Ehe für alle: Der reaktionäre Filz der Schweiz

Nr. 37 –

Wenn am 26. September über die Ehe für alle abgestimmt wird, hoffen rechtskonservative ChristInnen auf ein wuchtiges Nein. Davor trifft sich die «Lebensrechtsbewegung» zum «Marsch fürs Läbe». Einblick in die Strukturen hinter dieser Bewegung.

Hier finden viele ein Schild, das sie gerne hochhalten: Der «Marsch fürs Läbe» (hier in Zürich, 2019) vereint konservative christliche Kreise. Foto: Ursula Häne

«In meinem Herzen bin ich eigentlich ein Grüner»: Mit diesen Worten beginnt ein Kampagnenvideo des Komitees «Ehe für alle Nein». Der Mann im Video legt viel Pathos in seine Worte, als er erklärt, dass seine Familie Bioprodukte kaufe und es ihm wichtig sei, dass die Natur im ökologischen Gleichgewicht stehe.

Dann lächelt Christoph Keel-Altenhofer väterlich und sagt, dass es auch eine Humanökologie gebe, die genauso aus dem Gleichgewicht geraten könnte wie das Klima. Wie er das meint, bleibt unklar. Entsprechen Leihmutterschaft und Samenspende in dieser Logik dem Verbrennungsmotor?

Keel-Altenhofer ist ein vielbeschäftigter Mann. Wenn am kommenden Wochenende in Zürich Oerlikon der «Marsch fürs Läbe» (MFL) stattfindet, die grösste öffentliche Bekundung der selbsternannten «Lebensrechtsbewegung» in der Schweiz, wird er vermutlich wieder eine tragende Rolle spielen. Er ist gemäss MFL-Website Aktuar des gleichnamigen Vereins und Mitglied des Organisationskomitees. Daneben betreibt er die Onlineplattform «Für gesunde Familien», den Flyerversand Flyer-überall und ein Spendentool für gemeinnützige Organisationen namens Give By Click, die allesamt in die Gegenkampagne zur Ehe-für-alle-Abstimmung eingebunden sind. Gerne hätte die WOZ Genaueres über seine Beteiligung an der Ehe-für-alle-Gegenkampagne sowie am «Marsch fürs Läbe» erfahren, doch Keel-Altenhofer lehnte ein Gespräch ab.

Besonders interessant ist seine Rolle als Sekretär von Human Life International Schweiz (HLI), die als Trägerin des Vereins Marsch fürs Läbe agiert: Human Life International ist eine in den USA gegründete «Lebensrechtsorganisation», mittlerweile wohl die grösste der Welt mit Ablegern in 51 Ländern. HLI ist dabei alles andere als harmlos: Bekannt ist etwa der Fall der Wiener Abtreibungsklinik Lucina, die nach militanten Störaktionen von HLI Österreich 2005 Konkurs anmelden musste, wie damals «Der Standard» berichtete. Daraufhin kaufte HLI die Räumlichkeiten gemäss dem Zeitungsbericht auf, um darin ein «Babycaust»-Museum zu errichten. «Babycaust» ist ein unter militanten AbtreibungsgegnerInnen verbreitetes Kofferwort aus «Baby» und «Holocaust», in Deutschland kam es bereits zu Verurteilungen wegen dessen öffentlicher Verwendung.

Auch HLI Schweiz, vom Kanton Zug als gemeinnützig anerkannt, organisiert immer wieder «Gebetsprozessionen» zu Orten, an denen Abtreibungen vorgenommen werden, etwa vor die Frauenklinik des Universitätsspitals in Zürich. Im November 2020 hielt die Organisation im Volkshaus in Zürich eine Tagung mit dem Titel «Ehe für alle – wo bleibt das Kindswohl» ab. Und sie kämpft auch gegen Fortpflanzungsmedizin, gegen Organspenden und seit neustem gegen Coronamassnahmen: HLI ist aktiver Teil der Koalition gegen das revidierte Epidemiengesetz und «informiert» auf ihrer Website wenig fundiert über die Coronaimpfung. HLI-Vereinspräsident Roland Graf machte zudem in den letzten Monaten als «Impfgegner-Pfarrer» von sich reden. Wie der «Blick» berichtete, riet der Schwyzer in einem Pfarrblatt besonders «Personen im gebärfähigen Alter» von der Impfung ab, was sogar innerhalb der katholischen Kirche für Aufsehen sorgte und den Churer Bischof mit einer Rüge auf den Plan rief.

Seminar zu Sexualität in der Ehe

Eine wichtige Trägerin des «Marsches fürs Läbe» ist die Schweizerische Evangelische Allianz, die ebenfalls die Kampagne gegen die Ehe für alle mitträgt. Trägerschaft bedeutet laut dem Präsidenten der Allianz, dem Arzt Wilf Gasser, dass «jährlich ein kleiner Beitrag» an den Verein gezahlt wird, Informationen aus dem Organisationskomitee weitergegeben werden und die Themensetzung beeinflusst werden kann. Zudem ermutige die Allianz über ihre Kanäle zur Teilnahme am Marsch, wie Gasser gegenüber der WOZ schriftlich bestätigt.

