Climate Engineering: Ein Patent zum Weitermachen wie bisher

Nr. 9 –

Lässt sich die Klimaerhitzung nur noch mit grosstechnologischen Eingriffen stoppen? Der Weltklimarat geht in seinen Szenarien bereits davon aus. Das ist illusorisch – und brandgefährlich.

Illustration: eine Maschine welche ein Klima-Thermometer biegt

An der Pariser Klimakonferenz 2015 einigten sich die Staaten dieser Welt darauf, die Treibhausgasemissionen bis 2050 auf «netto null» zu senken. Wie soll das gelingen, wenn die Emissionen stattdessen weiter steigen und 2023 ein neues Rekordhoch von 36,8 Gigatonnen erreichten? Zumal netto null nur ein erster Schritt ist und wir ab 2050 in eine Phase der Negativemissionen eintreten, der Atmosphäre also CO₂ entziehen müssen, um die Klimaerwärmung tatsächlich zu stoppen und die Temperaturen langfristig zu stabilisieren.

Zwischen 10 und 20 Gigatonnen sollte die negative CO₂-Bilanz in der zweiten Jahrhunderthälfte laut der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) umfassen – pro Jahr! Bezeichnenderweise verknüpft die Empa diese Zahlen mit der Ankündigung einer neuen Forschungsinitiative: «Mining the Atmosphere» oder «Das grosse Saubermachen».

Solche grosstechnologischen Projekte laufen auch unter dem Begriff des Geo- oder Climate Engineering. In den nuller und frühen zehner Jahren als «Klimaklempnerei» in Misskredit geraten, feiert dieses unter dem Radar der Öffentlichkeit gerade eine Renaissance. Und ausgerechnet der Weltklimarat IPCC sorgt dafür, dass es wieder salonfähig wird: In seinen jüngsten Berichten sind technische Ansätze zur Entfernung von CO₂ aus der Atmosphäre, sogenanntes «carbon dioxide ­removal» (CDR), integraler Bestandteil der Szenarien.

Selbst der Klima- und Atmosphärenforscher Reto Knutti, der an mehreren der Berichte federführend mitgearbeitet hat, betont: «CDR ist unvermeidbar, um das Klimasystem zu stabilisieren.» In der Landwirtschaft etwa werde es immer Restemissionen geben. «Die Modelle des IPCC basieren auf einer Kosten-Nutzen-Rechnung, und irgendwann wird es einfach billiger, CO₂ mit technischen Mitteln aus der Atmosphäre zu entfernen, als Emissionen zu vermeiden.»

Mit Empfehlung der Ölindustrie

Bloss reichen selbst die ambitioniertesten Szenarien des IPCC nicht aus, um neben diesen Restemissionen auch das seit der Industrialisierung zu viel emittierte CO₂ aus der Atmosphäre zu filtern und abzuspeichern, wie die Physikerin und Philosophin Annette Schlemm in ihrem Buch «Climate Engineering» aufzeigt: Um die globale Erwärmung langfristig auf zwei Grad oder weniger zu begrenzen, müsste die Kapazität von CDR bis 2030 um das Dreissigfache ansteigen, bis 2050 sogar um das Eintausendfache. Die Techniken dazu sind indes auf absehbare Zeit hinaus weder ausgereift noch kommerziell verfügbar.

Der IPCC setzt insbesondere auf «bioenergy with carbon capture and storage» (BECCS), also auf Klimaplantagen mit schnell wachsenden Pflanzen, die CO₂ aus der Luft binden, das beim Verbrennen in Biomassekraftwerken abgeschieden und gespeichert wird. In seinen Szenarien überschätzt der Rat aber deren Potenzial mit jährlich über 11 Gigatonnen enorm, wie auch eine kürzlich publizierte Studie des Mercator-Klimaforschungsinstituts (MCC) nachweist. Nur ein Bruchteil davon, zwischen 1,4 und 2,9 Gigatonnen, wäre nachhaltig. Denn als Monokulturen mit gigantischem Flächenverbrauch treten solche Klimaplantagen in direkte Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion, verschärfen die Wasserknappheit und zerstören die Biodiversität. Will der IPCC die Erderwärmung ernsthaft zum Preis der Überschreitung anderer planetarer Grenzen stoppen?

Klimaplantagen

informative Illustration: Vorgang von BECCS (bioenergy with carbon capture and storage)
Pflanzen binden CO₂ aus der Atmosphäre. Hinter BECCS (bioenergy with carbon capture and storage) verbirgt sich die Idee, auf riesigen Plantagen Biomasse zu akkumulieren und anschliessend in einem Bioenergiekraftwerk zu verbrennen. Dabei soll das CO₂ abgeschieden und in tiefe Gesteinsschichten im Boden verpresst werden. Die technischen Verfahren dazu sind noch nicht ausgereift und extrem energieintensiv. Unklar ist auch, ob die Speicherung von CO₂ im Untergrund sicher und von Dauer ist.

