Fussball und andere Randsportarten: Heiliger Unernst

Nr. 47 –

Pedro Lenz auf der Suche nach Pfiffigkeiten im Fussballstadion

Einst wurde in Fussballstadien noch gelacht. Da gab es zum Beispiel einen welschen Schiedsrichter, der in den siebziger Jahren seinen Bierbauch durch die Fussballplätze der Zweiten Liga schleppte. Einmal hatte ein Spieler auf dem Sportplatz Rankmatte in Langenthal ein besonders übles Foul begangen. Der Gefoulte wälzte sich heulend auf dem Rasen, und alle Anwesenden glaubten, für eine derart hässliche Blutgrätsche werde der Übeltäter direkt vom Platz gestellt. Der Schiedsrichterpfiff kam prompt. Und als der korpulente Referee den Täter zu sich rief, näherte sich dieser nur zögerlich, als fürchte er sich vor dem Glanz der roten Karte. «Venez, venez, venez!», rief der Schiri, bis der reuige Sünder nur noch wenige Zentimeter von ihm entfernt war. Dann wechselte der Mann in Schwarz die Sprache und brüllte mit hochrotem Kopf und butterweich gerolltem R: «Errrrrmahnung!» Der fehlbare Spieler schien seinen Sinnen nicht zu trauen und trabte dankbar davon. «He, Schiedsrichter, es söttigs Dräcksfoul muess doch Rot gä!», rief ein erboster Zuschauer. Doch der Schiri lächelte milde, als freue er sich über seine Grosszügigkeit.

Nicht nur im Amateurfussball, selbst bei den Profis gab es einst einigermassen spassige Momente. Als die Berner Young Boys vorübergehend im Neufeld spielten, weil sich das neue Stadion noch im Bau befand, klimperten die Fans jeweils bei jedem Corner und bei jedem Freistoss der Heimmannschaft mit dem Schlüsselbund. Die klirrenden Schlüssel sollten verdeutlichen, dass sich auf dem Rasen gerade eine Schlüsselszene abspielte.

Ebenfalls Sinn für Humor offenbarte der spanische Trainer Vicente Del Bosque, als er bei seinem Abgang von Real Madrid nach den Gründen für seine Entlassung gefragt wurde und erklärte: «Fussball ist ein medialer Sport geworden, und ich bin wirklich nicht besonders fotogen.»

Ziemlich amüsant ging es lange auch auf dem Brügglifeld in Aarau zu. Dort gab es Fans, die den Flügelspieler Carlos Varela, der in der ganzen Liga für sein heissblütiges Temperament bekannt war, ständig fragten, wie es um seine Temperatur stehe. Varela kochte sogleich über, und die Spassvögel, die zuvorderst am Spielfeldrand standen, fragten immer, wenn er sich in der Nähe befand, mit vorgetäuschter Besorgnis: «Carlos, bisch scho heiss?»

Nun wird niemand behaupten wollen, Fussball sei ein Scherzsport und es müsse an Meisterschaftsspielen zugehen wie auf Kabarettbühnen. Doch gerade in diesen Zeiten, in denen Clubpräsidenten die Zivilgerichte und Staatsanwälte die Schnellgerichte bemühen, täte es gut, sich zwischendurch in Erinnerung zu rufen, dass Fussball unter anderem der Unterhaltung dient.

Es ist selten geworden, dass ein Torschütze sein Goal mit einem Lachen feiert. Viel verbreiteter sind beim Torjubel verkrampfte Schreie, geballte Fäuste oder pathetische Fingerzeige zum Himmel und verklärte Blicke zum lieben Gott. Doch nicht bloss Spieler, Trainer, Funktionäre, Schiris und Sportjournalist–Innen scheinen in letzter Zeit den Humor verloren zu haben. Ein Grossteil der Fussballfans nimmt sich selbst derart ernst, dass einen zuweilen dünken will, es bestehe ein Zusammenhang zwischen Gewaltproblemen und Humorverlust. Vollkommen humorfreie Gesänge wie das in Bern oft gehörte «Vorwärts YB, kämpfen und siegen!» oder der im ganzen deutschsprachigen Raum verbreitete Dummgesang «Steht auf, wenn ihr Basler (oder je nach Vorliebe Berner / Ultras / Faschos / Deutsche / Schweizer / Bayern / Hoppers / Wiener / Nazis etc.) seid!», tragen wenig bis nichts zur seelischen Entspannung auf den Rängen bei.

Es wäre wohl an der Zeit, dass in den Stadien das zweifellos vorhandene Potenzial an Pfiffigkeit etwas besser ausgeschöpft wird. Ein geistreiches Lied ist allemal amüsanter als monotones Hassgebrüll.

Pedro Lenz, 46, ist Schriftsteller und 
lebt in Olten. Er nimmt fast nichts so ernst 
wie den Unernst.