Kunst in Palästina: «Früher waren die Bilder hoffnungsvoller»

Nr. 14 –

Kunst als Politikum: Ein bekannter Maler und zwei Student:innen aus Jerusalem erzählen, wie der Krieg in Gaza ihre Arbeit und ihr Studium beeinflusst.

das Gemälde «Symbol der Hoffnung» von Sliman Mansour aus dem Jahr 1985
1985 malte Sliman Mansour «Symbol der Hoffnung». Farbdrucke des bekannten Bildes hängen in Cafés und Bücherläden in Jerusalem.

Ende Februar starb einer der bekanntesten palästinensischen Künstler: Der 77-jährige Fathi Ghaben wartete mit seiner Familie vergeblich darauf, aus Gaza ausreisen zu können, um medizinisch versorgt zu werden, während sich sein Gesundheitszustand verschlechterte.

«Fathi hatte sich das Malen selbst beigebracht und wurde so zu einem der bedeutendsten Künstler Gazas», sagt Sliman Mansour aus Jerusalem, der selbst zu den populärsten zeitgenössischen palästinensischen Künstler:innen gehört. Neben der Liebe zur Malerei teilten die zwei Freunde Ghaben und Mansour weitere Gemeinsamkeiten: Beide sind 1947, ein Jahr vor der Staatsgründung Israels, geboren, und beide wurden im Lauf ihres Lebens wegen ihrer Kunst von den israelischen Behörden inhaftiert. Seit Beginn des gegenwärtigen Krieges fällt es Mansour schwer, sich auf das Malen zu konzentrieren. «Nicht nur ich habe dieses Problem; auch meine Kunstkollegen sind sehr betrübt. Wir haben viele Freunde in Gaza, und einige von uns haben Familienangehörige dort. Da fällt es einem schwer, produktiv zu sein.»

Stipendium in Beirut

Der Krieg wirkt sich nicht nur auf die Psyche und die Produktivität des Künstlers aus, sondern auch auf die wenigen Bilder, die er seit dem 7. Oktober fertigstellen konnte: Mansour ist bekannt für seine Darstellung von Frauen, die bunte, traditionelle palästinensische Trachten tragen. Bei seinen neuen Gemälden hingegen dominieren Grautöne, Trauer und Verwüstung. «Wir hatten Anfang März eine Gruppenausstellung in Ramallah», erzählt Mansour. Dort sei aufgefallen, dass die Gemälde heute, bis auf einige Ausnahmen, weniger farbenfroh seien als vor dem Krieg. «Früher waren die Bilder hoffnungsvoller.»

«Symbol der Hoffnung» ist auch der Titel eines der bekanntesten Bilder Mansours. Darauf sind die Einwohner:innen eines palästinensischen Dorfes zu sehen, die zum Himmel emporschauen und eine Friedenstaube erblicken. Das Bild entstand im Jahr 1985 – noch heute findet man gerahmte Druckversionen davon in palästinensischen Cafés und Bücherläden Jerusalems, wo Mansour lebt. Die Hoffnung hat der Künstler, der unter der Woche nach Ramallah in sein Studio pendelt, bis heute nicht verloren: Hoffnung auf eine friedvolle Zukunft, in der Palästinenser:innen dieselben Rechte geniessen wie jüdische Israelis, ohne Checkpoints und andere zeitraubende Hürden, die er fast täglich auf dem Weg zur Arbeit überwinden muss.

Anders als sein verstorbener Freund Fathi Ghaben hat Sliman Mansour, dessen Talent bereits in jungen Jahren anerkannt wurde, eine künstlerische Ausbildung genossen. Anfang der sechziger Jahre überredete ihn sein aus Deutschland stammender Kunstlehrer, an einem Uno-Kindermalwettbewerb teilzunehmen. Als Mansour den ersten Platz belegte, wurde er von seinem Umfeld nur noch als «der Künstler» wahrgenommen. Dies machte seinen Werdegang einfach, denn er musste nach der Schule nicht lange überlegen, was er studieren sollte.