Die einzelnen Vertragsstaaten machen jedenfalls bereitwillig mit: In ihren nationalen Selbstverpflichtungen haben sie sich bis 2060 bereits zwölf Millionen Quadratkilometer für Klimaplantagen und (Wieder-)Aufforstungsprojekte reserviert, wie das MCC schreibt – fast so viel wie die aktuelle globale Ackerfläche. Die Politik, so folgert der Studienleiter, leitet aus den CDR-gestützten Modellrechnungen des IPCC offenbar «einen Freibrief ab, beim CO₂-Ausstoss zu wenig zu tun und Grosses lieber bei der CO₂-Entnahme zu versprechen».

Dazu passt, dass IPCC wie Politik geflissentlich ausblenden, wer als Treiber hinter den Techniken zur Abscheidung und Speicherung von CO₂, dem «carbon dioxide capture and storage» (CCS), steht: die fossile Industrie. Für sie bedeutet es nicht nur, quasi mit gutem Gewissen weiterhin Öl und Gas aus dem Boden zu pumpen, sondern das noch ausgiebiger und effizienter zu tun: Aktuell wird CCS laut Schlemm in siebzig Prozent der Fälle eingesetzt, um Öl und Gas zu fördern, das sonst kaum erreichbar wäre.

Reto Knutti ist zunehmend desillusioniert von den jährlichen Klimaverhandlungen: «In seiner Schlusserklärung hat der letzte Klimagipfel in Dubai im Wesentlichen verkündet, die Welt könne weitermachen wie bisher, solange jemand das CO₂ wieder aus der Atmosphäre entferne. So wird die Klimaerhitzung auf eine Frage der Abfallbewirtschaftung reduziert.»

Blosse Symptombekämpfung

Das ist brandgefährlich. Schlemm sieht Carbon Dioxide Removal als «Trojanisches Pferd», um noch weitere grosstechnologische Eingriffe ins Klimasystem salonfähig zu machen – namentlich solares Geoengineering, das sogenannte «solar radiation management» (SRM). Dahinter steht die Vorstellung, die Erdoberfläche abzukühlen, indem die Sonneneinstrahlung reduziert respektive ihre Rückstrahlkraft erhöht wird. Diskutiert wird vor allem, Aerosole wie Schwefeldioxid in die Stratosphäre auszubringen, wo sie sich verteilen und als Wolkengebilde um die Erde kreisen und so das Sonnenlicht abschirmen sollen: als simulierte man einen grossen Vulkanausbruch – dessen Auswirkungen allerdings noch weitgehend unverstanden und vor allem unkontrollierbar sind. Bekannt von natürlichen Eruptionen ist etwa, dass sie zu abrupten Veränderungen im Wasserkreislauf führen können, die Überschwemmungen oder schwere Dürren und Hungersnöte nach sich ziehen.

Aerosole

informative Illustration: Vorgang von SAI-Technologie (stratospheric aerosol injection)
Wird Sonnenlicht zurückgestrahlt, bevor es auf die Erde trifft, hat dies einen kühlenden Effekt. Mit der SAI-Technologie (stratospheric aerosol injection) sollen reflektierende (Schwefeldioxid-)Partikel mittels Flugzeugen oder Ballonen in die Stratosphäre transportiert und dort grossflächig versprüht werden. Das Verfahren müsste in regelmässigen Abständen wiederholt werden und liesse die Ursache der Klimaerhitzung unangetastet. Es ist grösstenteils unerforscht und mit kaum abwägbaren Risiken verbunden.

Vor allem aber ist SRM reine Symptombekämpfung: Sie hält den CO₂-Anstieg in der Atmosphäre nicht auf. Käme die Technik quasi als Plan B zum raschen Ausstieg aus fossilen Energiequellen zum Einsatz, geriete man in eine bedrohliche Abhängigkeit, weil mit einem Abbruch oder Ausstieg die Temperaturen auf der Erde sprunghaft ansteigen würden. Die Fachwelt spricht von einem «Terminierungsschock», an den sich die Ökosysteme kaum noch anpassen könnten.

Die Gefahr, dass Climate Engineering als Plan B die Dringlichkeit der Energiewende sabotiert, ist auch als «moral hazard» oder Rationalitätsfalle bekannt: Die Publizistin Naomi Klein hat es einst als «verlockendes Versprechen» bezeichnet, das es «uns ermöglichen würde, unsere ressourcenverschlingende Lebensweise auf unbestimmte Zeit fortzusetzen». SRM potenziert diese Gefahr noch, ist es doch vergleichsweise billig, Aerosole in die Stratosphäre zu transportieren.

Mittlerweile fordern deshalb zahlreiche Klimaforscher:innen ein Moratorium für solares Geoengineering, unter ihnen namhafte Expert:innen wie Michael E. Mann, Thomas Stocker, Stefan Rahmstorf und Sonia Seneviratne (vgl. Interview). Die Entwicklung und ein potenzieller Einsatz von solarem Geoengineering «muss verboten werden», heisst es mit explizitem Bezug auf das Ausbringen von Aerosolen. Also keine Forschungsexperimente im Freien und keine öffentlichen Gelder für SRM.

