500 Jahre Reformation: Politisch schwer zu kontrollieren

Nr. 10 –

Eine Ausstellung im Museum Strauhof in Zürich untersucht die Macht des Wortes – von der Zürcher Reformation bis zur Frauenbewegung.

Mit emanzipatorischer Kraft: «Das Wort» im Zürcher Museum Strauhof. Foto: Zeljko Gataric, Museum Strauhof

Man muss sich das einmal vorstellen: Da steht einer vorne auf der Kanzel und donnert biblische Sätze durch die Kirche – und plötzlich sind sie alle verständlich. Der Reformator Huldrych Zwingli war der Erste, der an der Limmat in deutscher Sprache gepredigt hat, und im Zürcher Literaturmuseum Strauhof kann man ihm derzeit in einer eigens dafür eingerichteten kleinen Kirche dabei zuhören. Es klingt zwar auch etwas verschroben, dieses schweizerisch gefärbte Frühneuhochdeutsch, doch die Wortgewalt ist nicht zu überhören.

Ausgehend von der zentralen Bedeutung des gesprochenen und gedruckten Wortes in der Zürcher Reformation, zeigt die aktuelle Ausstellung «Das Wort» im Strauhof verschiedene Facetten sprachlicher Wirkungskraft auf. Schon im Zusammenhang mit der Reformation wird herausgehoben, dass man mit dieser Kraft nicht nur beeinflussen, sondern eben auch die Diskussion erweitern kann.

Von «Babel» bis «Code»

Das Übersetzen der Bibel, sagt Fraumünster-Pfarrer Niklaus Peter in einem der aufschlussreichen Videointerviews, habe immer etwas Subversives: «Es gibt den Leuten die Möglichkeit, in Diskussionen einzusteigen. Ja, ich würde sagen, dass das Wichtigste an der Reformation dieses Sprachereignis ist: Leute reden über wichtige Dinge.» Aus Gerichtsakten der Reformationszeit wisse man, dass damals auch Laien in den Wirtshäusern wichtige theologische Fragen wie etwa die Natur Christi diskutiert hätten, sagt Francisca Loetz, Geschichtsprofessorin an der Uni Zürich. Man machte sich über Dogmen lustig und stellte Heilige infrage. Die Bedingung für diese Diskussion war nicht nur die allgemein verständliche Predigt, sondern vor allem auch der Zugang zu Texten. In Zürich druckte Christoph Froschauer der Ältere schätzungsweise 45 Millionen Druckbögen, viele davon Werke Zwinglis. Letzterer sagte einmal, den Pfarrer brauche es gar nicht mehr, auf jedem Bauernhof werde mittlerweile die Bibel gelesen.

Diese emanzipatorische Kraft des Wortes – oder umgekehrt auch die repressive – ist einer der Fäden, die sich durch die gesamte Ausstellung ziehen, in der auf einem alphabetischen Rundgang mehr oder weniger frei zum Thema der Zürcher Reformation vor 500 Jahren assoziiert wird. Unter A wie «Anklage» schlägt Martin Luther King 1966 seine politischen Forderungen an die Tür des Chicagoer Rathauses und zitiert damit seinen Namensgeber, den deutschen Reformator Martin Luther. Die zwei nachfolgenden Tafeln spannen dann gleich mal den historischen Bogen, mit dem wir es hier zu tun haben: vom alttestamentarischen bis ins digitale Zeitalter oder von «Babel» bis zum «Code».

Die politische Wirkung von Worten, um das geht es hier immer wieder, ist stets schwer zu kontrollieren. Karl Marx und Friedrich Engels konnten kaum ahnen, dass ihre Schriften tatsächlich Weltgeschichte schreiben würden. Natürlich hatten sie es gehofft. Anders der DDR-Funktionär Günter Schabowski. Am 9. November 1989 erklärte er in einer Pressekonferenz die Grenzen der DDR mit sofortiger Wirkung für geöffnet – aus Versehen. Das entsprechende Dokument, das ihm unter ungeklärten Umständen in die Finger gedrückt wurde, war noch nicht zur Veröffentlichung bestimmt.

Mal wieder ein Putsch vielleicht?

Irgendwo zwischen dieser schönen historischen Klammer um den Realsozialismus geht es auch um Versuche, Worten die Kraft zu nehmen: jenen der Frauen. Es läuft einem kalt den Rücken herunter, wenn man den martialischen Teppichklopfer sieht, mit dem auf einem Plakat von 1946 gegen das Frauenstimmrecht mobilisiert wird. Doch die Querulantin, die dieser Tafel das Stichwort gibt, ist nicht nur die unliebsam aufmüpfige Feministin an sich, sondern auch die zu radikale. Als das Frauenstimmrecht in der ersten Abstimmung 1959 abgelehnt wurde, gaben gewisse Frauenrechtlerinnen Iris von Roten die Schuld für den Misserfolg: Mit ihrem Buch «Frauen im Laufgitter» sei sie zu weit gegangen.

Die Schweiz gehört innerhalb der Geschichte der Aufstände und Revolutionen ja selten zur Avantgarde. Nur beim Vokabular hat sie einen unbestrittenen Coup gelandet: mit dem Wort «Putsch». Nach der Berichterstattung über den Züriputsch von 1839 verbreitete sich das Wort rasant. Heute wird es in unzähligen Ländern weltweit gebraucht – vielleicht ja auch bald wieder einmal hier.

Die Ausstellung «Das Wort» im Strauhof Zürich ist noch bis zum 27. Mai 2018 geöffnet.

Ende des Provisoriums

«Das Wort» hätte die letzte Ausstellung im Literaturmuseum Strauhof sein können, denn sie bildet den Abschluss einer dreijährigen Pilotphase.

Doch Ende 2017 hat der Zürcher Gemeinderat mit deutlicher Mehrheit beschlossen, das Museum ab diesem Jahr im Regelbetrieb zu unterstützen, mit einem um 50 000 Franken aufgestockten Betriebsbeitrag von 475 000 Franken.