Silicon Valley: «Und plötzlich waren die Techmilliardäre die ‹Bad Guys›»

Nr. 15 –

Paris Marx produziert den Podcast «Tech won’t save us», der sich mit der US-Digitalindustrie auseinandersetzt. Marx zufolge ist die Radikalisierung des Tesla-Chefs Elon Musk bezeichnend für den Rechtsschwenk der Branche, und auch der Aufstieg Chinas spiele dabei eine Rolle.

Elon Musk bekommt nach dem Start einer SpaceX-Rakete im Mai 2020 Applaus von seinem Bruder Kimbal
Hat als Manager nicht viel drauf, aber viele Claqueure: Elon Musk bekommt nach dem Start einer SpaceX-Rakete im Mai 2020 Applaus von seinem Bruder Kimbal. Foto: Jonathan Ernst, Reuters

WOZ: Paris Marx, der Tesla- und X-Chef Elon Musk fällt immer wieder mit pubertärem Gebaren auf. Wie ist es möglich, dass ein solches «manchild» zu einem der reichsten und mächtigsten Männer der Welt geworden ist?

Paris Marx: Man muss sich seinen Werdegang vergegenwärtigen: Kurz nachdem Musk Anfang der neunziger Jahre aus Kanada in die USA gekommen war, begann der Siegeszug des Internets. Damals floss sehr viel Geld in die Branche, auch in Firmen, die kein richtiges Geschäftsmodell hatten, was ja später auch zum Platzen der Dotcom-Blase führen sollte. Als Elon Musk und sein Bruder Kimbal ihr erstes Unternehmen gründeten, profitierten sie von dieser Dynamik. Elon Musk war kein guter Manager, er verlor sogar seinen Posten als CEO. Dennoch konnten er und sein Bruder ihre Firma an den Computerhersteller Compaq verkaufen.

Ähnlich war es auch mit Paypal, oder?

Ja, auch hier wurde Musk als CEO abgesetzt. Aber wieder wurde das Unternehmen aufgekauft, in diesem Fall von eBay – und er machte sehr viel Cash. Wenn man sich also anschaut, wie er dahin gelangte, wo er heute ist, ist das typisch für das, was damals im Silicon Valley passierte: Manche hatten viel Glück, sie waren zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Und sie verfügten natürlich über das Privileg, ein Unternehmen gründen zu können. Diese Leute versuchten anschliessend, sich selbst als Genies darzustellen: als Pioniere, die alles verändern würden. Auch Musk tat das – und die Medien halfen ihm dabei.

Muskologie und mehr

Wegen der ausgiebigen Beschäftigung mit dem Wirken Elon Musks wird Paris Marx gelegentlich als «führende:r linke:r Muskolog:in» bezeichnet. Vergangenen Herbst veröffentlichte Marx eine vierteilige Podcastreihe, die die Karriere des in Südafrika geborenen Tesla-Chefs nachzeichnet und dabei dessen Selbstmythologisierung auseinandernimmt. Marx’ Podcast «Tech won’t save us» beleuchtet unterschiedlichste Aspekte der Branche, von KI über Tiktok bis zu ideologischen Trends im Silicon Valley. Zudem sind immer wieder hörenswerte Fachleute zu Gast.

2022 veröffentlichte Marx im Verlag Verso Books die Monografie «Road to Nowhere. What Silicon Valley Gets Wrong about the Future of Transportation». Zudem publiziert Marx regelmässig Analysen im Newsletter «Disconnect».

Portraitfoto von Paris Marx
Foto: Tania Heath

2021 hatte er noch getweetet, er würde «sich lieber aus der Politik heraushalten». Heute verbreitet Musk antisemitische Verschwörungstheorien und unterstützt Rechtsextreme. Könnte das für ihn irgendwann zum Problem werden?

