Fünfzig Jahre Skandale: Selbst­verschuldet in den Ruin

Nr. 12 –

Sie wollten in der obersten Liga der globalen Banken mitspielen. Koste es, was es wolle. Die Manager der Credit Suisse reihten dabei Skandal an Skandal. Dennoch liessen Politik und Aufsicht sie machen – bis zum bitteren Ende.

Eingang beim CS-Hauptsitz in Zürich
Zweifelhafte Geschichte hinter properer Fassade. Foto CS-Hauptsitz: Caroline Minjolle

Am Schluss geht es sehr schnell. Der Absturz einer mittelgrossen Bank in den USA sowie die unbedachte Äusserung eines führenden Aktionärs – und die Credit Suisse implodiert. Kund:innen ziehen Millionengelder im Sekundentakt ab, andere Banken weigern sich, weitere Geschäfte mit der CS zu machen. Die einst so stolze Zürcher Bank ist zum Paria geworden: Bloss Abstand gewinnen, um nicht mit in den Abgrund gerissen zu werden! Jetzt gehört die CS der UBS, und der Staat trägt das Risiko. Was für ein Scherbenhaufen! Was für eine Blamage für den Finanzplatz Schweiz! Wie nur konnte es so weit kommen?

Wendepunkt in Chiasso

Die Schweizerische Kreditanstalt (SKA) – wie sie früher hiess – ist bis spät in die siebziger Jahre eine eher konservative Institution. Der Verwaltungsrat setzt sich lange aus Vertretern der Zürcher Oberschicht und Industriellen zusammen – meist ist auch ein ehemaliger freisinniger Bundesrat dabei. Dann platzt 1977 der Chiasso-Skandal: Die Südtessiner Filiale der SKA hatte über Jahre hinweg Steuerfluchtgelder aus Italien angenommen und sie heimlich in eine Liechtensteiner Investmentfirma weitergeschleust.

Solche Gelder anzunehmen, ist damals unter den Schweizer Banken weitverbreitet. Doch im Fall Chiasso wurden die Kund:innen in krimineller Weise getäuscht, viele Investitionen haben sich als Flops erwiesen, der Schweizer Staat wurde um 190 Millionen Franken Verrechnungssteuer betrogen. Die Generaldirektion in Zürich wusste seit Jahren von dem Treiben, hatte jedoch angesichts der rosigen Zahlen aus Chiasso weggeschaut. Letztlich schreibt die Bank einen Verlust von 1,4 Milliarden. Die SKA-Aktien stürzen ab, die Schweiz ist entsetzt, Medien und Parteien sind empört. Die ungenügende Bankenaufsicht wird gerügt. Schliesslich muss der Präsident der Generaldirektion den Hut nehmen, später werden mehrere SKA-Manager verurteilt.

Fotomontage: Schaufenster beim CS-Hauptsitz in Zürich mit Foto der Statue von Alfred Escher, Foto von Rainer E. Gut
Alfred Escher gründet die Schweizerische Kreditanstalt 1856 zur Finanzierung des Gotthardtunnels. Rainer E. Gut richtet die Bank ab 1978 Richtung USA aus. Fotos: Ursula Häne), Keystone
Fotomontage: Schaufenster beim CS-Hauptsitz in Zürich mit Foto von Personen mit SKA-Skimützen, Foto von Diktator Ferdinand Marcos
Ob Skimützen oder Sponsoring von Sport, Kultur und bürgerlichen Parteien: Die CS durchdringt die Schweiz. Und verwaltet Schwarzgeld von Diktatoren wie Ferdinand Marcos. Fotos: Keystone, Getty

Neuer starker Mann in der SKA wird nach dem Chiasso-Skandal Rainer E. Gut, der in den nächsten Jahren die Bank grundlegend umbaut, zuerst als Generaldirektor, dann ab 1983 als Verwaltungsratspräsident. Gut popularisiert die SKA, um mehr Kund:innen zu gewinnen und damit mehr Spielgeld zu erhalten. Bis 1993 lässt er 800 000 Skimützen mit dem SKA-Logo unters Volk bringen. Die Bank beginnt, beliebte Sportanlässe zu sponsern, so ab 1978 die Tour de Suisse. Chiasso wird zur Erfolgsstory umgedichtet. Und so heisst es 1979 mit arrogantem Unterton: «Unsere Bank hat bewiesen, welche harten Schläge ein privatwirtschaftliches Unternehmen einstecken kann, ohne der Öffentlichkeit Verluste aufzubürden, wie das bei staatlichen Institutionen fast zwangsläufig eingetreten wäre.»

