Silvana Schmid (1927–2024): Die Fesseln der Konventionen gesprengt

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Wären da nicht die kulturelle Aufbruchstimmung der 1960er Jahre und die Revolte der Achtundsechziger gewesen, dann hätte sie wohl, so gestand sie mir einmal, das Leben einer gelangweilten Gattin eines Architekturprofessors geführt. Der Strudel jener Zeiten aber warf sie aus der vorgezeichneten Bahn. Sie suchte ihren eigenen Weg und wurde Journalistin.

Geboren wurde Silvana Schmid 1927 in Kilchberg bei Zürich, die Schulzeit verbrachte sie vorwiegend im Tessin. Gerade achtzehn Jahre alt geworden, wanderte sie – zusammen mit ihrer Mutter – nach Brasilien aus, wo sie sich als Fremdsprachensekretärin durchschlug. Vom Zuckerhut an den Üetliberg zurückgekehrt, übersetzte sie Filme, wurde schliesslich Redaktorin bei der «Annabelle», später bei «Sie + Er». Von den politischen Ereignissen in Prag und Berlin 1968 elektrisiert, fand sie die Illustrierten jedoch schon bald zu seicht. Sie kündigte, liess sich scheiden und gründete 1973 mit einigen Mitstreiter:innen in Zürich den «Presseladen», eine Bürogemeinschaft fortschrittlich gesinnter freischaffender Journalist:innen.

Zusammen mit zwei Kollegen aus dem «Presseladen» verfasste Schmid ihr erstes Buch: «Das rote Bologna. Kommunisten demokratisieren eine Stadt im kapitalistischen Westen». Sie war fasziniert von den Erfolgen der kommunistischen Stadtverwaltung, vom Modell demokratischer Partizipation. 1977 schrieb sie unter dem Titel «Freiheit heilt» ein Buch über ein Aufsehen erregendes Experiment von Franco Basaglia, der, entsetzt über Zwangsjacken und Elektroschocks, als Leiter der psychiatrischen Klinik von Triest seine Patient:innen freiliess und sich um die Rückführung der Kranken in die Gesellschaft bemühte.

In den achtziger Jahren kehrte Schmid in ihre Wahlheimat zurück, berichtete als Korrespondentin für Deutschschweizer Tageszeitungen aus dem Tessin und wurde schliesslich Chefredaktorin der «Tessiner Zeitung». Im Ruhestand schrieb sie weitere Bücher – über das surrealistische Künstler:innenpaar Max Ernst und Leonora Carrington, über die Tessiner Sängerin und Performerin La Lupa – und dann eines über ihre eigene Mutter. Es ist ihr schönstes Buch. Es trägt den Titel «Süss & bitter». Die Autorin blickt darin auch – durch die Augen ihrer Mutter – auf sich selbst und erzählt von einer jungen Frau, die die Fesseln der Konventionen sprengt und schliesslich als Journalistin reüssiert. Silvana Schmid starb im Alter von 96 Jahren in einem Pflegeheim in Tenero.