Die Bemerkungen, die er etwa zur Einwanderung macht, sind sehr präsent in den USA. Ausserdem wird immer mehr Leuten bewusst, wie schlecht er seine Arbeiter:innen behandelt – etwa wenn man daran denkt, wie sich Tesla in Schweden verhält. Für Musk als Geschäftsmann könnte das zum Problem werden, da er ja lange als eher progressiver Milliardär galt – so wie man von der Techindustrie im Ganzen angenommen hatte, dass sie für einen Kapitalismus anderer Art stehe, was nie gestimmt hat. Tesla aber profitierte vom Wohlwollen von Leuten, die umweltbewusst sind und Elektroautos kaufen. Genau diese Kund:innen entfremden sich zunehmend von Musk.

Wie ist seine Radikalisierung zu erklären?

Für die Techmilliardäre insgesamt war es lange vorteilhaft, die Nähe zu den US-Demokrat:innen zu suchen. Diese gewährten Unternehmen wie Tesla auch Subventionen. Inzwischen aber sieht man sich immer mehr Regulierungsbemühungen gegenüber. Vermutlich standen viele Techmilliardäre schon immer eher der Rechten nahe, nur haben sie das nie so laut gesagt. Aber seit mehr Aufsicht, mehr Regulierung und höhere Steuern drohen, positionieren sie sich offen rechts.

Das ist schon bemerkenswert: Früher war noch Bill Gates das Gesicht der Branche, ein vergleichsweise harmloser Nerd.

Nun ja, in den neunziger Jahren gab es ein Kartellverfahren gegen Microsoft, in dem Gates aussagen musste – und dabei zeigte er sich als arrogante, herrische Persönlichkeit, die keine Verantwortung für irgendetwas übernehmen wollte. Über die Jahre sind viele Geschichten über Microsoft publik geworden, die belegen, dass Gates ein schrecklicher Boss ist. Dann aber begann er, sich philanthropisch zu engagieren, um sein Image aufzupolieren. Was das Silicon Valley allgemein angeht, ist Musk zwar die sichtbarste Figur, die diesen Übergang nach rechts gemacht hat. Aber das ist keine gänzlich neue Entwicklung. Peter Thiel etwa bewegte sich zeitweise sehr offen in der Rechten.

Thiel ist ebenfalls mit Paypal reich geworden …

… und er vertritt schon lange libertäre Positionen. Er hat bereits in den neunziger Jahren ein diversitykritisches Buch geschrieben. Auch der Demokratie gegenüber ist Thiel skeptisch. Lange aber haben sich viele andere Techmilliardäre als «aufgeklärtere» Kapitalisten inszeniert, die mit der Rechten nichts zu tun haben. Sie wollten als Geschäftsmänner gesehen werden, die etwas Neues versuchen und offen sind für progressive Anliegen. Man betonte die Notwendigkeit von Diversität und guten Arbeitsbedingungen, wobei man Gewerkschaften natürlich immer ablehnte.

Wann hat sich das geändert?

Ein Schlüsselereignis war der Skandal um Cambridge Analytica 2018: Damals ging es ja darum, dass Facebook Nutzer:innendaten mit dieser Firma geteilt hatte, die wiederum Trump bei der Wahl geholfen hatte. Danach wurde über die Techbranche anders berichtet. In den Jahren nach 2008, also nach der Finanzkrise, schienen die Medien noch das Bedürfnis gehabt zu haben, diese Industrie positiv darzustellen: als Sektor, der Jobs und Wachstum versprach. Ab 2018 änderte sich das.

Das hat vermutlich vielen in der Branche nicht gefallen.

Nein, die Techmilliardäre waren ja gewohnt, als positive Figuren zu gelten – und plötzlich waren sie die «Bad Guys». Sie reagierten ihrerseits damit, sich ablehnender gegenüber den Medien zu verhalten, was besonders während der Pandemie zu sehen war, als sich viele von ihnen gegen Lockdowns aussprachen: Musk bezeichnete diese sogar als «faschistisch».

