Sicherheitspolitik: In Reih und Glied mit der Nato

Nr. 14 –

In Genf wird die Nato ein «Verbindungsbüro» eröffnen – ausgerechnet im Haus des Friedens. Und der Bundesrat weigert sich weiter, den Atomwaffenverbotsvertrag zu ratifizieren. Beides zeigt, wie weit die Annäherung an das Bündnis schon gediehen ist.

Armeechef Thomas Süssli mit Rob Bauer und Vertretern der Armeen verschiedener Nato-Partnerstaaten
Ganz am Rand und doch dabei: Armeechef Thomas Süssli (ganz rechts) mit Rob Bauer (Vorsitzender des Nato-Militärausschusses, Mitte) und Vertretern der Armeen verschiedener Nato-Partnerstaaten bei einem Treffen in Brüssel am 18. Januar. Foto: Nato / IMS

Im Genfer Stadtzentrum, unweit vom Seeufer, steht seit zehn Jahren ein moderner, mit viel Glas gefertigter Gebäudekomplex: die Maison de la Paix. Gemäss Bund, der den Bau mitfinanziert hat, ist er «als Ort der Begegnung, der Reflexion und des Handelns im Bereich der Friedensförderung konzipiert». Ausgerechnet an diesem symbolträchtigen Ort soll noch dieses Jahr ein «Nato-Verbindungsbüro» eröffnet werden. Das Militärbündnis im Haus des Friedens.

So steht es in einer Aktennotiz der Schweizer Armee*, die die WOZ gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz erhalten hat. Gemäss dieser Notiz stimmte der Bundesrat bereits am 22. November 2023 «auf Antrag des Aussendepartements» der Eröffnung des Nato-Büros «in Räumlichkeiten des Maison de la Paix» zu. Am 14. Dezember 2023 gab dann auch die Nato ihre «finale Zustimmung». Weder das Parlament noch die Öffentlichkeit wurden bis anhin über diesen Beschluss informiert.

Schweigen bei Mitte, GLP, SVP

Einen noch gewichtigeren Annäherungsschritt an das Militärbündnis vollzog der Bundesrat Mitte letzter Woche. Unter Federführung von FDP-Aussenminister Ignazio Cassis und Mitte-Verteidigungsministerin Viola Amherd entschied die Landesregierung, den Atomwaffenverbotsvertrag (TPNW) nicht zu ratifizieren – und setzte sich damit ein weiteres Mal über einen deutlichen Parlamentsentscheid hinweg, der schon vor sechs Jahren einen umgehenden Beitritt zum TPNW gefordert hatte.

Der bundesrätliche Beschluss sorgte bei den linken Parteien für harsche Reaktionen. Für die Grünen ist er «schockierend». «Atomwaffen sind die verheerendsten Waffen der Welt, mit dem Potenzial der Vernichtung von Mensch und Natur», so die Partei. Der Bundesrat sende mit seinem Abseitsstehen ein zweifelhaftes Zeichen in die Welt. Auch die SP kritisiert «den Entscheid, der sich gegen den klaren Willen des Parlaments stellt», und fordert: «Der Bundesrat muss bei diesem Friedensprojekt endlich vorwärtsmachen, denn Atomwaffen sind nicht mit dem humanitären Völkerrecht vereinbar.» Die FDP hingegen stellt sich voll und ganz hinter den Bundesrat, während von Mitte und GLP trotz mehrfacher Anfrage keine Rückmeldung kam. Die SVP wiederum verweigert sich der Debatte und sagt lediglich: «Die Partei verzichtet zurzeit auf eine Stellungnahme.»

«Ready to play the part»

Als sich 2007 die Internationale Kampagne zur Abschaffung der Atomwaffen (Ican) gegründet hatte, um einen entsprechenden völkerrechtlichen Vertrag zu erarbeiten, war die Schweiz bald eine wichtige Stütze. Sie half mit, die humanitären Auswirkungen von Atomwaffen in den Fokus zu rücken, und beteiligte sich aktiv an den Vertragsverhandlungen. Mit Erfolg: 2017 verabschiedete die Uno-Generalversammlung den Atomwaffenverbotsvertrag. 122 Staaten stimmten dafür, darunter auch die Schweiz. Die Ican erhielt damals für ihren Einsatz den Friedensnobelpreis. Seit 2021 ist der Vertrag nun offiziell in Kraft, siebzig Staaten haben ihn mittlerweile ratifiziert.

Nicht so die Schweiz. Im Gegenteil. Der Bundesrat hat seinen letztwöchigen Entscheid gegen die Ratifizierung des TPNW mit zwei ergänzenden Berichten unterlegt. Die dokumentieren in aller Offenheit: Der ausschlaggebende Punkt war die Beziehung zur Nato. Ein TPNW-Beitritt würde «die Position der Schweiz in Sicherheitspartnerschaften komplizieren – insbesondere gegen die Nato», steht im sogenannten Dittli-Bericht. Ebenso wie der bemerkenswerte Satz in Bezug auf den Krieg in der Ukraine: «Dass Kernwaffen bislang nicht eingesetzt wurden, kann als Argument für die funktionierende Abschreckung gesehen werden.»