Mitte der Sechziger bewarb sich Mansour für ein Stipendium des Lutherischen Weltbunds. Die kirchliche Gemeinschaft stellte den Stipendiat:innen die Bedingung, sich an jener Institution einzuschreiben, die ihrem Wohnsitz am nächsten war. Für Palästinenser:innen aus dem Westjordanland und aus Ostjerusalem, die damals noch unter jordanischer Herrschaft lebten, war das für ein Kunststudium die libanesische Hauptstadt Beirut. Hier begann Mansour 1966 seine Ausbildung. Als es Israel im Sechstagekrieg von 1967 gelang, das Westjordanland, Ostjerusalem, Gaza sowie weitere Gebiete zu erobern, änderten sich die politischen Verhältnisse. Die völkerrechtswidrige Besetzung Ostjerusalems ermöglichte es Mansour, an der dortigen Bezalel-Kunsthochschule zu studieren – einer israelischen Institution, an der er der einzige palästinensische Student war, der aus den besetzten Gebieten stammte. Das Stipendium vom Lutherischen Weltbund bekam er weiterhin.

Gemälde ohne Titel von Sliman Mansour aus dem Jahr 2024
2024, ohne Titel: «Gegenwärtig bin ich vor allem Betrachter des Leids», sagt Sliman Mansour.

Schon damals thematisierte er wie noch heute die palästinensische Flüchtlingsproblematik und griff Themen zur palästinensischen Identität auf. Die meisten der israelischen Professoren hätten seine Arbeit ignoriert, so Mansour, bis auf einen Lehrer, dessen Namen er bis heute in Erinnerung hat. «Herr Hirsch lobte mich immer für meine Bilder und betonte, dass ich mit Liebe malte. Er hielt dies für sehr wichtig.» Der Künstler erinnert sich gerne an seine Studienzeit zurück, und mit einigen ehemaligen Mitstudent:innen, israelischen wie auch palästinensischen, ist er bis heute befreundet.

Für Sliman Mansour ist es wichtig, sein Lebensumfeld in seinen Bildern darzustellen. Er war 1973 auch Mitbegründer der League of Palestinian Artists, die der Kunst in Palästina eine neue politische Dringlichkeit verlieh. Heute nimmt er bei vielen Künstler:innen wahr, dass sie sich einem gewissen Trend anpassen: einem Trend, der darauf beruhe, das kollektive Leid von unter der Besetzung lebenden Palästinenser:innen auszublenden. Dieses Beiseiteschieben der politischen Realität nehme durch die zunehmende Popularität abstrakter Kunst zu. «Man kann sich von vielen unterschiedlichen Stilen inspirieren lassen, und nicht jedes Kunstwerk muss die Besetzung thematisieren. Aber wenn man sich als Palästinenser zu sehr darauf konzentriert, welche Bilder es nun in die Galerien von New York oder Berlin schaffen könnten, und sein Werk danach richtet, dann ist das für mich keine Kunst mehr. Es ist wichtig, dass man seine eigene Botschaft zum Ausdruck bringt.» Mansour kritisiert zudem, dass viele israelische Galerist:innen palästinensische Künstler:innen nur ausstellen lassen würden, wenn diese die Besetzung nicht in ihrer Arbeit thematisierten.

Anspannung an der Kunsthochschule

Sich als Palästinenser:in unter israelischer Besetzung bezüglich politischer Themen, die Israels Politik oder Regierung betreffen, frei zu äussern, ist seit dem Massaker der Hamas vom 7. Oktober noch schwieriger geworden, als es ohnehin schon war; vor allem, wenn man an einer israelischen Institution studiert. Anders als zu Mansours Zeit studieren heute Dutzende Palästinenser:innen aus den besetzten Gebieten an der israelischen Kunstakademie. «Bezalel ist eine sehr gute Hochschule, und wenn man wie ich in Ostjerusalem lebt, dann ist der Weg im Vergleich zu jenem an die palästinensischen Hochschulen in Bethlehem oder Bir Seit nicht lang, da ich keine Checkpoints passieren muss», erzählt der 21-jährige Rami Abdin, dessen Name aus Sicherheitsgründen geändert wurde.