Aufbruch in die USA

Die Strategie geht vorerst auf. Die SKA macht in den achtziger Jahren eins ums andere Jahr mehr Gewinn. Der Finanzplatz geniesst eine nicht gekannte Popularität. Die Bankeninitiative der SP – als Reaktion auf den Chiasso-Skandal – wird 1984 von der Stimmbevölkerung mit 73 Prozent verworfen. Auch wenn in den folgenden Jahren bekannt wird, dass die SKA Millionen Mafiagelder der sogenannten Pizza-Connection und Drogengeld der Libanon-Connection wusch und Hunderte Millionen des philippinischen Diktators Ferdinand Marcos hortete – wirklich gefährlich wird das für die Bank nicht. Sie schiesst bei Bedarf immer mal wieder gerne auf Medien und Kritiker:innen: «Alles, was uns betrifft, wird aufgebauscht», sagt 1989 der damalige SKA-Generaldirektor Robert Jeker zu den Geldwäschereivorwürfen.

Die Banker entwickeln in den achtziger Jahren ein ganz neues Selbstbewusstsein. Es ist die Zeit des neoliberalen Aufbruchs. Schon 1978 hatte die Zürcher FDP den Wahlspruch «Mehr Freiheit – weniger Staat» erfunden. US-Präsident Ronald Reagan und die britische Premierministerin Margaret Thatcher beseitigen Anfang der achtziger Jahre regulatorische Hürden für die Finanzindustrie. Die Banker aus dem provinziellen Zürich gehen in die weite Welt und sind an vorderster Front dabei, als die Finanzindustrie zum zentralen Akteur des Kapitalismus wird.

«Rainer E. Gut landet den Supercoup», titelt der «Tages-Anzeiger» 1988. Die SKA sichert sich Ende der achtziger Jahre Stück für Stück die Kontrolle über die First Boston – eine der grössten Investmentbanken der USA –, am Schluss auch dank Milliardengeldern des saudischen Firmenkonglomerats Olayan. Die Investmentbank wird zur Cashmaschine. Spitzenbanker erhalten Saläre und Boni im zweistelligen Millionenbereich.

Aus der altehrwürdigen SKA wird die Credit Suisse – und die wächst unaufhörlich. 1993 kauft sie die Volksbank, 1996 will Rainer E. Gut gar mit der grösseren SBG (heute UBS) fusionieren. In einem «streng vertraulichen Brief» an die SBG beschwört Gut im Fall einer Fusion «Quantensprünge». UBS-Chef Niklaus Senn lehnt pikiert ab und macht die CS-Avancen öffentlich. Die CS kauft sich stattdessen 1997 die Winterthur-Versicherungen und schwört deshalb ein paar Jahre lang auf die «Allfinance-Strategie». Derweil gerät ihr Investmentbankzweig Ende des Jahrhunderts erstmals in gröbere Schwierigkeiten: 1998 verliert die Abteilung Hunderte Millionen US-Dollar mit faulen Staatskrediten im jetzt kapitalistischen Russland. Ein Jahr später dann gibt es in Japan ein Riesendebakel, weil auffliegt, dass die CS Kund:innen beim Fälschen von deren Bilanzen geholfen hatte.

Merkt der Staat zu dieser Zeit, was für Monster da heranwachsen? In der «Weltwoche» fordert der Ökonomieprofessor Thomas von Ungern-Sternberg 1999, dass sich die Schweizer Banken vom Investmentbanking zurückziehen, das Risiko von grossen Verlusten sei zu hoch. Die WOZ zitiert im gleichen Jahr Daniel Zuberbühler, den Chef der Eidgenössischen Bankenkommission, mit den Worten: «Der Zusammenbruch einer Grossbank wäre für jeden Staat ein Problem, für uns wäre es eine Katastrophe.»

