100 Wörter: Wertvolles Gewohntes

Nr. 11 –

Als plötzlich alles anders war, empfand es Schobendrop als verwirrend, wie vieles gleich blieb. Katastrophen, die nicht vor der Haustür aufschlugen, wirkten sich zwar stark auf sein Gemüt, seine Befindlichkeit und den ihn nicht direkt tangierenden Benzinpreis aus, weniger aber auf seinen Alltag, der bei strahlendem Wetter weiterging, als wäre nichts geschehen. Abgesehen von durch Diskussionen verlängerten Arbeitspausen, verkürzter Schlafenszeit wegen nächtlichen Doomscrollings und spontaner Teilnahme an einem Protestumzug blieb alles, wie es war. Nur die Ahnung oder Furcht, dass es damit in absehbarer Zeit vorbei sein könnte, liess ihn das Gewohnte und Banale als unerwartet wertvoll und bewahrenswürdig empfinden.

Stephan Pörtner ist Krimiautor («Köbi der Held», «Stirb, schöner Engel», «Mordgarten») und lebt in Zürich. 2019 ist sein letzter Köbi-Krimi, «Pöschwies», im Bilgerverlag erschienen. Für die WOZ schreibt er Geschichten, die aus exakt 100 Wörtern bestehen. Eine Auswahl unter dem Titel «100 Mal 100 Wörter» sowie «Mordgarten» und «Pöschwies» sind im WOZ-Shop www.woz.ch/shop als Buch erhältlich.