Es ist das erste Mal, dass sich die Schweiz offen positiv auf die nukleare Abschreckungsdoktrin der Nato beruft. Noch vor zwei Jahren veröffentlichte das Aussendepartement den Grundlagentext «Nukleare Abrüstung – Der Weg zum Global Zero» auf seiner Website. Darin heisst es: «Die Schweiz unterstützt konkrete Massnahmen, welche das Fernziel einer Welt ohne Kernwaffen näherbringen.» Die Verminderung der nuklearen Abschreckung in den Sicherheitsdoktrinen sei ein wichtiger Schritt in diese Richtung.

Wie stark – insbesondere im Verteidigungsdepartement – der Wille zu einer möglichst engen Nato-Anbindung ist, stellt ein weiteres Dokument klar, das der WOZ vorliegt: eine teils geschwärzte Sprechnotiz von Armeechef Thomas Süssli für den Nato-Gipfel in Brüssel vom 18. Januar*. Darin skizziert Süssli den «Schweizer Ansatz hin zu einer engeren Kooperation». Der sieht etwa die Teilnahme an Nato-Übungen vor, denn diese seien «der Schlüssel wenn nicht gar der letzte Schritt, um die Interoperabilität am Boden, in der Luft oder im Cyberspace sicherzustellen». «Switzerland is ready to play its part», heisst es am Ende der Notiz.

Ray Acheson hat TPNW-Verhandlungen für die feministische Friedensorganisation Women’s International League for Peace and Freedom (WILPF) aktiv begleitet und die Schweiz noch als unterstützende Kraft erlebt. Sie ist fassungslos, als sie vom aktuellen Entscheid des Bundesrats hört. «Die nukleare Abschreckung ist moralisch und strategisch bankrott. Sie erfordert die Fähigkeit und die Bereitschaft, einen Völkermord zu begehen, um einen Angriff zu verhindern», sagt Acheson. Zudem erfordere sie den milliardenschweren Aufbau von Arsenalen, die angeblich nie zum Einsatz kommen sollen. Für die kanadische Anti-Atomwaffen-Aktivistin ist klar, dass «die einzige Möglichkeit, einen Atomkrieg tatsächlich zu verhindern», die Abschaffung der Atomwaffen sei.

Die Weigerung der Schweiz, den TPNW zu unterzeichnen, stehe im Widerspruch zu ihrem erklärten Engagement für Humanität und für das Völkerrecht. «Indem sie die Nukleardoktrin der Nato unterstützt, erklärt die Schweiz, dass Atomwaffen für die Sicherheit Europas notwendig sind», was eher zur Verbreitung und Modernisierung von Atomwaffen als zur nuklearen Abrüstung führe, sagt Acheson.

Zu ganz ähnlichen Einschätzungen kommt auch der österreichische Aussenminister Alexander Schallenberg. «Der Atomwaffenverbotsvertrag ist ein Meilenstein und ebnet den Weg aus der Sackgasse der steigenden nuklearen Bedrohung und der Rüstungsspirale», sagte er kürzlich in Wien, das Genf mittlerweile den Rang als globales Abrüstungs- und Friedenszentrum streitig macht – wobei die wichtigsten Impulse dazu eindeutig aus dem Globalen Süden kommen.

«Wir können die internationale Sicherheit nicht auf nukleare Abschreckung gründen», so Schallenberg weiter. Die wissenschaftliche Faktenlage – das österreichische Aussenministerium hat sie in einer sorgfältigen, über 100-seitigen Dokumentation zusammengefasst – sei eindeutig: «Die Annahme, es gäbe nukleare Abschreckung, ist schlichtweg falsch. Die katastrophalen Auswirkungen und die Risiken sind zu hoch.»

Die Volksinitiative kommt

Österreich gehört neben Irland und Malta zu den bisher einzigen europäischen Ländern, die den TPNW ratifiziert haben – ohne dafür von der Nato abgestraft zu werden. Wie die Schweiz ist das Nachbarland weiterhin Teil der «Partner Interoperability Advocacy Group» des Militärbündnisses und war an den bereits erwähnten Brüsseler Nato-Gipfel eingeladen.

Marionna Schlatter, grüne Nationalrätin, spricht deshalb vom «vorauseilenden Gehorsam des Bundesrats» und kritisiert den Alleingang «ohne breite Debatte oder Legitimation». Dasselbe Problem erkennt auch SP-Nationalrätin Claudia Friedl: «Tatsächlich nähert sich die Schweiz der Nato rascher an, als vielen bewusst ist.» Gerade für den F-35 werde es interoperable Systeme brauchen, die eine Annäherung der Schweiz an die Nato auf technischer Ebene noch weiter beschleunigen. Während eine gewisse Zusammenarbeit sinnvoll sei, müsse die Schweiz aufpassen, «dass sie sich nicht ungewollt so sehr an die Nato annähert, dass im Kriegsfall die Gefahr bestünde, in den bewaffneten Konflikt gezogen zu werden», so Friedl.

Die zuständigen Bundesrät:innen Cassis und Amherd werden sich einer öffentlichen Debatte über den TPNW und damit auch über die aussen- und sicherheitspolitische Rolle der Schweiz nicht mehr lange entziehen können: Eine Allianz für ein Atomwaffenverbot, die vom Schweizer Ican-Ableger sowie der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA) angeführt wird, hat eine Volksinitiative lanciert. Sie wird gerade von der Bundeskanzlei geprüft. Im Sommer sollte die Unterschriftensammlung beginnen.

* Dokumente zum Einsehen: