Microdosing: Was vom Trip übrig bleibt

Nr. 18 –

LSD wirkt auch in enorm kleinen Dosen – phänomenal, finden die meisten, die das sogenannte Microdosing probiert haben. Wie es sich anfühlt, wenn eine der stärksten Drogen der Welt gebändigt wird. Ein Selbstversuch.

Wirklich schön wird es mit dem Kater der dritten Dosis. Wobei, Kater kann man das kaum nennen. Zwar habe ich vom Alkohol noch leichte Kopfschmerzen, doch es ist, als würde die Nachwirkung des LSD, obwohl am Morgen des Vortags nur in einer verschwindend kleinen Dosis zu mir genommen, diese einfach zur Seite schieben, von meiner Person trennen. Es ist acht Uhr morgens, ich fühle mich ruhig und lebendig und beginne einen komplizierten Text zu lesen, während die anderen noch schlafen. Nun kommen gute Tage.

Beim Microdosing nimmt man alle paar Tage psychedelische Substanzen in sehr kleinen Mengen zu sich: etwa ein Zehntel einer üblichen halluzinogenen Dosis. Beim Microdosing mit LSD dauert die Wirkung zwar wie bei einem Trip um die zehn Stunden an, doch die heftigen Verschiebungen im Bewusstsein bleiben aus. KonsumentInnen berichten von Ausgeglichenheit, Kreativität, Linderung von Schmerzen oder psychischen Beschwerden – und ja: von höherer Produktivität. Ist LSD, die einstige Hippiedroge, die Welten zum Einsturz bringen kann, zur neuen Leistungsdroge geworden?

Frieden ab der ersten Dosis

Man weiss nicht viel über Microdosing. Wissenschaftliche Studien zur Wirkung sind noch keine publiziert, über die Verbreitung kann man nur spekulieren. Doch im Netz häufen sich seit einigen Jahren die Erfahrungsberichte. Der US-Psychologe James Fadiman, der schon in den sechziger Jahren psychedelische Substanzen erforscht hat, unterhält eine Seite, auf der er solche Berichte sammelt und Empfehlungen für den Konsum abgibt. Der «Rolling Stone» berichtete vom «Hot New Business Trip» ins Silicon Valley, wo schon Steve Jobs seine Kreativität mit LSD stimuliert hatte. Die Stimmung ist euphorisch.

Gute Tage hatte auch die amerikanisch-israelische Schriftstellerin und Anwältin Ayelet Waldman. Sie hat einen einmonatigen Selbstversuch mit regelmässigen Mikrodosen LSD gemacht und berichtet davon in ihrem Buch «A Really Good Day: How Microdosing Made a Mega Difference in My Mood, My Marriage, and My Life» (2017). Waldman litt an einer schweren Depression, ausgelöst durch eine bipolare Störung. Im Gegensatz zu den unzähligen Psychopharmaka, die sie bereits zu sich genommen hatte, wirkte das LSD schon ab der ersten Dosis: Die Selbstmordgedanken verzogen sich, sie fühlte sich im Frieden mit sich und der Welt. Der Versuch war einmalig, doch die positive Wirkung hielt an.

Wie die vierfache Mutter Drogen furchtlos und jenseits von subkulturellen Kontexten punktuell einsetzt, ist erfrischend. Ihre Erfahrungen beschränken sich auf wenige Substanzen – Alkohol trinkt sie wenig, ab und zu nimmt sie MDMA mit ihrem Mann, dem Schriftsteller Michael Chabon, und dann reden sie stundenlang über ihre Beziehung. Waldman ist sich auch der sozialen Dimension der Prohibitionspolitik bewusst: Im Gegensatz zu anderen kann sie als weisse, privilegierte Frau ohne grosse juristische Risiken LSD konsumieren und sogar öffentlich darüber sprechen.

Öffentlich äussert sich auch Mike Row, der an einer Schweizer Universität ein geisteswissenschaftliches Fach studiert, doch er möchte seinen richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen. Er sehe sich nicht als LSD-Advokat. Doch er berichtet nur Gutes vom Microdosing: «Ich habe mich vor allem wacher gefühlt», erzählt Row. «Wenn ich in meinem Büro am Schreiben war, zog es mich immer wieder nach draussen. Ich habe lange Spaziergänge gemacht und dabei nachgedacht.»

Schwierig zu prüfen

Beim Bier in einer vollen Zürcher Bar mit hohem Lärmpegel weist Row auf ein Problem hin, das besonders bei der subtilen Wirkung von Microdosing auftritt: Wie soll man das beschreiben? «Ich habe die Wirkung bewusst erlebt und kann nun ein paar Adjektive aufzählen wie ‹konzentriert› oder ‹aufmerksam›, aber das sagt ja nicht viel aus.» Seit dem Selbstversuch nimmt Row nur noch ab und zu eine Dosis – wenn er einen strengen Tag vor sich hat.

