US-Aussenpolitik: Wie weit gehen die USA bei der Hilfe für die Ukraine?

Nr. 20 –

Ist das amerikanische Engagement für die Ukraine noch Hilfe zur Selbsthilfe, oder riskiert die Weltmacht weniger als ein Jahr nach dem Rückzug aus Afghanistan bereits wieder ein militärisches Engagement?

Putins brutaler Angriffskrieg gegen die Ukraine überdeckt zurzeit tiefe innenpolitische Gräben in den USA. Ungeachtet ihrer politischen Sympathien, unterstützt eine grosse Mehrheit der US-Bevölkerung die Militärhilfe an die Ukraine, die Zusammenarbeit mit den Nato-Verbündeten und auch die strikten Sanktionen gegen Russland. Gemäss einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Pew Research Center von Mitte März befürwortet ein Drittel der US-Bevölkerung sogar einen direkten Militäreinsatz gegen Russland. Als wäre das Risiko eines nuklearen Konflikts vernachlässigbar. Die Mehrheit der Befragten fordert mehr Unterstützung für die Ukraine.

Der entschlossene Kampf der Ukrainer:innen gegen den russischen Aggressor erinnert die Amerikaner:innen an den Zweiten Weltkrieg, in den USA bis heute Inbegriff des «guten Krieges» gilt. Und die US-Bevölkerung ist offenbar an diesem neuen «guten Krieg», den andere führen, mehr interessiert als an all den problematischen bewaffneten Konflikten, die die USA in den letzten zwanzig Jahren im Namen der Terrorbekämpfung provozierten.

Wenn es um die Verteidigung der Ukraine geht, trifft sogar der ansonsten heillos zerstrittene Kongress auf einmal wieder grosse überparteiliche Entscheide. So genehmigten letzte Woche die Abgeordneten des Repräsentantenhauses ein militärisch-humanitäres Hilfspaket im Umfang von vierzig Milliarden Dollar im Eiltempo und mit grosser Mehrheit. Auch der progressive Flügel der Demokratischen Partei stimmte angesichts der Notlage der Ukrainer:innen geschlossen dafür. Wohl nicht zuletzt deshalb, weil Präsident Joe Biden versprochen hatte, Geld und Waffen, aber keine Truppen zu schicken. Ja zu dieser massiven Aufrüstung der Ukraine sagte selbst Barbara Lee, die mutige Demokratin aus Kalifornien, die nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 als einzige Abgeordnete die voreilige Autorisierung von militärischer Gewalt verweigert hatte.

«America First»-Fraktion wird lauter

Nicht in der demokratischen Regierungspartei, sondern im republikanischen Lager wächst der parteiinterne Widerspruch, je länger der Krieg in der Ukraine dauert und je teurer er die USA zu stehen kommt. Marjorie Taylor Greene, die rechtspopulistische republikanische Abgeordnete aus Georgia, klagt: «Amerikanische Mütter finden keine Säuglingsnahrung für ihre Babys, doch der Kongress will Milliarden von hart verdienten Steuergeldern in die Ukraine schicken.» In einem Interview mit der Tageszeitung «Washington Post» verdeutlicht die Trump-Anhängerin ihre antiinterventionistische Position: «Hat Putin wegen all der Sanktionen etwa den Krieg gestoppt? Keine Spur. Ich kümmere mich um mein Land, die Vereinigten Staaten von Amerika, und um unsere Leute. Damit hat sichs.» Immerhin ein gutes Viertel der Republikaner:innen schlugen sich bei der Abstimmung über das 40-Milliarden-Hilfspaket im Repräsentantenhaus auf ihre isolationistische Seite.

Im Senat verhinderte derweil der libertäre Republikaner Rand Paul letzte Woche im Alleingang eine beschleunigte Absegnung der Ukrainehilfe. «Die USA können nicht ständig Geld ausgeben, das sie nicht haben», begründete er sein Nein, mit dem er die Militärhilfe nicht verhindern, wohl aber um einige Tage verzögern konnte. Mit jeder Kriegswoche – und je näher der Zwischenwahltermin im Herbst rückt – wird die nationalistische «America First»-Fraktion der Republikanischen Partei lauter.

