Kommentar von Toni Keppeler: «El Chapos» Geschichte ist reif für Hollywood

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Der zum dritten Mal verhaftete mexikanische Drogenboss ist ein Mann von gestern. Das Morden wird auch ohne ihn weitergehen.

Ismael «El Mayo» Zambada wird enttäuscht sein. Nicht so sehr darüber, dass sein Ziehsohn «El Chapo» Joaquín Guzmán am vergangenen Freitag zum dritten Mal verhaftet worden ist. Vielmehr wird den alternden Chef des Sinaloa-Kartells grämen, dass sein Compagnon selbst die Schuld daran zu tragen hat. Dessen Ego ist mit ihm durchgegangen: «El Chapo» wollte einen Film produzieren über das eigene Leben, mit der Schauspielerin Kate del Castillo. Die kennt jede und jeder in Mexiko, weil sie in der berühmtesten Narco-Serie des Landes – «La Reina del Sur» (Die Königin des Südens) – die Titelfigur gab.

Der Plot war inspiriert von der wahren Geschichte der schönen und mächtigen Drogenhändlerin Sandra Ávila Beltrán, die zum Zeitpunkt der Dreharbeiten längst in den USA in Haft sass. Das droht nun auch «El Chapo» Guzmán. Nachdem er schon zweimal aus mexikanischen Hochsicherheitsgefängnissen ausgebrochen ist, sind die Justizbehörden geneigt, ihn dieses Mal in den Norden auszuliefern. Dort soll er wegen einer fast endlosen Liste von Verbrechen – von Drogenhandel über Geldwäsche bis hin zu Mord – vor Gericht gestellt werden.

Vieles deutet darauf hin, dass dem weltweit meistgesuchten Drogenboss ein Interview zum Verhängnis wurde, das er im vergangenen Oktober dem Hollywoodstar Sean Penn gegeben hat. Del Castillo hatte den Kontakt hergestellt. Man stelle sich das vor: Zwei öffentlichkeitssüchtige, weithin bekannte bunte Hunde machen sich im Geländewagen auf ins bergige Hinterland von Sinaloa und steigen irgendwann in ein Kleinflugzeug um. Man kann die Sicherheitskräfte auch gleich direkt einladen. Ein Anfängerfehler.

Ein Pate alter Schule

Prinzipiell hat «El Mayo» Zambada nichts gegen Interviews. Er hat 2009 selbst eines gegeben. Allerdings war der Befrager kein Amateur, sondern der 2015 verstorbene Julio Scherer, damals einer der seriösesten und erfahrensten Journalisten Mexikos. Die Geschichte erschien als Aufmacher im Nachrichtenmagazin «Proceso», war ein landesweiter Skandal, aber niemand kam Zambada auf die Spur.

Denn Zambada ist diskret. Es gibt nur wenige, meist unscharfe Fotos von ihm, selbst über sein Alter (mutmasslich 68 Jahre) weiss man nichts Sicheres. Er verlässt nie das sogenannte Goldene Dreieck, jenes unzugängliche Bergland im Grenzgebiet zwischen den Bundesstaaten Sinaloa, Durango und Chihuahua, in dem seit über 150 Jahren Schlafmohn und Marihuana angebaut werden. In dieser vom Staat vernachlässigten Gegend sorgt er für Arbeit, für Strassen und Schulen. Hier ist er sicher. Neue Vertriebswege und Absatzmärkte für Drogen erschliesst er nicht mit schiesswütigen Pistoleros, sondern mit dicken Bündeln von Geld. Nicht, dass er Gewalt grundsätzlich ablehnen würde, aber sie ist ihm nur ein letztes Mittel. Zambada ist ein Pate der alten Schule. Einer, der weiss, dass Geld ein besseres Schmiermittel ist als Blut und dass Ruhe gut ist fürs Geschäft.

An Joaquín Guzmán hat er einen Narren gefressen, obwohl der in seinen jungen Jahren wild um sich geschossen hat. Er hatte glamouröse Frauengeschichten, feierte wilde Partys in feinen Hotels und liebte öffentliche Auftritte in Nobelrestaurants. Trotzdem hat Zambada ihn gross gemacht. Denn «El Chapo» ist ein genialer Geschäftsmann, aggressiv, skrupellos und einfallsreich. Selbst seine JägerInnen von der US-Drogenbehörde DEA trauen ihm zu, dass er in einem legalen Leben auch als CEO eines Weltkonzerns reüssieren könnte. Zambada hat Guzmán nicht nur zum gleichberechtigten zweiten Chef des von ihm aufgebauten, weltweit mächtigsten Drogenkartells gemacht. Die beiden sind auch «compadres», Paten der Kinder des anderen. In Mexiko bedeutet das viel.

Man hätte meinen können, dass Guzmán jetzt, mit 58 Jahren, ruhiger geworden wäre. Bei seinem Gefängnisausbruch über einen langen Tunnel im Juli vergangenen Jahres fiel kein Schuss. Alles wurde mit Ingenieurskunst und Bestechung geregelt – der klassische Stil. Aber nur kurz danach erlag «El Chapo» seiner Eitelkeit, dachte allen Ernstes an einen Film über sein Leben und übernahm das Casting selbst.

Ein neues brutales Ungeheuer

Guzmán ist eine Übergangsfigur, das Scharnier zwischen der alten Garde von Drogenhändlern und einer neuen, viel brutaleren Generation. Die alte erkaufte sich die fürs Geschäft nötige Ruhe und machten dabei PolitikerInnen und Sicherheitskräfte zu Komplizen. Zambada ist der Letzte von ihnen. Alle anderen wurden verhaftet oder erschossen. Aus den Kämpfen um ihre Nachfolge ist ein unübersichtlicher Flickenteppich aus Kleinkartellen und kriminellen Banden hervorgegangen. Die handeln nicht nur mit Drogen. Sie erpressen Schutzgeld, entführen und stellen sich gar korrupten BeamtInnen als Auftragskiller zur Verfügung – das zeigt der Fall der 43 verschwundenen Studenten von Ayotzinapa. Ihr Markenzeichen ist zügellose Gewalt.

Diese Tragik des mexikanischen Drogenkriegs war absehbar: Der Staat hat die Köpfe der alten Kartelle abgeschlagen und damit ein viel grausameres Ungeheuer geschaffen. Dieses Ungeheuer wird weitermorden, auch nach der Verhaftung von Guzmán. So gesehen ist er ein Mann der Vergangenheit. Seine Geschichte ist reif für Hollywood.