Erwachet!: In anderen Sphären

Nr. 38 –

Michelle Steinbeck übt sich in «Schwangerenkonversation»

Kürzlich fragte mich ein Freund, ob ich denn nun, da ich schwanger sei, schon einen neuen Mum-Friends-Circle hätte. Auf meine leichte Irritation hin reagierte er mit einer steilen These: Meine bisherigen Freundinnen würden sich halt bald nicht mehr dafür interessieren, was ich zu erzählen hätte. Er, selber ohne Kind, beharrte «aus Erfahrung» darauf, dass Freundinnen, die keine Kinder hätten, sich mit mir langweilen würden: «Die wollen nicht dauernd von Kacka hören.»

Wir wechselten das Thema und sprachen über Hatespeech im Internet, über Radikalisierungskanäle und die technischen Mittel zu deren Nachverfolgung – ein spannender Austausch, nur leicht überschattet von seiner impliziten Weissagung, dass ich zu solchen Gesprächen künftig nicht mehr eingeladen respektive schlicht nicht in der Lage sein würde. Ich legte sie ab als weitere Episode eines gut gemeinten, etwas unbeholfenen Versuchs einer «Schwangerenkonversation», in der ich schliesslich selbst wenig geübt bin.

Er hat ja nicht nur Unrecht: Ich bin heilfroh um die Erfahrungen von Freundinnen mit Kindern, die meine neue Situation mit hilfreichen Ratschlägen oder ausgedienten Utensilien, von denen ich noch nie gehört habe, begleiten. Gleichzeitig traf er einen wunden Punkt: Von Anfang an hatte ich Angst, dass ich über dieser Veränderung Freundschaften verlieren könnte. Aber wieso eigentlich? Hatten sich diese Beziehungen über die Jahre nicht als anpassungsfähig erwiesen? Die wechselseitige Anteilnahme an den verschiedenen Lebenswelten und Wahrnehmungen hielt bisher allen Entwicklungen stand – wieso sollte mir gerade jetzt die Empathie verweigert werden?

Da war die diffuse Vorahnung einer existenziellen Trennung der Sphären, die sich immer mehr bestätigen sollte. Ich erinnere mich, wie ich davor fast heimlich Artikel von Schriftstellerinnen las, die über ihre Mutterschaftserfahrungen berichteten. Als hätte ich erst die Berechtigung, darüber mehr zu erfahren, wenn ich selbst in ihrer Situation wäre. Diese fixe Idee von der Isolierung und Auslagerung aller Themen, die irgendwie mit «Kinderkriegen» zu tun haben, begegnet mir nun überall. Als wären es extrem partikulare Randgruppeninteressen, von denen sich Nichtbetroffene belästigt fühlen müssten.

«Hast du gehört? Soundso ist schwanger.» – «Ja, scheisst mich bitz an. Wenn sie jetzt nur noch darüber reden kann.» Gesprächsfetzen wie dieser, die ich früher wohl überhört habe, drängen immer mehr in mein Bewusstsein und damit die Frage: Woher kommt die verblüffend unreflektierte Selbstverständlichkeit, für gerade dieses Thema kein Interesse aufbringen zu wollen, ja, es auf das Niederste zu reduzieren (Stichwort Kacka) und zu diffamieren? Woher die gesellschaftliche Akzeptanz für so schamlos geäusserte Ignoranz, selbst in Kreisen, die sich ansonsten als offen, progressiv, gar feministisch geben? Und wieso läuten bei einem derartigen Akt des Abschreibens einer Person aufgrund ihrer Schwangerschaft nicht alle Solidaritätsglocken?

Den Beginn einer Antwort finde ich bei Marx’ Schwiegersohn Paul Lafargue oder bei Silvia Federici. Beide beschreiben eindrückliche Strategien, mit denen über Jahrhunderte die Leistungen der Schwangerschaft, Geburt und Mutterschaft abgewertet wurden – um den Boden für das kapitalistische Patriarchat zu ebnen. Ich suche weiter.

Michelle Steinbeck ist Autorin. Sie empfiehlt Federicis «Caliban und die Hexe» und die «Geschlechterverhältnisse» von Lafargue in der kritischen Ausgabe mit einer Einleitung der Sozialphilosophin Frigga Haug.