Die Ukraine und die Linke: Wer bezahlt den Krieg?

Nr. 19 –

Es ist eine Frage, die viele Linke umtreibt: Sollen westliche Staaten, gar die neutrale Schweiz, Waffen an die Ukraine liefern? Verlängert das nicht bloss den Krieg, steigert das Leid der Menschen, während sich die Rüstungsbranche über Profite freut? Auf den ersten Blick mag diese Argumentation verfangen. Doch das russische Regime verfolgt in der Ukraine klar imperialistische Ziele, der Angriff ist der Krieg einer kolonialen Macht. Es greift nicht bloss das Territorium, sondern auch das Existenzrecht seines Nachbarstaats an.

Sich zu verteidigen, ist also primär ein Kampf um Selbstbestimmung, der ohne Waffen nicht zu führen ist – und einer, mit dem sich gerade emanzipatorische Linke solidarisch zeigen sollten. Oder wie es ukrainische Linke sagen: «Einen hundertprozentigen Pazifismus können wir uns gerade nicht leisten.»

Je mehr Gebiete die russischen Truppen besetzen, desto mehr Menschen leiden. Wie dieses Leid aussieht, zeigt sich dort, wo sich nach dem Rückzug der Armee grausame Verheerungen offenbaren: in den Massengräbern von Butscha, den Trümmern von Borodjanka. Nachhaltige Friedensgespräche können erst geführt werden, wenn sich das Kräfteverhältnis zu ukrainischen Gunsten verschoben hat. Es ist kein Zufall, dass auch die russische Antikriegsbewegung Waffenlieferungen fordert.

Dass sich dabei linke Interessen mit jenen westlicher Regierungen treffen, ist ein Dilemma, das es auszuhalten gilt. Dass die Schweiz Waffen liefert, kommt derweil ohnehin nicht infrage: Sie würde geltende Gesetze brechen und jede Vermittlung einer Friedenslösung torpedieren. Absurd ist dafür die Aufrüstung im Innern: Wer das Budget der Armee ohne Plan erhöht, wie es der Nationalrat eben beschlossen hat, sorgt nicht für mehr Sicherheit, sondern nur für das Wohl der Rüstungsindustrie.

Überhaupt kann die diskursive Engführung auf das Thema Waffen den Blick verstellen. Die Chance für eine klare linke Positionierung bietet ein anderer Punkt: die Frage, wer die Kosten für den Krieg und dessen Folgen trägt. Laut einer Weltbank-Prognose schrumpft die ukrainische Wirtschaftsleistung allein in diesem Jahr um 45 Prozent – und das in einem Land, das schon vor der Invasion europaweit zu den ärmsten gehörte. Die Diskussion über die Kriegslast muss jetzt beginnen.

Schon heute zeigt sich, in welche Richtung es gehen kann: Unter dem Deckmantel des Krieges hat die Regierung Selenski die Unternehmenssteuern gesenkt und die Rechte der Arbeiter:innen dramatisch beschnitten. Einschneidend sind aber auch die weiterhin bestehenden Verpflichtungen gegenüber internationalen Kreditgebern. «Mit seiner Politik fördert der IWF Reformen, die sich gegen die Menschen richten, zieht die Ukraine zunehmend in die Knechtschaft und untergräbt ihre Unabhängigkeit», schreibt die linke Organisation Sozialnyi Ruch in einer aktuellen Resolution. «Ein Wiederaufbau, der auf neoliberaler Politik basiert, wird zu noch grösserer Armut und Oligarchisierung führen.»

Sozialnyi Ruch plädiert für einen Schuldenschnitt – und betont die soziale Dimension des anstehenden Wiederaufbaus: Statt die Reichen nur noch reicher zu machen, sollte der Bevölkerung auf die Beine geholfen werden. Damit es nicht die Armen sind, die einmal mehr die grösste Last tragen, muss diesen Forderungen auch in der Schweiz Nachdruck verliehen werden.

Auch der Vorschlag des französischen Ökonomen Thomas Piketty ist ein gutes Beispiel linker Politik: Als Voraussetzung für effektive Sanktionen gegen reiche Russ:innen sieht er den Aufbau eines internationalen Finanzregisters vor, das den Wohlstand der Wenigen dokumentieren würde. Ein solches Instrument muss auch gegen die Oligarch:innen im eigenen Land erkämpft werden. Die Lieferung von Waffen ist zurzeit wichtig, damit die Ukraine überhaupt eine Zukunft hat. Doch genauso muss jetzt der Kampf dafür beginnen, dass diese Zukunft eine soziale wird – und dass die Reichen ihren Aufbau bezahlen.