteste: Khan und Qadri, aber auch die alte politische Elite spielten «den Militanten und der ultrareligiösen Rechten» in die Hände, schreibt sie in der linksliberalen Tageszeitung «The Express Tribune». Denn diese Kräfte könnten den Massen das glaubwürdigste Gegenprojekt zur Demokratie anbieten.

Langfristige Stärkung der Demokratie

Adeney hingegen glaubt weiterhin an einen langsamen, aber stetigen Demokratisierungsprozess. «Im Zuge der Staatskrise hat die gesamte Opposition, ausser die PTI natürlich, Stärke bewiesen und der Rückkehr zu einer Militärherrschaft eine klare Absage erteilt», sagt die britische Professorin. «Das ist eine völlig andere Situation als in den neunziger Jahren, als Oppositionspolitiker jederzeit bereit waren, ihre politischen Gegner mit Militärhilfe abzusetzen.»

Zudem scheint Nawaz Sharif vom neuen, ihm wohlgesinnten Armeechef Raheel Sharif Schützenhilfe zu erhalten. Dieser ernannte am 22. September sechs neue Generäle, die einen grossen Teil der alten, antidemokratischen Garde ersetzen. Entscheidend ist vor allem, dass bald Rizwan Akthar den mächtigen Geheimdienst ISI leiten wird – Akthar gilt als demokratie- und regierungsfreundlich.

Die Chancen stehen somit nicht schlecht, dass die aktuelle politische Krise die pakistanische Demokratie auf lange Sicht gar stärkt. Imran Khan wird wohl bis zu den nächsten Parlamentswahlen warten müssen – und sich auf demokratischem Weg um den Posten des Ministerpräsidenten bewerben.