Woher kommt eigentlich die Neigung zum Libertarismus in der Branche?

Der Vietnamkrieg spielte eine wichtige Rolle. Das Silicon Valley ist ein Resultat des Zweiten Weltkriegs und des Kalten Kriegs – und der öffentlichen Investitionen, die damals in diese Region flossen, um die Waffen- und Technologieindustrie rund um die Universitäten Stanford und Berkeley aufzubauen. Für einige Jahrzehnte war es auch kein Problem für diejenigen, die dort arbeiteten, in enger Verbindung zum Militär zu stehen. Dann aber kam der Vietnamkrieg – und immer mehr Leute in der Branche wollten mit Staat und Militär nichts mehr zu tun haben. Entsprechend breiteten sich libertäre Ideen aus. Viele derer, die in den neunziger Jahren im Silicon Valley viel Geld verdient hatten, machten sich später daran, diese Ideen auch zu verwirklichen: Thiel beispielsweise war Teil der Seasteading-Bewegung, er versuchte, Städte auf Plattformen in internationalen Gewässern zu bauen …

… also gewissermassen Privatstaaten auf offenem Meer.

Genau. Inzwischen ist man aber wohl zu der Überzeugung gelangt, dass so etwas nicht funktioniert. Thiel wurde Sponsor Donald Trumps. Aber nicht nur er, sondern viele dieser Leute unterstützen heute rechte Politiker:innen finanziell bei ihren Wahlkämpfen. Noch immer glauben sie, dass die Regierungsaktivität sehr limitiert sein sollte, wobei es vor allem darum geht, Regulierungen und höhere Steuern zu verhindern. Aber es gibt sicher auch persönliche Affinitäten zu rechten Positionen. Ein weiterer Grund dafür, dass es eine Wende nach rechts gab, liegt zudem in der Geopolitik: Je mehr China zum Konkurrenten der USA geworden ist, desto näher sind mächtige Köpfe aus dem Silicon Valley wie etwa der frühere Google-Chef Eric Schmidt an den Staat gerückt. Man ist inzwischen viel offener, was Kooperationen mit dem Pentagon angeht.

Momentan sind es aber vor allem die Demokrat:innen, die versuchen, Tiktok aus dem US-Markt zu drängen – während sich Trump plötzlich wohlwollend gegenüber Tiktok äussert …

Allerdings kam die eigentliche Wendung gegen China unter Trump, als man Huawei aus den USA verbannte und auch Wepay und Tiktok ins Visier zu nehmen begann. Biden setzte diese Linie fort, er erweiterte sie sogar durch Exportregulierungen, um China bei der Chipentwicklung auszubremsen. Auch Trump, sollte er wieder gewählt werden, dürfte daran nichts ändern. Seine jüngsten Äusserungen zu Tiktok sind wohl eher wahltaktisch zu erklären, da sehr viele US-Amerikaner:innen gegen ein Tiktok-Verbot sind.

Es ist derzeit viel vom gewaltigen Potenzial von künstlicher Intelligenz (KI) die Rede. Macht es Ihnen Sorgen, dass diese Technologie von einem dubiosen Milieu kontrolliert wird?

Da bin ich zwiegespalten. Man sieht heute zwar, dass KI für manches nützlich ist, aber was die Zukunft angeht, wird viel übertrieben, um die Interessen der entwickelnden Firmen zu fördern. Ausserdem will man Regulierungen verhindern, indem man beschwört, was diese Technologie bald alles leisten werde. Dabei zeitigt KI heute schon negative Folgen: Man kann jetzt bereits im US-Wahlkampf sehen, wie KI-Tools dazu genutzt werden, um Bilder zu fälschen oder Deepfakes bestimmter Personen zu schaffen, also Clips, in denen sie Sachen sagen, die sie gar nie gesagt haben. Solche Fakes gibt es schon eine Weile, nur ist es inzwischen viel einfacher geworden, sie zu erstellen.