Wie extrem darf es sein?

Das wiederum geht anderen Klimaforscher:innen zu weit. «Wir wissen in der Tat noch immer viel zu wenig über die komplexen chemisch-physikalischen Prozesse der Wolkenbildung, und es ist fraglich, ob wir sie je genügend genau werden modellieren können», sagt Knutti. «Eben deshalb ist ein Verbot der falsche Weg. Wir sollten im Gegenteil versuchen, sie auch mit SRM-Experimenten genauer zu erforschen.» Seine Doktorandin Iris de Vries gehört zu den Mitinitiant:innen eines Aufrufs, genau das zu tun – und anders als etwa Sonia Seneviratne, die Diskussionen um SRM vor allem als Ablenkungsmanöver sieht, plädiert de Vries dabei für eine möglichst breite öffentliche Debatte.

«Der ‹moral hazard› funktioniert in beide Richtungen», sagt sie und weist auf die Debatten um das Maskentragen zu Beginn der Coronapandemie hin: Macht es die Menschen sorglos und risikofreudig, oder funktioniert es als Warnung, Distanz zu wahren? «Vielleicht erkennen viele den Ernst der Klimakrise ja gerade dadurch, dass öffentlich über so extreme Massnahmen diskutiert wird wie die, Tag für Tag mit Tausenden von Flugzeugen Schwefelsäure in die Stratosphäre zu pumpen.»

Doch wie weit soll die Forschung gehen dürfen – was ist noch Experiment, was bereits Anwendung? Im Fall von SRM verwischen sich diese Grenzen. Jene, die für ein Moratorium sind, argumentieren, dass bereits mit der Durchführung von Feldversuchen jene «dünne rote Linie» überschritten werde, die den Weg zu immer grösseren Versuchen ebne und schliesslich zum Einsatz führe. De Vries findet es auch deshalb zentral, dass alle Forschung zu solarem Geoengineering mit öffentlichen Geldern finanziert, transparent gemacht und breit diskutiert wird. «Wenn wir Klimaforschende dies nicht tun, wenn wir uns nicht mit den Forschungsresultaten in die öffentliche Debatte einmischen, dann tun dies andere», warnt Knutti, «und wir riskieren, dass Spekulationen, über die wir keine Kontrolle mehr haben, auf irgendwelchen Youtube-Channels wuchern.»

Mit imperialem Gestus

Auch Annette Schlemm betont in ihrem Buch, wie wichtig eine öffentliche Debatte zu Climate Engineering wäre – eine Debatte indes, die über den Fokus auf technikbasierte Lösungsversuche des Klimadesasters hinausreicht und vor allem auf die gesellschaftlichen Verhältnisse zielt. Wie kommt es, dass wir uns eher ein Ende der Menschheit als ein Ende des Kapitalismus vorstellen können? Selbst der Weltklimarat ordnet alles einer kapitalistischen Wachstumslogik unter: Seine Szenarien kennen kein Weniger in Bezug auf Produktion und Konsum; alle Massnahmen müssen sich rechnen.

Dem Climate Engineering wohnt ein grundsätzlich imperialer Gestus inne. Er beschränkt sich nicht auf die grössenwahnsinnige Idee, sich das Klimasystem der Erde untertan zu machen. Wo werden wohl all die Klimaplantagen stehen, auf denen wohlhabende Industrieländer wie die Schweiz ihren exorbitanten CO₂-Fussabdruck mit Emissionszertifikaten «kompensieren» können? Wer verfügt über die Ressourcen, um SRM-Technologien zu entwickeln und zu entscheiden, ob sie zum Einsatz kommen? In beiden Fällen sind Menschen im Globalen Süden, in Regionen, die ohnehin disproportional unter den Folgen der Klimaerhitzung leiden, zur Hauptsache von potenziell negativen Auswirkungen betroffen.

Und nicht zuletzt geht Climate Engineering auch zulasten künftiger Generationen. Mit solarem Geoengineering vertiefen wir ihre technische Pfadabhängigkeit, mit dem Abscheiden von CO₂, das wir aus der Atmosphäre holen und im Untergrund verpressen wollen, müllen wir sie weiter zu und überlassen es ihnen, mit den potenziellen Gefahren solcher Endlager umzugehen.

Daran ändern auch Forschungsinitiativen wie jene der Empa erst einmal nichts – auch wenn im Rahmen von «Mining the Atmosphere» nach Wegen gesucht wird, CO₂ als Ausgangsmaterial für neuartige kohlenstoffhaltige Materialien zu verwenden und es so in einem Kohlenstoffkreislauf langfristig zu fixieren. Das bleibt, das gibt auch die Empa zu, Zukunftsmusik, solange wir nicht «unsere Treibhausgasemissionen schnell und massiv senken und den Ausbau erneuerbarer Energien deutlich beschleunigen».

Annette Schlemm: «Climate Engineering. Wie wir uns technisch zu Tode siegen, statt die Gesellschaft zu revolutionieren». Mandelbaum Verlag. Wien 2023. 320 Seiten. 30 Franken.