Durch den Monat mit Miriam Davoudvandi (Teil 4): Was sind Ihre Utopien für dieses Leben?

Nr. 25 –

Sie pendelt zwischen den Welten und fungiert dabei vor allem als Vermittlerin. Die deutsche Journalistin Miriam Davoudvandi über ihr Selbstverständnis, ihre Visionen für ihr Leben und ihre grossen Utopien für die Welt.

«Ich wünsche mir zurzeit echt nicht viel, abgesehen davon, mal wieder Leute zu sehen und in einem Club zu stehen»: Miriam Davoudvandi.

WOZ: Miriam Davoudvandi, Sie sind eine engagierte Journalistin, Sie arbeiten manchmal auch als Mediatorin oder als Übersetzerin. Viele sehen Sie aber vor allem als Aktivistin. Wie nehmen Sie sich selbst wahr?
Miriam Davoudvandi: Um ganz ehrlich zu sein: Ich hab mich selbst nie als Aktivistin verstanden oder bezeichnet. Junge Menschen, die journalistisch arbeiten und dabei eine klare Haltung haben, werden schnell aktivistisch genannt, nicht selten, um ihre Seriosität anzuzweifeln und sie dadurch zu diffamieren. Oder wiederum auch, weil Menschen sich gerne Vorbilder suchen. Ich bezeichne mich aber weder als das eine noch als das andere.

Als was dann?
Ich sehe meine Hauptaufgabe darin, marginalisierten Stimmen medial Gehör und Räume zu verschaffen. Ich konnte mir in den letzten Jahren ein gewisses Netzwerk und eine bestimmte Reichweite in den sozialen Medien aufbauen und versuche damit, bewusst Räume zu öffnen, die für gewisse Themen und Stimmen lange Zeit verschlossen blieben. Beispielsweise das Thema der psychischen Gesundheit. Ich erachte es als wichtig, dass darüber in der Öffentlichkeit ehrlich und auch sensibel gesprochen wird. Dass eine Sensibilität für Themen geschaffen wird, die ansonsten nicht stattfinden oder noch immer ein Tabu sind. Wenn ich es also schaffe, dass marginalisierte Perspektiven Einzug in den medialen Mainstream erhalten, ist das für mich schon sehr sinnvoll und erfüllend.

In welcher Ihrer unterschiedlichen Rollen sind Sie am stärksten?
Meiner Meinung nach ist es immens wichtig, innerhalb von emanzipatorischen Bewegungen zur Einsicht zu gelangen, dass nicht alle die gleichen Kapazitäten und Talente haben. Deshalb ist das eine Frage, die ich mir auch schon oft selbst gestellt habe. Von mir selbst würde ich schon sagen, dass ich am stärksten bin, wenn es um Vermittlung geht. Ich kann mich gut zwischen unterschiedlichen Kreisen hin- und herbewegen. Das hat wahrscheinlich mit meiner sozialen Herkunft, mit meiner Migrationsbiografie und dem Pendeln zwischen den verschiedenen Milieus zu tun.

Was sind eigentlich Ihre Visionen für sich selbst? Wo wollen Sie in den kommenden Jahren hinkommen?
Ich weiss es – ehrlich gesagt – gar nicht. Ich bin eher die Person, die so ein bisschen in den Tag hinein lebt. Auch weil ich gar nicht wage, so weit in die Zukunft zu blicken. Ich glaube, diese Angst kennen auch andere Menschen, die an Depressionen leiden. Mögliche nächste depressive Phasen machen einem Sorgen, weswegen ich versuche, einfach die Tage an sich zu meistern und Schritt für Schritt voranzukommen. Mir sitzt immer die Angst vor der nächsten Episode im Nacken, die einen ausser Gefecht setzen könnte. Mit dieser Realität zu leben, macht es schwierig, langfristige Visionen zu kreieren.

Dann verkürzen wir den Zeithorizont: Was sind Ihre Pläne und Wünsche für die beginnende Postcoronazeit?
Ich wünsche mir zurzeit echt nicht viel, abgesehen davon, mal wieder Leute zu sehen und in einem Club zu stehen, so banal das auch klingen mag. Im Moment muss ich alle zwei Tage einmal kurz weinen, weil mir die soziale Nähe anderer fehlt. Es ist einfach unglaublich schön, einen geliebten Menschen zu umarmen, aus Freude in einem Club beispielsweise. Das fehlt mir. Ich hoffe, das wird in den nächsten Wochen wieder möglich sein. Und als Nächstes plane ich, meine Eltern nach Ewigkeiten endlich wiederzusehen, da sie bald vollständig geimpft sein werden.

Ohne Depressionen, ohne Corona: Wie sieht denn Ihre Utopie für Ihr persönliches Leben aus?
Das wäre gar nichts Wildes. Ich sehe mich mit ein paar Freunden und Freundinnen zusammen in einem Häuschen in Berlin. Wir würden da mit vielen Hühnern und Hunden zusammenleben, und uns würde es allen gut gehen. Das wäre mein Wunschleben.

Das würde ja voraussetzen, dass sich auch auf der Welt und an den Umständen Dinge ändern. Was sind Ihre Utopien für die Welt?
Ich würde mir grundsätzlich ein anderes Verständnis von Arbeit wünschen. Damit gehen unzählige Dinge einher: So würden wir weniger krank sein, es gäbe eine andere Reichtumsverteilung – und nicht zuletzt sollten alle Menschen ihre Grundbedürfnisse gestillt bekommen und selbst stillen können. Neben psychischer und physischer Unversehrtheit möglichst vieler Menschen wünsche ich mir natürlich, dass Hunger und Armut verschwinden. Aber ich weiss: Unser vordringlichstes Problem im Moment ist der Klimawandel. Wenn wir ihn nicht stoppen, bleiben all diese Forderungen Utopie.

Das Gespräch mit Miriam Davoudvandi fand statt, bevor vergangene Woche eine junge Frau öffentlich gemacht hat, dass sie durch den bekannten deutschen Rapper Samra sexuelle Gewalt erfahren habe. In der Folge publizierten unzählige Frauen ähnliche Erfahrungen mit anderen deutschen Musikern und lösten damit ein mediales Erdbeben aus. Gerne hätte die WOZ darüber mit Davoudvandi gesprochen. Auf Anfrage schrieb sie jedoch, sie sei wegen dieser Vorfälle zurzeit stark ausgelastet und habe leider keine Zeit, nochmals ausführlich zu reden. Über ihre Social-Media-Kanäle hat sich Davoudvandi öffentlich in die Debatte eingebracht und klar Position für die Perspektive der Frauen bezogen. Für Samra gilt die Unschuldsvermutung.