Läderach-Skandal: Blinder Fleck Privatschulen

Nr. 39 –

In der freikirchlichen Schule Domino Servite (heute Christliche Schule Linth) des Schokoladenproduzenten Jürg Läderach wurden in den neunziger Jahren Kinder systematisch misshandelt. Das hat letzte Woche ein SRF-Dokfilm ans Licht gebracht. Die Schule im st.-gallischen Kaltbrunn wird bis heute von der Evangelischen Gemeinde Hof Oberkirch geführt und ist staatlich bewilligt. Der Kanton, bei dem die Aufsichtspflicht liegt, hat jahrzehntelang keine Missstände festgestellt.

Der Skandal verlangt nicht nur nach einer juristischen Aufarbeitung. Er wirft auch ein Schlaglicht auf den Umgang der Kantone mit religiös oder ideologisch geprägten Privatschulen. Von diesen gibt es einige: Im freikirchlichen Umfeld etwa betreibt allein die «Initiative für christliche Bildung» schweizweit vierzehn Einrichtungen für Kinder und Jugendliche. Christliche Fundamentalist:innen sind auch bei der katholischen Piusbruderschaft am Werk, die insgesamt sieben Schulen betreibt.

Dass Kinder, wie in Kaltbrunn geschehen, körperlich gezüchtigt werden, dürfte eine Ausnahme sein. Doch der Staat hat auch darüber hinaus die Pflicht, Schulkinder zu schützen: vor unwissenschaftlichen Theorien, vor Verschwörungsideologien, vor geschlossenen Weltbildern.

Der Kanton St. Gallen geriet bereits im Sommer 2022 in die Kritik. Damals bewilligte man eine der rechtsesoterischen Anastasia-Bewegung nahestehende Privatschule (siehe WOZ Nr. 28/22). In der Post-Corona-Realität entstehen aber auch in anderen Kantonen zahlreiche ähnliche Projekte. Verschwörungsideolog:innen, die ihre Kinder vor der bösen Staatsschule retten wollen, schliessen sich in Telegram-Chats zusammen, organisieren Vernetzungstreffen, gründen Lerngruppen und Schulen. Die Behörden machen es ihnen leicht: Meist wird der ideologische Hintergrund der Projekte nicht genau ausgeleuchtet. Und wenn, dann verhindert das die Bewilligung kaum – solange die Initiant:innen beteuern, dass sie sich an den kantonalen Lehrplan halten wollen. Zwar unterscheiden sich die konkreten Privatschulgesetze der Kantone graduell. Doch die meisten erteilen Schulbewilligungen nach dem Grundsatz, dass nur das Konzept, nicht aber der weltanschauliche Hintergrund bewertet wird.

Natürlich gibt es in der pluralistischen Demokratie gute Gründe, Schulen von weltanschaulich unterschiedlichen Trägerschaften zuzulassen. Gerade bei religiösen Gemeinschaften wie der jüdischen würde ein Verbot von eigenen Schulen an dunkle Zeiten erinnern. Doch das gemeinsame Fundament aller Bildungseinrichtungen muss das Bekenntnis zu humanistischen und demokratischen Werten sein. So hat es 2016 auch das Bundesgericht in einem Urteil festgehalten: «Schülerinnen und Schüler dürfen keinen pädagogischen oder weltanschaulichen Einflüssen ausgesetzt werden, die den Zielen der Volksschule in grundlegender Weise zuwiderlaufen.»

Die Regeln der Kantone, die das gewährleisten sollen, sind maximal ungenügend. Das zeigen gerade die neuen Post-Corona-Schulen: Staatsfeindliche Motive lassen sich leicht hinter netten Konzepten mit Schlagwörtern wie «Montessori» oder «ganzheitliches Lernen» verbergen. Der Skandal um die Läderach-Schule wiederum führt drastisch vor Augen, dass angekündigte Visitationen nicht ausreichen, um sich ein realistisches Bild davon zu machen, was eine Privatschule verbreitet und wie Kinder behandelt werden. Was es braucht, sind einerseits klare gesetzliche Kriterien, wann eine Trägerschaft keine Schule gründen darf – etwa bei rassistischen Bezügen oder sektiererischen Tendenzen. Und religiös oder ideologisch geprägte Privatschulen müssen engmaschiger kontrolliert werden. Ansonsten wird es immer mehr Weltanschauungsinseln geben, geschlossene Systeme, in denen Kinder schlimmstenfalls gequält werden.

Übrigens: Der zitierte Bundesgerichtsentscheid bezieht sich auf ein abgelehntes Gesuch für einen islamischen Kindergarten. Muslimische Privatschulen gibt es in der Schweiz bislang keine. Nicht überraschend, pochen die Behörden ausgerechnet hier auf die humanistischen Werte.