Indymedia: Neue autoritäre deutsche Welle

Nr. 35 –

Seit Jahren ist das internationale Netz Indymedia das Sprachrohr der antikapitalistischen Linken. Das Verbot eines ihrer deutschen Ableger ist Teil einer breiten Strategie.

«Und die deutlichen Beweise sind zehn leere Flaschen Wein. Und zehn leere Flaschen können schnell zehn Mollis sein.»
Ton Steine Scherben, 1971

Am Samstag gibt «linksunten.indymedia» noch einmal ein Lebenszeichen von sich. «Der Cyberspace liegt nicht innerhalb Eurer Hoheitsgebiete. Glaubt nicht, Ihr könntet ihn gestalten, als wäre er ein öffentliches Projekt. Ihr könnt es nicht», blinkt in schwarzen Lettern auf dem Webportal, das die deutsche Regierung einen Tag zuvor verboten hatte.

Das etwas pathetische Zitat stammt aus einem Manifest, das der Netzaktivist John Perry Barlow im Februar 1996 von der Bühne des Weltwirtschaftsforums in Davos verlas: eine Unabhängigkeitserklärung des Cyberspace. Die Regierung des damaligen US-Präsidenten Bill Clinton hatte gerade ein umstrittenes Deregulierungsgesetz in der Kommunikationsbranche beschlossen, und Barlow ging es in seinem Aufruf um die ganz grossen Fragen: um die Freiheit von Informationen, um staatliche Kontrolle, um die Hegemonie über das Internet. Seither sind mehr als zwanzig Jahre vergangen. Dass Barlows Überlegungen nichts von ihrer Relevanz eingebüsst haben, davon zeugt nun das Verbot des deutschen Indymedia-Ablegers.

Das Medium der Bewegung

Wer wissen wollte, was die antikapitalistische Linke denkt, welche Demonstrationen sie plant oder welche Theorien die Szene gerade diskutiert, kam seit der Jahrtausendwende nicht an Indymedia und seinen über hundert Ablegern von Russland bis Mexiko vorbei. Im Umfeld der Antiglobalisierungsproteste in Seattle Ende der neunziger Jahre entstanden, ist das internationale Netz das wohl wichtigste Medium für die Bewegung. Das Konzept: Jede und jeder kann beliebig Berichte publizieren, auch anonym. Lange vor dem Aufkommen von Blogs und sozialen Medien war das beinahe revolutionär. Das Motto der Plattform: «Don’t hate the Media. Become the Media!» Der freie Zugang sorgte intern immer wieder für Diskussionen, so 2002 in der Schweiz über antisemitische Inhalte.

Die Bedeutung der Plattform hat nachgelassen, seit jeder Gedanke auf Facebook und Twitter verbreitet werden kann. Eine wichtige Infoquelle – und ein beinahe unerschöpfliches Archiv antifaschistischer Arbeit im Kampf gegen Neonazistrukturen – ist Indymedia geblieben, gerade in Deutschland. «linksunten», das sich 2008 von de.indymedia.org abspaltete, wurde im Lauf der Zeit zum bedeutenderen der beiden Ableger.

Um das Medium verbieten zu können, wandten die deutschen Behörden einen Trick an. Sie stuften die Plattform und die Personen, die sie für deren BetreiberInnen halten, als Verein ein und lösten diesen dann nach dem Vereinsgesetz auf. Das Portal laufe «nach Zweck und Tätigkeit den Strafgesetzen zuwider», richte sich gegen die «verfassungsmässige Ordnung», heisst es in der Begründung.

Wie verfassungskonform dieser Kniff selbst ist, ist mehr als fraglich. An der hastig einberufenen Pressekonferenz gab sich Innenminister Thomas de Maizière (CDU) jedenfalls siegessicher. «Das Verbot setzt ein deutliches Zeichen: Wir gehen konsequent gegen linksextremistische Hetze im Internet vor», liess der Politiker verlauten. Wem das «deutliche Zeichen» gilt, sagte er nicht. Und er erklärte auch nicht, wieso die Plattform ausgerechnet jetzt verboten wird, obwohl sie schon seit Jahren existiert.

Mögliche Antworten lieferte der zweite Teil von de Maizières Ausführungen. Im Vorfeld des Hamburger G20-Gipfels sei auf «linksunten.indymedia» für gewaltsame Aktionen mobilisiert worden, die Ereignisse in Hamburg hätten die gravierenden Folgen dieser Mobilmachung gezeigt. Ist der Indymedia-Ableger also für die Ausschreitungen in Hamburg verantwortlich? Dies zu beurteilen, wäre Sache der Gerichte.