Ich habe zwar keinen besonders strengen Tag vor mir, aber die Sache mit der Leistung nimmt mich wunder. Ich sitze in einer Bibliothek und schreibe. Die Menge LSD in meinem Blut – etwa 6 Mikrogramm – ist extrem klein. Dennoch habe ich das Gefühl, dass in mir Kräfte mobilisiert werden. Ich arbeite wie immer: ständig von Einfällen abgelenkt, von einem Text zum nächsten springend. Doch die Sprünge landen nicht im zerstreuten Nichts, sondern da, wo die Pflicht mich haben will – eine Art schizophrene Konzentration. Der düstere Techno auf meinen Ohren bindet die Aufmerksamkeit wie ein mentales Schmiermittel.

Abgesehen von einzelnen Fällen, in denen Microdosing Ängste oder andere psychische Belastungen verstärkt hat, wird von zahlreichen positiven Wirkungen berichtet. Doch es ist schwierig, diese auch wissenschaftlich nachzuweisen. Matthias Liechti ist stellvertretender Chefarzt in der Abteilung Klinische Pharmakologie und Toxikologie am Universitätsspital Basel und erforscht in einer laufenden Studie die klinischen Wirkungen von halluzinogenen LSD-Dosen zwischen 100 und 200 Mikrogramm. «Wenn mir jemand sagt, er sei unter Microdosing kreativer oder mehr im Flow, ist das schwierig zu prüfen», sagt Liechti. Wegen des geringen Effekts müsste man in einer Studie sehr grosse ProbandInnenzahlen untersuchen, und Placeboeffekte müssten ausgeschlossen werden.

Obwohl Liechtis Forschung keine direkten Schlüsse über Microdosing zulässt, hält er eine positive Auswirkung auf die Psyche für möglich: «Für hohe Dosen LSD zeigte eine Schweizer Pilotstudie eine mögliche anhaltende Reduktion von Angst bei Patienten mit lebensbedrohlichen Krankheiten. Es ist also denkbar, dass auch geringere Dosen LSD therapeutische Effekte zeigen.» Während eine medizinische Zulassung von Psilocybin, dem Wirkstoff in «Magic Mushrooms», in naher Zukunft denkbar sei, zeichne sich beim LSD nichts in dieser Richtung ab. Allerdings werden in der Schweiz bereits heute etwa zehn Sonderbewilligungen pro Jahr für LSD-Behandlungen erteilt.

Für den Ethnopharmakologen Markus Berger, der noch dieses Jahr ein Buch über Microdosing publizieren wird, ist das Thema nicht neu: «Wir haben schon vor Jahrzehnten beim LSD-Entdecker Albert Hofmann darüber gelesen und es auch ausprobiert.» Dass über das Thema derzeit so viel diskutiert wird, erklärt Berger sich so: «Microdosing passt doch wunderbar in unsere Leistungsgesellschaft – darum wird es stillschweigend toleriert. Probleme gibt es vor allem dann, wenn man Drogen zum Spass konsumiert.»

Gesteigerte Empfindsamkeit

Tatsächlich ist die Wirkung des Microdosing eine Umkehrung der Wirkung einer hohen psychedelischen Dosis: Die eine richtet das Bewusstsein aus, festigt das Gefühl für die eigene Person; die andere kann Raum, Zeit und Ich in einer Flut von Eindrücken und Informationen geradezu ertränken. Die eine wirkt eher auf den Willen, die andere eher auf die Anschauung, wie man mit dem Schriftsteller Ernst Jünger sagen könnte, der mit zahlreichen Drogen experimentiert und darüber geschrieben hat.

Doch so einfach kann man das Microdosing nicht in einem Schema verorten. Schon während der wenigen Tage, die mein Versuch nun dauert, beobachte ich subtile Veränderungen meiner Wahrnehmung: eine gesteigerte Empfindsamkeit für meine Umwelt, für Geräusche, Gerüche, Objekte und für andere Menschen. Dass diese Effekte manchmal auch zwei Tage nach der Einnahme einer Dosis noch auftreten, dass also schon klitzekleine Mengen LSD einen vielleicht nachhaltig verändern können, ist unheimlich und faszinierend zugleich. Selber schuld, wer darin als Potenzial nur Leistung sieht.

Markus Berger: «Microdosing. Niedrig dosierte Psychedelika im Alltag». Nachtschatten Verlag. Solothurn 2018. 144 Seiten. 19 Franken. (Erscheint im August 2018.)

Ayelet Waldman: «A Really Good Day: How Microdosing Made a Mega Difference in My Mood, My Marriage, and My Life». Knopf Verlag. New York 2017. 256 Seiten. 25 Franken.