Prominenteste Aushängeschilder der Allianz, die 460 lokale landes- und freikirchliche Gemeinden sowie 160 weitere christliche Organisationen in sich vereint, sind Marc Jost und der besagte Wilf Gasser. Dieser ist wie auch Jost ehemaliger Grossrat der Evangelischen Volkspartei (EVP) Bern. Er gehört zum MFL-Organisationskomitee, bietet zusammen mit seiner Frau Seminare zu Sexualität in der Ehe an und kämpfte besonders während seiner Zeit als Grossrat gegen Pornografie. Und Gasser ist Stiftungsrat der Stiftung Südland von EVP-Mann Bernhard Zaugg, zu der mehrere medizinische Praxen sowie Grundversorgungsangebote gehören.

Dass religiöse Konservative in den Gesundheitssektor drängen, überrascht nicht. So ist etwa die Pro-Life-Krankenversicherung, offizielle Logistikpartnerin des MFL, gemäss der Zeitschrift «Beobachter» ein «lukratives Geschäftsmodell» für AbtreibungsgegnerInnen. Renato Solomita ist Geschäftsführer der Zusatzversicherung, die von ihren rund 70 000 Mitgliedern einen schriftlichen Verzicht auf Abtreibung einfordert und einen Umsatz von rund zwölf Millionen Franken macht. Gemäss derselben Recherche unterstützt Pro Life mit diesen Geldern Initiativen wie den «Marsch fürs Läbe».

Erfolgreich dank Jesus

Die erwähnten AkteurInnen sind alle eingebunden in eine umfangreiche digitale Infrastruktur für ChristInnen und Evangelikale. Die grösste dieser Plattformen ist hierzulande das Medienportal des Vereins Livenet, zu dem unter anderem auch die Newssite jesus.ch gehört. Laut einem Werbevideo «vernetzt und verbindet Livenet Menschen mit Gott und miteinander» und informiert darüber, was «abgeht in der christlichen Szene». Zu Livenet gehören auch zahlreiche Beratungsseiten, Foren und Jobportale. Gerade Branchenverzeichnisse, wie Livenet sie mit über tausend Firmen auf seiner Website führt, geben gute Einblicke, wie sich unter der Prämisse christlicher Unternehmenswerte netzwerken lässt.

Unter anderem findet sich dort die Rohstofffirma BB Wertmetall. Kopf des Unternehmens ist der Goldhändler Werner J. Ullmann, der seine Karriere laut eigener Aussage Jesus verdankt. Der «Rohstoffguru» gab in einem Interview mit dem zum christlichen Medienunternehmen ERF gehörenden Radiosender Life Channel an, dass er biblische Finanzprinzipien verfolge: «Silber und Gold sind von Gott geschaffen, Geld ist eine menschliche Erfindung.» Claudio Killias, Assistent der Geschäftsleitung bei BB Wertmetall, betreibt nebenher den fundamentalistischen Dienst «Jesus rettet», der unter anderem die «übernatürliche Heilung» von Covid-19 propagiert.

Grosse Namen mit grossen Werten

Im Dunstkreis dieser Unternehmensstrukturen finden sich immer wieder auch traditionsreiche Markennamen wie Läderach (Schokolade) oder Rimuss (Traubensaft). Rimuss wurde 1954 vom Evangelikalen Jakob Rahm gegründet, nach dessen Tod 1969 übernahmen seine Söhne das Geschäft. Einer der beiden, der 2015 verstorbene Emil Rahm, verbreitete als Publizist der extremen Rechten antisemitische Verschwörungstheorien. Und als SVP-Politiker sammelte er Stimmen gegen die Antirassismusstrafnorm. Die hauseigene Rimuss-Stiftung unterstützte lange zahlreiche christlich-konservative Organisationen und Vereine finanziell, doch schliesslich übernahmen sich die Rahms. 2017 wurde das angeschlagene Unternehmen verkauft, es befindet sich seither im Besitz des Bündner Weinbauers und SVP-Grossrats Andrea Davaz, der sein Handwerk wiederum vom verstorbenen Emil Rahm gelernt hatte.

Auf Anfrage der WOZ hält Davaz fest, dass «zwischen Rimuss und den genannten Institutionen», darunter der Verein Marsch fürs Läbe, keine finanziellen Verbindungen bestünden. Ideelle aber sehr wohl: Auf der zu Livenet gehörenden Newssite jesus.ch äusserte sich Robert Rahm bereits 2017 dankbar darüber, dass Davaz die christlichen Werte der Familie Rahm teile. Im Branchenverzeichnis von Livenet ist auch die neue Firma Rimuss & Strada aufgeführt.

Genauso wie Läderach. Der Name des ehemaligen CEO Jürg Läderach verschwand vor zwei Jahren aus dem Organisationskomitee des «Marsch fürs Läbe», nachdem bekannt geworden war, dass die Schokoladendynastie den Verein Christianity for Today, Trägerin des MFL, leitet und womöglich Läderach-Einnahmen an die organisierte Abtreibungsgegnerschaft fliessen.* Auf der Website des MFL sind die «Christen für die Wahrheit», wie die evangelikale Missionsorganisation auf Deutsch heisst, weiterhin aufgeführt. Präsidiert wird die Organisation, die sich für Enthaltsamkeit und gegen Abtreibung einsetzt, nach wie vor von Jürg Läderach.

* In einer ersten Fassung hiess es, die Airline Swiss kündigte damals die Zusammenarbeit mit Läderach auf. Das ist nicht zutreffend: Die Zusammenarbeit zwischen der Swiss und Läderach war auf zehn Jahre befristet und lief im November 2019 aus.