Lastwagenlawine: Die Strassen zu billig, die Bahn zu teuer

Nr. 7 –

Vor dreissig Jahren wurde die Alpeninitiative angenommen. «Güter auf die Schiene» lautete die Forderung, die die Verkehrspolitik der Schweiz nachhaltig verändern sollte. Doch heute braucht es wieder neue Impulse, um die Verlagerung voranzutreiben.

Die Schweiz sieht sich gerne als Pionierin. Und manchmal ist sie es sogar. So werden drei Viertel der Güter, die die Schweizer Alpen queren, auf der Schiene transportiert. Zum Vergleich: In Österreich beträgt der Anteil des Schienengüterverkehrs durch die Alpen ein Viertel, in Frankreich nicht einmal zehn Prozent.

Dass die Schweiz damit punkto ökologischen Gütertransports die Nase vorne hat, ist das Verdienst der Alpeninitiative, die 1994 vom Stimmvolk angenommen wurde: Sie forderte die Verlagerung des alpenquerenden Gütertransports von der Strasse auf die Schiene.

Probleme bei der Verlagerung

Doch in den letzten drei Jahren ist die positive Entwicklung zum Erliegen gekommen. Die Anzahl alpenquerender Lastwagen nimmt wieder zu. So waren 2022 im Vergleich zum Vorpandemiejahr 2019 rund 29 000 Lastwagen mehr auf den Strassen durch die Schweizer Alpen unterwegs – insgesamt rund 927 000. Im entsprechenden Bericht des Bundes wird denn auch eingeräumt, dass «die zusätzliche Verlagerung trotz eines umfassenden Instrumenten- und Massnahmensets nicht von selbst verläuft».

Das Bundesamt für Verkehr sieht die Schuld dafür allerdings in erster Linie aufseiten des Bahnverkehrs. «Verschiedene Faktoren wie die Verspätung vieler Züge, die zahlreichen und oftmals schlecht koordinierten Baustellen auf dem Eisenbahnnetz und der langsame Ausbau der nördlichen Neat-Zulaufstrecken hemmen aktuell die Verlagerung», erklärt Michael Müller, Mediensprecher des Bundesamts.

Tatsächlich seien die Baustellen im deutschen Bahnnetz ein grosses Problem, anerkennt auch die Alpeninitiative. Die Probleme bei der Verlagerung könnten jedoch nicht nur auf das Ausland abgeschoben werden, findet Geschäftsleiter Django Betschart: «Fünfzig Prozent des Verkehrs durch die Alpen kommen aus der Schweiz. Grund dafür ist der verzerrte Wettbewerb zwischen Strasse und Schiene.» Die Leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe (LSVA), die Lastwagen entrichten müssen, decke die Kosten, die vom Schwerverkehr für Umwelt und Gesellschaft entstünden, bei weitem nicht. Hinzu kommt eine ungünstige Preisentwicklung: Der Strom ist teuer geworden, die Trassenpreise sind ebenfalls hoch. In der Folge hat die Schiene im Vergleich zur Strasse preislich an Attraktivität verloren.

Streitpunkt Finanzen

Der Bund hat nun zwei Massnahmen beschlossen, um die Verlagerung von neuem voranzutreiben. Einerseits soll die Leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe an die Teuerung angepasst und deshalb ab 2025 um fünf Prozent erhöht werden. Ein wichtiger Schritt – da die Tarife seit 2012 nicht mehr angepasst wurden. Die Abgabe ist also faktisch immer billiger geworden. Die Alpeninitiative begrüsst diese Massnahme grundsätzlich, bemängelt allerdings, dass die Anpassung nicht der effektiven Teuerung entspreche. «Die LSVA könnte gut zehn Prozent teurer gemacht werden», so Betschart.

Ausserdem möchte der Bund das Potenzial der kürzeren Transitstrecken vermehrt ausschöpfen. Während der Gütertransport von den Häfen in Rotterdam und Antwerpen bereits zu einem grossen Teil auf der Schiene abgewickelt wird, besteht bei Gütern aus näheren Destinationen, zum Beispiel aus Süddeutschland, noch Nachholbedarf. Die Verlagerung auf diesen kürzeren Strecken soll nun durch eine Umschichtung der Fördermittel unterstützt werden.

«Die Stossrichtung ist gut», findet Betschart. «Aber da damit Fördergelder bei den Langstrecken gekürzt werden, besteht die Gefahr, dass es bei diesen zu einer Rückverlagerung auf die Strasse kommt.» Weil in der Transportbranche der Preis ausschlaggebend ist, könnte dieser finanzpolitische Entscheid im schlimmsten Fall dazu führen, dass letztlich noch mehr Lastwagen auf den Strassen Europas und der Schweiz unterwegs sind.

Was die unterschiedlichen Argumente von Bund und Alpeninitiative verdeutlichen: Verlagerungspolitik ist ein hochkomplexes Feld. «Für jeden Transport wird neu entschieden, ob er auf der Strasse oder der Schiene befördert wird», sagt Müller. «Die Rahmenbedingungen der Verlagerungspolitik müssen sich somit auf einen dynamischen Markt und ein ständig wechselndes Umfeld einstellen.»

Die dreissig Jahre seit der Annahme der Alpeninitiative haben aber gezeigt, dass Verlagerung durchaus gelingen kann. «Das Ziel, dass nicht mehr als 650 000 Lastwagen pro Jahr die Alpen queren sollen, haben wir zwar noch nicht erreicht», sagt Geschäftsleiter Betschart, aber es sei eben auch schwierig, in einer wirtschaftlich wachsenden Welt eine absolute Zahl zu erreichen. Als die Alpeninitiative 1989 lanciert wurde, hätte sich kaum jemand das heutige Verkehrsaufkommen vorstellen können. «Ohne die Verlagerungspolitik würden jährlich rund 800 000 Lastwagen mehr als heute die Schweizer Alpenstrassen belasten», sagt Müller vom Bundesamt für Verkehr.

Die nächsten Jahre werden zeigen, wie sich der Verlagerungstrend entwickelt. Eins ist aber sicher: Die Alpeninitiative wird die Verkehrspolitik der Schweiz weiterhin kritisch begleiten.