Durch den Monat mit Karl Lüönd (1): Haben Sie schon einen Blutrausch erlebt?

Nr. 44 –

In den achtziger Jahren war der «Züri Leu»-Chefredaktor Karl Lüönd ein Feindbild der Jugendbewegung. Heute müssen sich vor dem Buchautor und passionierten Jäger bloss noch die Wildsauen in Acht nehmen.

Karl Lüönd: «Wäre ich ein Wild, man würde mir den Fangschuss geben.»

WOZ: Herr Lüönd, Sie sind passionierter Jäger und hocken im Büro. Was ist los?
Karl Lüönd: Mir geht es gesundheitlich nicht besonders. Seit Mai wurde ich dreimal am Bein operiert. Wäre ich ein Wild, würde man mir den Fangschuss geben.

Kein Jagdfieber?
Das hat mich am Anfang meiner Jägerlaufbahn ergriffen. Übrigens eine sinnvolle Reaktion. Ehe du abdrückst, gibt sie dir zu verstehen, dass du tötest. Das muss sich ein Jäger immer wieder sagen: Ja, ich töte.

Was ist die Steigerung des Jagdfiebers – der Blutrausch?
Ich jage seit über dreissig Jahren und habe das nie beobachtet. Die Befriedigung besteht im Wissen: Ich habe gut getroffen. Im Idealfall ist das Tier tot, ehe es den Schuss hört.

Was fühlten Sie, als Sie Ihr erstes Tier erlegten?
Ich war zufrieden, ohne Triumphgefühl. Es war ein Rehbock im Mai, der nicht wusste, wie ihm geschah. Für mich ist jagen, als würde ich einen Apfel pflücken. Ich ernte etwas. Das ist in meinem Weltbild richtig. Es heisst ja in der Bibel: Macht euch die Erde untertan.

Welche Tiere jagen Sie am liebsten?
Wildsauen. Weil sie gescheit, wehrhaft und schnell sind. Sie haben immer eine Chance.

Weiden Sie das erlegte Tier aus?
Das gehört dazu. Man kann es wegen der Hygiene nicht stundenlang an der Sonne liegen lassen. Der Jäger bricht das Tier sofort auf, wie wir sagen, er schlitzt es also auf, er lässt es ausbluten, er präpariert Herz, Leber und Niere heraus – sie stehen ihm unabhängig von den Besitzverhältnissen zu. In der Regel gehört das Fleisch nämlich den Jagdgesellschaften oder dem Staat. Und dann ab in die Kühle.

Wozu jagen in einem Land, in dem Fleisch im Überfluss vorhanden ist?
Wild ist ein reichlich vorhandenes natürliches Gut. Und die Jagd reguliert die Bestände. Ein Beispiel: Im Fricktal richteten Wildsauen im Kulturland grosse Schäden an. Auf den Feldern wurden die Wildsauen mit Ausnahme von führenden Bachen, also Muttersäuen mit ihren Frischlingen, rabiat geschossen, und gleichzeitig liess man sie im Wald in Ruhe. So lassen sich mit einer klugen Bejagung wilde Tiere steuern, die sozial intelligent sind und schnell lernen.

Die Organisation Jagd Schweiz publizierte im September eine Studie. Demnach ist die Akzeptanz der Jagd in der Bevölkerung sehr hoch.
Sie ist unverändert hoch. Diverse Volksentscheide untermauern dies. Im Kanton Aargau wurden drei Volksinitiativen verworfen, die die Jagd total abschaffen oder wie vor einem Jahr ein Verbot von Treibjagden einführen wollten, in den Kantonen Solothurn und Tessin desgleichen. Die grosse Ausnahme ist der Kanton Genf, wo seit 1972 ein Jagdverbot besteht. Wobei weiterhin gejagt wird, durch staatliche Jagdaufseher. Letztes Jahr schossen sie etwa 400 Wildsauen.

Kann jeder jagen?
Wer Jäger werden möchte – was ich nur empfehlen kann –, der kann in den ersten zwei Jahren seine Freizeit vergessen. Sie ist ausgebucht mit Kursen und Begleitgängen. Wenn du Glück hast, findest du ein Revier. Dann gibt es eine Serie von Prüfungen. Zuerst kommt es auf die Fertigkeit im Schiessen an. Daran scheitern viele, darum hat es auch so wenig Jägerinnen. Die Hürde ist hoch. Golf spielen ist leichter.

Sie behaupten, Frauen könnten nicht gut schiessen?
Nicht so pauschal. Aber ihre Hemmschwelle ist höher. Den meisten fehlt schon einmal die Schiesserfahrung aus dem Militär. Aber die Jägerinnen, die ich kenne, sind sehr gute Schützinnen.

Sie jagen in einem Revier. Es gibt aber auch die Patentjagd. Was ist der Unterschied?
Das Patentsystem kennen die Bergkantone, die Westschweiz und das Tessin. In den Patentkantonen kann jeder mit einer Jagdbefähigung jagen. Die Dauer dieser Jagd ist kürzer. Das hat vor allem kontrolltechnische Gründe. Die Jagdaufsicht besorgen staatliche Wildhüter.

In der Revierjagd pachtet eine Gruppe von Jägern von der Gemeinde ein Revier. In meiner Gemeinde sind wir während acht Jahren verantwortlich für alles, was das Wild anrichtet. Weil im Reviersystem weniger Jäger jagen, sind die Jagdzeiten länger. Die Kontrolle ist geringer, dafür die Eigenverantwortung höher.

Ist die Jagd nur etwas für reiche Leute?
Ich bezahle in einem Revier 800 Franken, im anderen 600 Franken. Das ist vergleichbar mit einem Tennisklub. Eine Erstausrüstung mit Occasionsgewehren ist ab etwa 5000 Franken erhältlich. Die meisten kaufen sich bei Antritt einer Jagdpacht dann eine kombinierte Waffe, einen Drilling, mit Schrot- und Kugelläufen. Damit bist du auf alles vorbereitet, von der Krähe bis zum Hirsch. Ein neues Gewehr ist die grösste Anschaffung, die Kosten sind nach oben offen, man könnte dafür locker 100 000 Franken ausgeben. In Österreich und Frankreich sind die Preise für Reviere wesentlich höher, weil nicht der Staat sie verpachtet, sondern Private. In Österreich ist die Jagd inzwischen an vielen Orten die wichtigere Einnahmequelle als die Alpwirtschaft. Das muss man sich mal vorstellen!

Karl Lüönd (67) sass in den siebziger Jahren 
in der Chefredaktion des «Blicks». Der Urner geht seit über dreissig Jahren auf die Jagd.