Europainitiative: EU-Turbos im Seitenwagen

Nr. 14 –

Sie soll die Zusammenarbeit mit der EU in der Verfassung verankern, für Schwung im Dossier sorgen – und gleichzeitig als Rückversicherung dienen: Am Dienstag lancierte die Europaallianz ihre Initiative.

Es ist ein Nachmittag der grossen Fragen in Bern. Zum Beispiel: Wo liegt die Schweiz? Braucht der Bundesrat Rückendeckung? Und wo bleibt eigentlich die Euphorie?

Im Medienzentrum des Bundeshauses haben am Dienstag Vertreter:innen der Europaallianz die Lancierung ihrer Europainitiative verkündet. Erschienen sind, neben Sanija Ameti, Kopräsidentin der federführenden Operation Libero, Nicolas Walder, Vizepräsident der Grünen, sowie der emeritierte Rechtsprofessor Thomas Cottier. Auch die überparteiliche Europäische Bewegung, die zivilgesellschaftliche Plattform Schweiz–Europa und der Verband der Schweizer Studierendenschaften sind auf der Bühne vertreten.

«Ich freue mich wahnsinnig darauf, das Wort ‹Europa› in der Verfassung zu lesen», sagt Ameti. Dort will die Initiative verankern, dass sich der Bund «aktiv» an der europäischen Integration beteiligt, wobei er die Einhaltung der derzeit geltenden Verträge zum Schutz der «föderalen Grundwerte» sicherstellen müsse. Namentlich auch jene, die den Arbeitsmarkt betreffen, also die flankierenden Massnahmen. Es gehe darum, einen langfristigen Grundsatzentscheid über das Verhältnis zur EU herbeizuführen, sagt Ameti.

Stabiler Geduldsfaden

Erstmals vorgestellt hat die Europaallianz ihre Initiative schon im Sommer 2022. Damals unter der Prämisse, dass sie einen «Ausweg aus der Sackgasse» ermöglichen soll. Das Rahmenabkommen mit der EU war im Jahr zuvor vom Bundesrat aufgegeben worden.

Der ursprüngliche Initiativtext sah unter anderem vor, den Bundesrat zur Aufnahme von Verhandlungen zu verpflichten, um institutionelle Fragen mit der EU zu regeln. Die Initiant:innen wollten dem Parlament aber noch Zeit geben, das damals in den Räten diskutierte und später versenkte «Europagesetz» anzunehmen. Man wolle den parlamentarischen Weg nicht ersetzen, bloss unterstützen, sagten sie damals, und sie nahmen eine «Aufbruchstimmung in der Europapolitik» wahr.

Nachdem der Ständerat seinen Entscheid in den darauffolgenden Monaten dreimal verschoben hatte, machte die Allianz ein bisschen ernst und lancierte ein Crowdfunding. «Jetzt ist uns der Geduldsfaden gerissen», liess sich Maxime Barthassat im November zitieren: Er war damals noch Kopräsident des Verbands der Schweizer Studierendenschaften, heute arbeitet er in einer Wirtschaftskanzlei.

Jetzt ist es also so weit. Rund zwei Wochen nachdem die Verhandlungen des Bundesrats mit der EU über neue Abkommen und die Klärung institutioneller Fragen offiziell begonnen haben. Gespräche also, zu deren Aufnahme die Initiative ihn laut ursprünglichem Initiativtext hatte verpflichten wollen.

An diesen Verhandlungen hat im Berner Medienzentrum niemand etwas auszusetzen. Sanija Ameti nennt sie «das zielführendste Mittel», um die Beziehungen zur EU zu klären. An der Wichtigkeit der Europainitiative ändere das aber nichts, weil es eben darum gehe, einen Grundsatzentscheid in der Verfassung zu verankern. Die Aufforderung an den Bundesrat, Verhandlungen aufzunehmen, ist aus dem Initiativtext verschwunden. Und der parlamentarische Weg scheint mittlerweile sekundär.

Wieso auch nicht?

Achtzehn Monate haben die Initiant:innen nun Zeit, um die nötigen Unterschriften zu sammeln. Sollten die laufenden Verhandlungen der Schweiz mit der EU zu einem Ergebnis gelangen, wird die Stimmbevölkerung auch darüber abstimmen müssen. Denn egal, ob das Justizdepartement zum Schluss kommt, dass das Referendum fakultativ oder obligatorisch sein wird: Die SVP ergreift gegen alles, was «EU» im Namen trägt, ein Referendum (sofern es dabei nicht um die Militarisierung der Aussengrenzen geht).

Diese Abstimmung wird voraussichtlich vor jener zur nun lancierten Europainitiative stattfinden. Es bleibt die Frage, wie sich die beiden Anliegen aufeinander auswirken. Thomas Cottier ist überzeugt, dass die Initiative den Verhandlungen mit der EU Rückenwind geben werde; sie biete den Befürworter:innen der Verhandlungen «die Möglichkeit, aktiv mit der Unterzeichnung der Initiative ihre Unterstützung zum Ausdruck zu bringen», sagt er an der Pressekonferenz.

Es gab schon stärkere Argumente für Initiativen. Ameti und ihre Mitstreiter:innen bewerben sie deshalb nicht nur als offensiven Befreiungsschlag, sondern auch als eine Art Gegenteil davon: als «Rückversicherung». Sollte die mögliche Einigung mit der EU dereinst an der Urne scheitern, erhielte die Initiative eine neue Bedeutung.

Das dürfte auch manchen Kritiker:innen von Links entgegenkommen. Denn das Verhandlungsmandat des Bundesrats bietet Angriffsfläche. Besonders umstritten sind die sich abzeichnenden Liberalisierungsschritte auf dem Strommarkt und im Bahnverkehr sowie die drohende Übernahme des EU-Spesenreglements – eine Hintertür für Lohndumping (siehe WOZ Nr. 12/24). Die Europainitiative könnte es proeuropäisch eingestellten Linken einfacher machen, in der einen Abstimmung «Nein» zum bundesrätlichen Verhandlungsergebnis zu sagen und sich in der anderen trotzdem für eine EU-Annäherung auszusprechen. Im EU-Dossier, wo es an Demokratiedefiziten nicht mangelt, hat diese Differenzierungsmöglichkeit durchaus ihren Reiz.