Erderhitzung: So warm wars im Meer noch nie

Nr. 18 –

Die Oberflächentemperatur der Ozeane ist auf ein neues Hoch gestiegen. Die Schweizer Klimawissenschaftler Thomas Frölicher und Reto Knutti ordnen ein.

Seit Mitte März liegt die durch Satelliten gemessene durchschnittliche Oberflächentemperatur der Weltmeere auf einem Rekordniveau. Im April lag die Durchschnittstemperatur zwischen den 60. südlichen und nördlichen Breitengraden zwischenzeitlich auf dem absoluten Rekordmass von 21,1 Grad.

Thomas Frölicher ist Professor für Klima- und Umweltphysik an der Uni Bern und forscht seit Jahren zu den Auswirkungen des Klimawandels auf die Weltmeere. Er hat als leitender Autor auch ein entsprechendes Kapitel im neusten Uno-Klimabericht mitverfasst. Frölicher findet die Situation besorgniserregend, da das Wetterphänomen El Niño, das die Meeresoberfläche zusätzlich erhitzt, noch gar nicht begonnen habe. «Wir befinden uns derzeit in einer neutralen Enso-Phase, und trotzdem wurde ein neuer Rekord aufgestellt», sagt er.

Enso besteht aus drei Phasen, der sogenannten neutralen Phase, dem El Niño und seinem Gegenstück, der La Niña. In den letzten drei Jahren war es aufgrund der ausgeprägten La-Niña-Phase – mit starken Passatwinden und kaltem Meeresoberflächenwasser im äquatorialen Ostpazifik – relativ kühl. Beim El-Niño-Phänomen, das alle paar Jahre auftritt, ist der Auftrieb von kaltem Untergrundwasser aufgrund von schwächeren Passatwinden reduziert, was die Wassertemperatur im Pazifik stark ansteigen lässt und globale Wetterauswirkungen nach sich zieht.

Folgen für den Golfstrom

Frölicher betont, dass die Ozeane mit fast neunzig Prozent den weitaus grössten Anteil der zusätzlichen Wärme aufnehmen, die aufgrund der erhöhten Treibhausgaskonzentrationen in der Atmosphäre entsteht. Als Folgen des wärmeren Wassers können etwa Korallen ausbleichen und absterben, Fischarten wandern in kältere Gebiete ab. Auch nimmt bei einer wärmeren Oberflächentemperatur tendenziell die Durchmischung mit kälteren tieferen Wasserschichten ab. Das werde, so Frölicher, in den nächsten Jahrzehnten auch den Golfstrom beeinträchtigen und abschwächen.

Der geringere Austausch zwischen den Meeresschichten führe auch dazu, dass das Wasser weniger effizient CO₂ aus der Atmosphäre aufnehmen und speichern könne, was wiederum den Treibhauseffekt weiter verstärke. Frölicher geht zudem davon aus, dass das wärmere Wasser zu den Hitzewellen auf dem Land beitragen kann, wie sie derzeit etwa in Spanien, Nordafrika und in Teilen Asiens auftreten. Allerdings sei dieser Zusammenhang noch zu wenig erforscht, um robuste Aussagen zu machen.

Neben der Wasseroberflächentemperatur steigt auch die Temperatur in den tieferen Meeresschichten. «Gemittelt über die obersten 2000 Meter Tiefe, nimmt die Temperatur stetig zu, und es gibt beinahe jedes Jahr einen neuen Temperaturrekord», sagt Frölicher. Wärmeres Wasser nimmt auch mehr Platz ein als kälteres, weshalb die höhere Meerestemperatur zum Anstieg des Meeresspiegels beiträgt.

Fatal langsame Politik

Laut Reto Knutti, Klimaforscher an der ETH Zürich, sind die Extremereignisse, wie wir sie derzeit beobachten, «völlig konsistent» mit dem, was die Wissenschaft vorausgesagt hat. Je schneller die Klimaveränderung voranschreite, desto deutlicher würden bisherige Rekorde überschritten. Insbesondere sei mit weiteren massiven Hitzewellen zu rechnen, bei denen alte Rekorde geradezu «zerschmettert» würden.

Knutti betont, dass die Gesellschaft in keiner Weise auf solche Ereignisse vorbereitet sei. «Die Politik reagiert meist erst dann, wenn etwas schon passiert ist.» Sie sei viel zu wenig vorausschauend. Das sei fatal, wenn sich wie jetzt die Bedingungen rasch ändern würden: «Die Zukunft ist keine lineare Fortsetzung der Vergangenheit. Wir müssen gewisse Lösungen völlig neu und anders denken.»