Dass auf dem Portal nach Anschlägen oder Sabotageakten Bekennerschreiben und Aufrufe zu Gewalt publiziert wurden, steht ausser Frage. Fast schon stolz präsentierte de Maizière an der Pressekonferenz am Freitag mehrere Beispiele, die er aus dem Internet ausgedruckt hatte. Doch er blieb die Erklärung schuldig, warum die Seite gleich ganz verboten werden musste, statt von den BetreiberInnen (die man ja offenbar ausfindig gemacht hatte) erst einmal die Löschung strafrechtlich relevanter Einträge zu verlangen. Dieser Logik folgend, hätte de Maizière noch so einige Seiten abschalten lassen müssen – etwa Facebook, wo regelmässig Inhalte veröffentlicht werden, die «den Strafgesetzen zuwiderlaufen». Ermittlungen gegen Indymedia nahm die Staatsanwaltschaft keine auf.

Reporter ohne Grenzen hält das Vorgehen für eine «rechtsstaatlich gefährliche Entwicklung». Auch Rolf Gössner von der Internationalen Liga für Menschenrechte stellt einen «schweren Eingriff in die Presse- und Meinungsfreiheit» fest. Selbst radikale Kritik sei durch die Verfassung geschützt, sagte der Jurist in einem Interview mit der «jungen Welt».

Repression gegen die Antifa

Viel mehr als ein entschlossenes Vorgehen gegen strafbare Inhalte scheint das Verbot der Plattform denn auch Teil einer breiteren Strategie zu sein. «linksunten.indymedia» nahm in den Berichten des Verfassungsschutzes einen immer prominenteren Platz ein («einflussreichste Linksextremistische Plattform im deutschsprachigen Raum»).

Kaum waren Anfang Juli die Barrikaden im Hamburger Schanzenviertel gelöscht, wurde die Rhetorik politischer HardlinerInnen in der AfD, aber auch in den Regierungsparteien schärfer. In rund vier Wochen wählt die deutsche Stimmbevölkerung eine neue Regierung, die rechtsnationale AfD erhält seit kurzem wieder Zulauf. Um potenzielle rechte AbweichlerInnen zu einer Stimme für die Union zu bewegen, kam das Verbot von Indymedia vermutlich gerade recht. So sieht es jedenfalls der Grünen-Politiker und Anwalt Jürgen Kasek: «Bei Licht betrachtet, dürfte es vor allen Dingen darum gehen, im Wahlkampf Handlungsfähigkeit und Stärke zu demonstrieren.» Und selbst der Hamburger Landesvorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter sagte: «Die Massnahme ist mehr Wahlkampfsymbolik als sinnvoller Kampf gegen Linksradikale.»

Zuletzt hatten nicht nur die Law-and-Order-Rufe, sondern auch die Repression gegen antifaschistische Strukturen weiter zugenommen. Sichtbar wird dies auch an der Posse um die Freiburger Waffenfunde vom Freitagmorgen, die das Innenministerium bei der Bekanntgabe des Indymedia-Verbots erwähnte. Kurz darauf präsentierte das Landeskriminalamt Baden-Württemberg sogar noch Bilder der beschlagnahmten Gegenstände: Schlagstöcke und Messer, Handschuhe und Steinschleudern. Später mussten die Behörden von ihrer These abrücken und einräumen, dass der Zusammenhang zwischen Waffenfund und Indymedia nicht erwiesen sei. Der allgemeine Eindruck einer gewalttätigen Linken bleibt.

Auch ein Gerichtsurteil vom vergangenen Montag sollte Entschlossenheit gegen Linksradikalismus demonstrieren. Ein 21-jähriger Niederländer, der am Rand einer G20-Kundgebung zwei Flaschen auf Polizisten geworfen haben soll, muss für 31 Monate in Haft – deutlich länger, als die Staatsanwaltschaft gefordert hatte. Und bis zur Wahl Ende September planen die beiden rechtskonservativen Parteien CDU und CSU eine breit angelegte «Anti-Extremismus-Kampagne». Laut dem Entwurf eines Positionspapiers, aus dem der «Spiegel» zitiert, will man «gegen den Linksextremismus in gleicher Weise vorgehen wie gegen den Rechtsextremismus». «Vorbereitungs- und Rückzugsorte linker Gewalt wie die ‹Rote Flora› in Hamburg oder die ‹Rigaer Strasse› in Berlin können wir in unserem Rechtsstaat nicht tolerieren», heisst es darin.

Das harte Vorgehen gegen den Linksextremismus könnte dabei auf die Gesellschaft als Ganzes zurückfallen. Es ist Ausdruck einer Sicherheitshysterie in Deutschland. So hatte Innenminister Thomas de Maizière letzte Woche noch einen weiteren Auftritt. Am Bahnhof Südkreuz in Berlin besuchte er ein Pilotprojekt zur Gesichtserkennung: Videoaufnahmen von PassantInnen werden dabei testweise mit biometrischen Daten abgeglichen, um möglichen Gewalttaten vorzubeugen.

Die BetreiberInnen von «linksunten.indymedia» wollen sich von der Hysterie nicht einschüchtern lassen. Unter John Perry Barlows Manifest prangte am vergangenen Samstag ein Versprechen: «Wir sind bald wieder zurück.» Auch eine Klage ist bereits eingereicht.