Von oben herab: Grüezi sagen

Nr. 21 –

Stefan Gärtner über garstige Nachbarschaft

Ich habe gar nichts gegen Ausländerinnen und Ausländer, aber mal ehrlich: Einfach ist das manchmal nicht. Viele kommen ja aus einem ganz anderen Kulturkreis, kennen unsere Sitten und Gebräuche gar nicht, und dann wird es mit der Integration halt manchmal schwierig.

Die neuen Nachbarn zum Beispiel, die grillen nicht. Ich weiss auch nicht, wieso, ob das deren Religion vielleicht verbietet, aber die grillen nicht. Nie! Gut, die Saison hat in diesem Jahr erst spät begonnen, Anfang März, aber seither herrscht auf der Terrasse nebenan, wenn wir grillen, und wir grillen bestimmt fünfmal die Woche, Stille. Also, nicht eben Stille jetzt, die unterhalten sich schon miteinander, sogar ohne dabei laut zu werden, gesittet geradezu, und essen tun sie da auch, wenn es denn mal warm genug ist zwischendurch; aber nach Holzkohle und Billigfleisch hat es da nie gerochen. Und das finden wir, meine Frau und ich, jetzt schon ziemlich arrogant. Ich meine, wenn wir in ein anderes Land gehen, dann versuchen wir doch auch, die Traditionen da zu respektieren! In dem All-inclusive-Hotel, wo wir im Urlaub immer sind, da sage ich zu dem Frühstückskellner zum Beispiel immer «Danke» in seiner Sprache, weiss jetzt eben gar nicht, welche, aber ich sage es! «Sorry, Mister» sage ich dagegen auf Englisch, wenn ich mich beschweren muss, und das muss man dort unten häufiger, es ist dort ja schlicht zu warm für konzentriertes Arbeiten, da muss man schon darauf sehen, dass man am Ball bleibt, sonst funktioniert es nicht. Respektieren wir aber auch, wir machen da kein weiteres Geschrei deswegen, wir mindern dann lieber von zu Hause aus den Reisepreis, ist auch ökonomisch viel vernünftiger.

Jedenfalls: Wenn du in Rom bist, sei ein Römer, lautet meine Devise, aber bei manchen Menschen, da ist die Heimatkultur eben fest verwurzelt, da können die nicht aus ihrer Bärenhaut, sozusagen. Das deutsche Paar etwa, das sich im Kanton Zürich ein Haus gekauft hat, sich ständig über spielende Kinder beschwert und, wie (laut «Blick») die ansässigen Ruth und René W. (77) sagen, nie einmal «Grüezi» sagt – die können gar nicht anders. Die sind vielleicht aus Karlsruhe und es einfach nicht anders gewohnt! Wir haben da mal gelebt, und wenn man es da nicht schafft, den Kinderwagen rechtzeitig in die Tram zu kriegen, wird man angeschrien, und zwar vom Fahrer. In Deutschland (ausser Hannover), da ist man pampig und schickt die Polizei zu den Nachbarn, «weil an der Thuja-Hecke des Deutschen ein paar Zentimeter fehlten», wie die Schweizer Zeitung schreibt – also was denn. Nachbarschaftsstreitigkeiten machen in Deutschland 98 Prozent aller Gerichtsangelegenheiten aus, und dass man immer im Recht ist und es mit der Obrigkeit hält, das ist das weltberühmte deutsche Wesen, das ist gewissermassen kulturelle DNS.

Und deshalb hat die Gemeinde Neerach ZH den Deutschen die Einbürgerung verweigert, und das kantonale Verwaltungsgericht hat den Entscheid kassiert, denn wer sich in der Schweiz nicht nach Schweizer Art benimmt, also nicht «Grüezi» sagt und nicht mit allem, was so von draussen hereinschneit, auf gutem Fusse lebt, der kann trotzdem eingebürgert werden, gerade dann, wenn «jemand rohe Eier an seine Hauswand geworfen» hat («Blick»). Was sich das kantonale Verwaltungsgericht wohl dabei gedacht hat? Hat es sich gedacht: Eine Einbürgerung ist ein Verwaltungsakt, kein Sympathiewettbewerb? Hat es sich gedacht: Wenn nur verträgliche, freundliche Menschen Mitglieder der Eidgenossenschaft werden dürfen, dann fühlen sich die Eingeborenen bald überfremdet? So erheblich scheinen mir die kulturellen Differenzen allerdings gar nicht zu sein, denn Hausbesitzer René W. hat dem Filmteam von blick.ch in Jogginghose und Adiletten geöffnet. Einem Grillabend steht also grundsätzlich gar nichts im Weg.

Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»). An dieser Stelle nimmt er jede zweite Woche das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe. Sein Buch «Terrorsprache», ist im WOZ-Shop erhätlich unter www.woz.ch/shop/buecher.