Drogenkartelle: Ein erfolgreicher Multi

Nr. 18 –

Drogenkartelle sind international operierende Grosskonzerne in einem völlig deregulierten Umfeld. Das zeigt das umsatzstärkste Kartell auf dem US-Markt, das Sinaloa-Kartell des kürzlich verhafteten Joaquín «El Chapo» Guzmán.

Wer ein grosses Drogenkartell leitet, braucht die Fähigkeiten eines Managers eines internationalen Grosskonzerns. Denn ein Kartell verfügt über «ein logistisches Netzwerk, das so ausgefeilt ist wie das von Amazon oder UPS».

Das sagt Patrick Radden Keefe in einem Essay über das derzeit mächtigste Drogenunternehmen, das in Mexiko beheimatete Sinaloa-Kartell. Keefe hat 2010 und 2011 das Büro des US-Verteidigungsministers in Drogenfragen beraten und steht nicht im Ruf, ein Freund dieser Mafias zu sein. Trotzdem klingt fast Bewunderung aus seinem Text.

Schneller als die Konkurrenz

Der Vergleich ist berechtigt. Joaquín «El Chapo» Guzmán, der jüngst verhaftete Chef des Sinaloa-Kartells, gebietet über ein Wirtschaftsimperium, das bei Zulieferern in Bolivien, Peru und Kolumbien (Kokain), in Indien, China und Thailand (synthetische Drogen) beginnt und bei Zehntausenden von StrassenverkäuferInnen in den USA, Europa und Australien endet. In China, Japan und Südostasien hat Guzmán zuletzt Marktstudien in Auftrag gegeben. Auf dem weltweit wichtigsten und umsatzstärksten Markt, in den USA, ist sein Kartell mit mindestens fünfzig Prozent Umsatzanteil unbestrittener Platzhirsch. Der Chef gilt als einer der Innovativsten in diesem Geschäft. Er begann mit Marihuana und Heroin, nahm Kokain ins Sortiment auf, als dieses in den USA zur Modedroge aufstieg. Und er war der Erste, der das Potenzial synthetischer Drogen erkannte und sie in Grosslaboren herstellen liess, die mehrere Hundert Tonnen pro Monat liefern können.

Auch was die Vertriebswege angeht, war er stets schneller als die Konkurrenz. Als der Seeweg über die Karibik wegen Radarüberwachung zu unsicher wurde, stieg er auf Kleinflugzeuge um. Bei einer einzigen Razzia 2008 auf dem Flughafen von Culiacán, der Hauptstadt des Bundesstaats Sinaloa, wurden 106 Flugzeuge des Kartells beschlagnahmt. Sogar eine Boeing 747 soll eine Zeit lang für «El Chapo» geflogen sein.

Guzmán war der Erste, der Tunnels unter der scharf bewachten Grenze zwischen Mexiko und den USA graben liess, mit Belüftungsanlagen und Gleisen für die Kokainwaggons. Auch auf eher archaische und eben deshalb überraschende Methoden griff er zurück: Er liess Marihuanapakete mit grossen Katapulten über die Grenzanlagen in der Wüste von Arizona werfen. Kolumbianische Zulieferer stellen für ihn heute mindestens vier verschiedene Modelle von Unterseebooten her, deren grösste bis zu zehn Tonnen Kokain laden können und von der Küste Ecuadors bis nach Los Angeles nicht einmal auftauchen müssen.

Was die Umsätze angeht, spielt das Sinaloa-Kartell mit Unternehmen wie Amazon oder UPS in einer Liga. Von den Gewinnen freilich wagen die Chefs legaler Konzerne nicht einmal zu träumen. Und das alles auch noch steuerfrei!

In psychologischen Gutachten, die während einer Haftzeit Joaquín Guzmáns von 1993 bis 2001 erstellt wurden, heisst es, er sei «hochintelligent, zurückhaltend, stets freundlich und immer berechnend». Alles Eigenschaften, die Wirtschaftsblätter auch den smarten CEOs legaler Konzerne nachsagen. Wenn solche UnternehmensführerInnen dann nicht nur als durchsetzungsfähig, sondern zudem als «aggressiv» eingeschätzt werden, gilt das als ganz besonderes Lob.

Aggressiv ist «El Chapo» Guzmán ganz bestimmt. Wenn es um die Verteidigung und Eroberung von Märkten und Vertriebswegen geht, pflastern Leichen seinen Weg. «In einer Multimillionen-Dollar-Industrie, in der Verträge nicht auf legalem Weg eingeklagt werden können, ist ein gewisses Mass an Gewalt wohl unvermeidbar», konstatiert Keefe. Und man darf sich nichts vormachen: Auch die Chefs von Rohstoff-, Pharma- oder Lebensmittelkonzernen gehen in deregulierten armen Ländern mit schwacher Justiz bekanntermassen bisweilen über Leichen. Der Unterschied ist eher quantitativ denn qualitativ.

Schmiergelder statt Steuern

Gleichzeitig achtet das Sinaloa-Kartell auf seinen guten Ruf. In seinem Operationsgebiet lässt Guzmán Schulen, Kirchen und Fussballplätze bauen wie einst in Kolumbien der gefürchtete und trotzdem bis heute verehrte Drogenboss Pablo Escobar. Wenn legale Konzerne so etwas tun, nennt man das Corporate Social Responsibility. Letztlich dient es der Markenpflege, genauso wie das Lobbying. Auch dieses Feld bespielt Guzmán virtuos. Für gute Beziehungen zu Behörden, PolitikerInnen und Sicherheitskräften gibt sein Kartell Jahr für Jahr viele Hundert Millionen Dollar aus. 2008 zum Beispiel flog auf, dass der damalige oberste Chef aller Drogenermittler in Mexiko Monat für Monat ein Köfferchen mit 450 000 US-Dollar erhalten hatte. Mexikanische Drogenexperten schätzen, das Kartell gebe etwa so viel für Schmiergelder aus, wie es unter legalen Bedingungen an Steuern bezahlen müsste.

Dass Guzmán Ende Februar verhaftet wurde, schadete den Geschäften nicht. Warum auch? Jeder erfolgreiche Konzern übersteht das Ausscheiden eines CEOs unbeschadet. Für Guzmán gab es sogar Demonstrationen, auf denen seine sofortige Freilassung gefordert wurde.

Rein wirtschaftlich gesehen können Kartelle erfolgreicher sein als andere internationale Unternehmungen, weil sie in einem illegalen und deshalb vollkommen deregulierten Umfeld operieren. Die Legalisierung ihrer Ware würde zumindest eine gewisse Regulierung mit sich bringen. Aber auch nicht mehr. Eben deshalb macht Uruguay bei der Legalisierung von Marihuana mit einem staatlichen Monopol für Produktion, Vertrieb und Verkauf auch gleich den zweiten nötigen Schritt: die Vergesellschaftung einer heutigen Schlüsselindustrie.