Was ist von Open-AI-Chef Sam Altman zu halten?

Ähnlich wie Musk hatte er viel Glück auf seinem Weg zu seiner heutigen Position: Auch er scheiterte mit seinem Start-up, was aber seinen Aufstieg nicht stoppte. Gegenwärtig bewirbt Altman die Idee, dass wir generative KI-Tools in möglichst alle Lebensbereiche integrieren sollten – egal ob es dabei um das Erstellen von Texten oder das Bildungs- oder Gesundheitswesen geht. Das bringt sehr viele Probleme mit sich – nicht etwa, weil bald eine AGI entstehen könnte, also eine den Menschen überlegene «artificial general intelligence», deren Gefahren Altman oft beschwört. Das erscheint mir unwahrscheinlich. Viel konkreter ist das Problem, dass in KI-Systeme oft diskriminierende Ansichten eingebaut sind. Wenn man anfängt, sie für öffentliche Dienstleistungen zu verwenden, werden plötzlich bestimmte Personengruppen schlechter behandelt als andere, ohne dass das bemerkt würde, weil ein Computer dafür verantwortlich ist.

Altman gab kürzlich bekannt, dass er unglaubliche sieben Billionen US-Dollar auftreiben wolle, um Chipfabriken zu bauen …

Ja – die Realisierung der Pläne, die Altman hegt, würde gewaltige Mengen Energie, Wasser und Mineralien erfordern. Deswegen meinte er am Wef Anfang des Jahres, dass es einen Durchbruch in der Nukleartechnologie bräuchte, wenn man seine Vorstellungen verwirklichen wolle. Und falls das nicht gelinge, könnte man ihm zufolge auch einfach auf Geoengineering zurückgreifen, um den aus der herkömmlichen Energieproduktion resultierenden Umweltschäden entgegenzuwirken. Es handelt sich also um eine unheimliche Zukunftsvision, die ausschliesslich um Altmans eigene Anliegen kreist und völlig ignoriert, was das für viele Menschen in aller Welt bedeuten würde.

In Ihrem Podcast bemerken Sie immer mal wieder, dass Sie in Kanada dem, was im Silicon Valley passiert, mehr oder weniger ausgeliefert seien. Wäre es wünschenswert, wenn andere Länder den Aufbau einer eigenen Techindustrie forcieren würden?

Einerseits glaube ich nicht, dass das leicht zu bewerkstelligen wäre. Andererseits haben wir dem US-Techsektor über Jahrzehnte erlaubt, unsere Märkte zu dominieren und sich immer wieder Regulierungen zu entziehen. Als sich die Internetwirtschaft herausbildete, errangen die US-Unternehmen eine global dominierende Stellung, ehe sich anderswo ähnliche Firmen etablieren konnten. Wenn man aber an frühere Kommunikationstechnologien wie das Radio denkt, war es noch selbstverständlich, dass diese Technologien von den Staaten national reguliert wurden. Im Fall des Internets galt das aber plötzlich nicht mehr.

Momentan ist allerdings vor allem die chinesische Techbranche im Aufwind …

Ja – und in Europa wie auch in Kanada heisst es, dass wir uns zu entscheiden hätten, ob wir technologisch weiter von den USA dominiert werden oder eben China an deren Stelle treten lassen wollten. Das ist aber eine Alternative, die wir zurückweisen sollten. Stattdessen bietet sich heute für Unternehmen ausserhalb beider Blöcke die Chance, zusammenzuarbeiten, um neue Wege zu konzipieren, wie Tech so funktionieren könnte, dass tatsächlich die Menschen überall davon profitieren. Es sollte aber ein anderer Ansatz sein als etwa in Frankreich, wo sich Firmen auf digitale Kriegsführung und Überwachung spezialisiert haben: Das mag gut für den französischen Wirtschaftsstandort sein, ist aber wohl kaum die technologische Zukunft, die wir wirklich wollen.