«Es geht hier um amerikanische Interessen und nicht um Wohltätigkeit», verteidigt hingegen Mitch McConnell, der republikanische Minderheitenführer im Senat, die hohen Kosten der Ukrainehilfe. Wie viele ranghohe Politiker:innen beider Parteien war McConnell am Wochenende persönlich nach Kyjiw gereist, um Präsident Wolodimir Selenski die feste Unterstützung der USA zuzusichern – ein Beistand, der seit der Loslösung der Ukraine von der Sowjetunion im Dezember 1991 alles andere als verlässlich war. Man denke an den Erpressungsversuch von Expräsident Donald Trump, der vom ukrainischen Präsidenten eine Strafuntersuchung gegen seinen Konkurrenten Joe Biden und dessen Sohn Hunter erzwingen wollte. Besonders da Trump mit einem Comeback 2024 kokettiert.

An der Medienkonferenz nach dem Blitzbesuch in der Ukraine präsentierte McConnell eine Neufassung der alten Dominotheorie: «Es geht darum, zu verhindern, dass der skrupellose Gangster [Putin] durch Europa zu marschieren beginnt. Und der erste Ort, wo er gestoppt werden kann, ist die Ukraine», sagte er.

Den Frieden planen

Nicht alle sprechen über die geopolitischen Interessen der USA in Osteuropa so grobschlächtig wie McConnell. Putins provokativer Einmarsch in die Ukraine wird in US-Medien eher als «unverfrorener Angriff auf die Zivilisation» bezeichnet oder als «Verstoss gegen die internationale Rechtsordnung». Dennoch steht im Krieg gegen die Ukraine «Demokratie gegen Autokratie», «Völkerrecht gegen Faustrecht». Russland müsse «ausgeblutet» werden.

Ist das noch sachliche Berichterstattung oder schon Kriegspropaganda? Der britische Auslandskorrespondent Tom Stevenson schreibt in einem Gastbeitrag in der «New York Times»: «Als ich in den ersten Kriegswochen aus der Ukraine berichtete, haben selbst stramme ukrainische Nationalist:innen Ansichten vertreten, die pragmatischer waren als das, was heute in den USA als selbstverständlich daherkommt.» Konkrete Verhandlungsziele wie der neutrale Status der Ukraine und international überwachte Plebiszite in den «Volksrepubliken» Donezk und Luhansk seien grösstenteils aufgegeben worden zugunsten einer politischen Selbstdarstellung, die den Krieg zu verlängern und zu eskalieren drohe.

Je mehr sich die USA im Ukrainekonflikt als Kriegspartei gebärden, desto schärfer verurteilt die öffentliche Meinung kritische Stimmen als unangebracht, unpatriotisch oder gar unmoralisch. Putins Angriffskrieg hat die US-Friedensbewegung fast ganz zum Verstummen gebracht. Wer will schon das Recht auf Selbstverteidigung, auch auf bewaffnete Selbstverteidigung, der bedrängten Ukrainer:innen bestreiten?

Doch ist es wirklich unmoralisch, darauf hinzuweisen, dass auch der Ukrainekonflikt nicht militärisch gelöst werden kann und dass jeder Tag Krieg mehr Leid und Not bringt? Ist es unpatriotisch, die Rekordgewinne zu erwähnen, die die Militärhilfe an die Ukraine und die Aufrüstung in allen Nato-Ländern US-Konzernen wie Lockheed Martin und Raytheon noch jahrzehntelang einbringen werden? Ist es unangebracht, davor zu warnen, dass Waffen, die innert kürzester Zeit und in grossen Mengen in ein Kriegsgebiet geliefert werden, wie damals in Afghanistan sehr oft in den falschen Händen landen? Illegaler Waffenhandel und -schmuggel sind ein Problem, das wegen der Globalisierung und der Privatisierung des Kriegsgeschäfts, wegen internationalen Söldnertums und undurchsichtiger Sicherheitsunternehmen ständig akuter wird.

Solche pazifistischen Bedenken sind derzeit kaum salonfähig, aber sie sind auch nicht unsolidarisch. Wer die Souveränität der Ukraine verteidigen will, darf auch die Zeit nach dem Krieg nicht aus den Augen verlieren.