Von oben herab: Stöhn!

Nr. 7 –

Stefan Gärtner über einen Plan gegen studierende Luschen

Es gibt einen erfreulichen, rein privaten Briefwechsel zwischen mir und dem Wiener Kollegen Michael Ziegelwagner, der mit seinem Debütroman «Der aufblasbare Kaiser» auf der Longlist des Deutschen Buchpreises stand und weiss, wie der Buchmarkt tickt. Er hat die schreckliche, talentlose, naseweise Landsmännin Edelbauer der höheren Kritik zugeführt («literarischer Totalschaden») und gehört überhaupt zu den Leuten, die ein Ohr fürs Falsche, Angemasste, Übergeschnappte bewahrt haben. Er ist mein Kummerkasten, wann immer mir Falsches, Angemasstes, Übergeschnapptes unterkommt.

Doch auch Experten stehen manchmal auf dem Schlauch, und nachdem ich ihn mal vom Schlauch hatte schubsen dürfen, schrieb mir Michael: «Ich Hirni!», um sich gleich über das schöne «Mad»-Wort zu freuen, also eins aus dem US-amerikanischen Satireblatt, dessen deutsche Ausgabe der legendäre Herbert Feuerstein prägte, eben mit Wortschöpfungen wie «Hirni», «fummeln» und «lechz», aber auch famos komischen Familiennamen wie Fröhn, Feinbein oder Zapp. Mir ewig unvergesslich ist ein «Benno E. Gastritis». Was wohl aus ihm wurde?

Der Luzerner Gewerbedirektor nun heisst Gaudenz Zemp, und ich hoffe, das rechtfertigt die lange Einleitung. Zemp fasst wohl gern glühheisse Eisen an, und diesmal gehts um nachlaufende Studiengebühren: dass also, wer später mal dank Studium gut verdient, sich ex post an den Kosten seiner Ausbildung … Ah, Moment, andersrum: «Konkret soll dies so aussehen, dass alle jene die vom Staat finanzierten Studienkosten zurückzahlen müssen, die nicht durch ihr hohes Erwerbseinkommen und die dadurch generierten Steuern ihre Ausbildungskosten ohnehin amortisieren» («NZZ»). Mithin die ganzen Luschen, die nicht BWL studiert haben, um im Investmentbanking ganze Kontinente zu ruinieren, sondern bloss irgendwelchen Literaturquatsch, von dem sich nicht leben lässt; oder die das Hamsterrad ganz oder zeitweise verlassen, um sich aufs gute Leben oder wenigstens die Kinder (kleiner Scherz, Eltern wissen Bescheid!) zu konzentrieren.

«Nun zeigt sich aber», zitiert die «NZZ» die Studie, auf die sich Zapp beruft, «dass die sich immer stärker ausbreitende Teilzeitarbeit und die längeren Erwerbsunterbrüche bei sehr gut ausgebildeten Fachkräften diesen Gesellschaftsvertrag ins Wanken bringen», denn wenn die Fachkräfte keine Steuern zahlen, zahlen die Nichtstudierten das Studium der Studierten. «Es kommt zu einer Umverteilung von unten nach oben», und darauf haben Büezerin und Busfahrer ja nun gewartet: dass den Eierköpfen, für deren Ausbildung hart arbeitende Leute morgens aufgestanden sind, mal jemand die Flausen aus der Birne fegt.

Nun ist es leider erwiesenermassen Faschismus, Kopfarbeit als im Wesen volksschädlich zu denunzieren, und ob die sich immer stärker ausbreitende Teilzeitlust samt Erwerbsunterbruch nicht doch der «Vereinbarkeit von Familie und Beruf» geschuldet ist? Aber es wird ja einer nicht Gewerbedirektor, um sich im Konflikt zwischen Fachkräftemangel und «Gedöns» (Gerhard Schröder, SPD) herauszuhalten: Wer nicht stur schafft, ohne auf Blagen, Bandscheibe, Nerven Rücksicht zu nehmen, der soll für sein sinnlos gewordenes Studium dann bitte zahlen, denn gezahlt werden muss, und Leistung muss sich wieder lohnen.

Nein, es wird nichts werden mit dem Wellnesskapitalismus, der von früh bis spät unsere Wünsche pflückt und dessen Lieblingswort «Work-Life-Balance» ist. Die braucht es nämlich nur, damit wir Hirnis die Konkurrenz und den Leistungsdruck, stöhn, überhaupt aushalten. Ruhe und Ausgleich sind dazu da, dass wir hernach umso wilder weitermachen, und wer es anders haben will, muss eine Idee von Gesellschaft zulassen, in der uns die Fröhns von der Gewerbedirektion keine Gastritis mehr machen.

Lechz!

Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»). An dieser Stelle nimmt er jede zweite Woche das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe.

Sein Buch «Terrorsprache» ist im WOZ-Shop erhältlich unter www.woz.ch/shop/buecher.