Ein Banker belehrt die Politik

Einer, der damals den Grössenwahn und die neoliberale Ideologie wie kein Zweiter verkörpert, ist Lukas Mühlemann, der 1997 CEO und später zusätzlich Verwaltungsratspräsident der Credit Suisse wird. Mühlemann gehört zum Umfeld der «Schweizer Wirtschaftsführer», die im Weissbuch «Mut zum Aufbruch» radikale Deregulierungen fordern. Mühlemann doppelt später in einem Artikel im «Magazin» unter dem Titel «Was die Politik von einem Unternehmen lernen muss» nach. Er skizziert dabei den Umbau der Schweiz nach autoritären, rein marktorientierten Vorgaben, die Einschränkung der Volksrechte, die Abschaffung des Preisüberwachers sowie die Privatisierung von Energieversorgung, Verkehrsbetrieben, Radio, TV und Schulen.

Ende 2002 muss Mühlemann gehen. Sein Expansionskurs hatte die Bank «in riskante Gewässer geführt», wie die NZZ schreibt. «Geblendet vom Jahrhundertboom der Finanzmärkte, bedachte man das Risiko zu wenig.» Die nächsten Jahre sind geprägt von Rekordgewinnen, aber auch immer wieder von horrenden Verlusten. In der Finanzkrise von 2008 muss sich die CS vom saudischen Grossaktionär Olayan und dem katarischen Staatsfonds stützen lassen, während die UBS vom Staat gerettet wird.

2011 wird Urs Rohner Verwaltungsratspräsident. Er ist bis zu seinem Abgang 2021 Garant dafür, dass das Spiel weitergeht. Zwar heisst es immer mal wieder, man plane, die Investmentbank zu redimensionieren. Doch es fehlt der Druck des Staates, das auch wirklich zu tun. Dabei fordern die Exzesse der nuller Jahre weiteren Tribut. 2014 muss die CS in den USA eine Busse von 2,6 Milliarden Dollar wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung zahlen, 2016 gar 5,3 Milliarden wegen illegaler Geschäfte im Zusammenhang mit Hypotheken. Von Risikobewusstsein fehlt jede Spur: 2013 leiht die CS zwei Staatsfirmen Moçambiques rund eine Milliarde US-Dollar und wird so Teil eines Korruptionsskandals, der das Land in den Staatsbankrott treibt. Die Klagen gegen die CS in diesem Fall dauern bis heute an.

Kohle und Klima

Die Bank verleiht auch bedenkenlos Geld an umweltschädigende Unternehmen: So finanziert die CS zwischen 2005 und 2013 im grossen Stil Kohleförderprojekte in Indonesien, die mit der Zerstörung von Feuchtgebieten und Wäldern einhergehen. Die Auswirkungen ihrer Investitionen auf das Klima lassen die Bank kalt. Das dürfte wohl auch damit zusammenhängen, dass sie sich zunehmend von Geldgebern aus den Öl- und Gasförderstaaten Saudi-Arabien und Katar abhängig gemacht hat. Die CS gehört zu den führenden Banken bei der Finanzierung des Frackingbooms in den USA und der Vergabe von Krediten an grosse Pipelineunternehmen.

Im April 2021 werden gleich zwei haarsträubende Skandale öffentlich, die den Ruf der Bank vollends zerstören: Mehrere Fonds müssen eingefroren werden. Angeblich sichere Anlagen durch das Finanzunternehmen Greensill erweisen sich als hochriskant und bescheren CS-Kund:innen mutmasslich Verluste in Milliardenhöhe. Einige Wochen später muss die CS einen Verlust von fünf Milliarden Franken bei Geschäften mit dem Hedgefonds Archegos einräumen. Auch hier hat jegliches Risikomanagement versagt.

Die CS ist ab diesem Zeitpunkt nur noch ein Zombie. Nichts funktioniert mehr, überall gibt es Baustellen, immer wieder Gerichtsverfahren. Verurteilungen wegen Betrug, Geldwäscherei, Beihilfe zur Steuerhinterziehung, es nimmt kein Ende. Neue Köpfe in der Führung können nichts mehr bewegen. Für neue Strategien ist es längst zu spät. Es genügt im Oktober 2022, dass ein australischer Journalist in einem Tweet behauptet, «eine internationale Investmentbank steht am Abgrund», um den Aktienkurs der CS um zehn Prozent einbrechen zu lassen.

Man kann den Kollaps der CS der Gier und dem Grössenwahn von Managern wie Gut, Mühlemann oder Rohner zuschreiben. Doch stets glaubte der Staat auch deren Versprechungen, kuschte vor ihnen – und liess sie letztlich gewähren.