Die Spannungen zwischen israelischen und palästinensischen Student:innen seien seit Beginn des Krieges jedoch sehr gross. «Der Krieg ist natürlich stets präsent. Ich teilte anfangs auf Instagram einige Kunstwerke anderer Künstler, die auf das Leid in Gaza aufmerksam machten», sagt Abdin. «Später fand ich heraus, dass man meinen Account regelmässig in einer israelischen Telegram-Gruppe mit dem Titel ‹Bezalel students who are supporting terrorism› teilte. Ich bekam auch privat Nachrichten von Mitstudenten, die mir unterstellten, Terror zu unterstützen.» Seitdem bemüht sich Abdin, politische Themen an der Akademie und in den sozialen Medien nicht zu thematisieren. «Es ist paradox», sagt er, «überall befinden sich bewaffnete Soldaten und Siedler, aber wenn wir genau das mit unserer Kunst thematisieren würden, könnte das schwerwiegende Konsequenzen für uns haben.»

Die Grenzen, die sich Abdin an der Bezalel zum Selbstschutz auferlegt, gelten im privaten Umfeld nicht, doch in der palästinensischen Community werde seine Liebe zur Kunst manchmal belächelt. «Manche Palästinenser betrachten es aus islamischer Sicht als Sünde, Kunst zu machen. Andere wiederum sind der Ansicht, dass Kunst nur etwas für Mädchen sei, es sei denn, man kreiert etwas zu politischen Themen. Politische Themen findet man wiederum immer grossartig.» Während an der Hochschule das Politische verbannt zu sein scheint, wird es im palästinensischen Umfeld Abdins glorifiziert – ein künstlerisches Dasein zwischen Gegensätzen.

Sliman Mansour sieht auch in der Abwesenheit des vermeintlich Politischen eine Form der Politik. «Wenn man als Künstler, der unter Besetzung lebt, diese nie thematisiert oder anspricht, dann ist dies nicht weniger politisch. Es ist eine Politik, die auf dem Vergessen und der Verleugnung dessen basiert, was um einen herum geschieht.» In Kunst und Kultur allgemein sieht er starke Mittel, um gegen die Entmenschlichung anzukämpfen, die von Israels rechtsnationaler Regierung im Bezug auf die Palästinenser:innen betrieben werde.

Gedanklich ständig in Gaza

Die 23-jährige Asa Danun (auch ihr Name wurde aus Sicherheitsgründen geändert) hatte vor dem 7. Oktober eine ähnlich optimistische Sicht auf den Einfluss, den Kunst auf die Gesellschaft haben kann. Auch sie, eine Studienkollegin von Rami Abdin, erzählt von einer stetigen Anspannung in Bezalel. «Seit dem Krieg gehen sich die israelischen und palästinensischen Studentinnen und Studenten aus dem Weg und sprechen nicht miteinander.» Unter diesen Umständen fällt es ihr schwer, kreative Arbeit zu leisten. Doch als Studentin einer Kunsthochschule hat sie keine andere Wahl; erst kürzlich musste sie ihr Abschlussprojekt abgeben. «Meine Werke haben sich nicht stark verändert seit dem Kriegsausbruch, allerdings teile ich sie nicht mehr auf Social Media wie früher», sagt sie. Nicht weil sie Angst habe, dass es Konsequenzen für sie haben könnte, sondern weil sie sich unwohl fühle, wenn sie ihre Kunst poste, während sie gleichzeitig auf Instagram das Leid sehe, dem die Menschen nur wenige Kilometer entfernt ausgesetzt seien.

Auch Sliman Mansour befindet sich gedanklich ständig in Gaza. Das wird deutlich, wenn man seine neusten Bilder betrachtet. Doch auch wenn sich Mansour, der alle bisherigen israelisch-arabischen Kriege miterlebt hat, künstlerisch mit dem Krieg auseinandersetzt – ihn plagt wie Asa Danun und Rami Abdin ein Gefühl der Machtlosigkeit. «Gegenwärtig bin ich vor allem ein Betrachter des Leides, das sich in der Ferne ereignet.» Ende der achtziger Jahre, während der ersten Intifada, sei das nicht so gewesen. «Wir waren aktiv in das Geschehen involviert und nahmen an Demonstrationen und anderen politischen Aktivitäten teil. Heute ist meine Anteilnahme emotional, aber nicht wirklich aktiv.»