Knapp daneben: Sonntags zum Cup

Nr. 51 –

Der Chefredaktor schreibt, er wolle «über modische Geschmacksverschiebungen zwischen voralpiner Kleinstadt und urbanem Mittelland» nachdenken, über «Frisen, die in den Achtzigerjahren noch angesagt waren, übrigens besonders bei Fussballern: vorne kurz, oben leicht eingefärbt und im Nacken lang. Rudi Völler hatte so einen Schnitt, und fast alle Manta-Fahrer.» Der Chefredaktor heisst Peter Rothenbühler, und er schreibt die Zeilen an die Adresse der neuen Bundesrätin. Ihre Frisur: Alle haben sich was gedacht dabei, aber alle waren sich zu blöd, darüber zu schreiben. Alle ausser Peter Rothenbühler, der Mann, der sich über deutsche Kondukteure in Schweizer Zügen ärgert.

Der Kondukteur im Zug nach Neuenburg ist Welscher, also undeutsch. Aber zackig ist er und recht humorlos. Vermutlich von zu vielen Deutschen verdorben, würde Peter Rothenbühler sagen. Als der Zug in Solothurn hält, frage ich mich, ob das nun Rothenbühlers urbanes Mittelland oder nicht doch voralpines Kleinstadtmilieu ist. Das zu entscheiden, liegt Gott sei Dank nicht an mir, obwohl ich mit eindeutig voralpin kleinstädtischen Wurzeln urteilsbefugt wäre. Es bleibt mir auch keine Zeit, lange darüber nachzudenken, besteigen in Solothurn doch vier junge Männer mit einem für einen Sonntagmittag beachtlichen Durst den Zug. Stehend und in schwarzgelbe Schals gehüllt entsorgen sie bis Neuenburg eine Vielzahl farbiger Getränke, über deren Geschmack ich nichts weiss, deren Wirkung aber als belebend einzustufen ist. Mit wehenden Fahnen steigen die vier am Zielort aus. Auch mich kippt der Neigezug aufs Perron. Peter Rothenbühler, dick eingepackt in die Sonntagszeitung, fährt weiter.

Von oben sieht die neue Maladière prächtig aus, englisch fast und mit richtigen Flutlichtmasten. Von unten gleicht sie einem Einkaufszentrum, was sie ja auch ist. Die Ordnerinnen und Ordner schleusen die vielen Bernerinnen und Berner freundlich ins Innere. Es gibt noch Orte, denke ich, da glaubt der Sicherheitsdienst an das Gute im Menschen. Es gibt aber auch Orte, da wird schlecht gewirtschaftet. Oder wie anders ist es zu erklären, dass Xamax für fast 3000 (angekündigte!) YB-Fans ganze zwei Verpflegungsstände öffnet, hinter denen nervös fuchtelnde Angestellte angefrorene Hamburger zwischen kalte Brotscheiben legen und alkoholfreies Bier als normales verkaufen? Meine Wurst, das sei gesagt, war tadellos. Das darf bei zehn Spielminuten Wartezeit aber auch erwartet werden.

Die auch zwischen Buchdeckeln verbreitete Meinung, wonach sowohl im gespielten als auch im inszenierten Fussball regionale Eigenheiten zunehmend verschwänden, widerlegt die Maladière mit einer Auswahl regionaler Weiss- und Rotweine, in deren Genuss ich wegen des am Cupspieltag geltenden Alkoholverbotes aber nicht komme. Besser wäre es bei den Minustemperaturen ohnehin gewesen, in einer Ecke ein kleines Tischchen für den unkomplizierten Verkauf von Orangen- und Rumpunsch einzurichten. Aber solch gastronomische Eskapaden sind in der tollen Welt des Eventcatering nicht mehr vorgesehen.

Eine regionale Eigenheit ist auch Carlos Varela: Überall wird er ausgepfiffen, ausser dort, wo er gerade spielt. Seit einiger Zeit ist das Bern. Wofür er dort geliebt wird, zeigt er auch in Neuenburg: Der Mann ist bei der Sache und zweimal schneller als der Rest. Wofür er ausgepfiffen wird, bleibt allerdings auch nicht verborgen. Varela – da mögen noch so viele feinfühlige Porträts den sensiblen Privatmann unterstreichen – ist ein idiotischer Provokateur, der unablässig versucht, seine Aussetzer als Leidenschaft und seine gelben und roten Karten als Schiedsrichterverschwörung zu verkaufen. Als YB nach einem Foul an der Strafraumgrenze statt des geforderten Penaltys nur einen Freistoss zugesprochen erhält, ist Varela der Erste, der dem Assistenten an der Linie am Kinn hängt. Und als er nach einem verlorenen Zweikampf gegen Neuenburgs Bah dem dunkelhäutigen Verteidiger mit unmissverständlicher Geste zu verstehen gibt, dass der Neger stinkt, entlarvt er sich schlicht als Rassist. Dass ihn nach dieser Szene das Heimpublikum bei jeder Ballberührung auspfeift, mag Varela als weiteren Beweis eines grossen Komplotts werten. Wie er sich auf diese Art den Weg zu einem grossen Fussballer konsequent verstellt, scheint ihn dabei wenig zu kümmern. YB verliert in der Verlängerung.

Ruhig verläuft die Rückfahrt. Im «Magazin»-Kreuzworträtsel steht bei 29 waagrecht: «Kann Strellers Durst, nicht aber seinen Torhunger stillen.» Für 1.50 Franken sagen sie einem am Telefon den gesuchten Begriff. Ich stelle mir die Telefonistin vor, die die Anrufe entgegennimmt und immer nur «Latte» sagen darf. La Neuveville zieht vorbei, dann Twann. Im Nebenabteil unterhält sich ein älteres Paar über die Schönheiten des Landes. «Pruntrut isch di leidischti Schtadt ir Schwiz», sagt der Mann. «I ha gmeint Gränchä», entgegnet die Frau. «Nei, Pruntrut. I han e Lischte gsee.»