Millionen für das Grenzregime: Und die illegalen Pushbacks?

Nr. 10 –

Die Schweiz soll sich finanziell an der Aufrüstung der EU-Aussengrenze beteiligen. Während die etablierten linken Parteien passiv bleiben, will die Bewegungslinke Widerstand leisten.

Es war eine eindeutige Entscheidung, die der Ständerat letzte Woche fällte: Mit nur einer Gegenstimme und vier Enthaltungen folgte er dem Nationalrat und ebnete den Weg für die Freigabe von 300 Millionen Franken an den BMVI-Fonds. Die Abkürzung steht für «Border Management and Visa Policy Instrument» und ist die kaum bekannte Geldkammer der europäischen Migrationspolitik: Der insgesamt sechs Milliarden Euro schwere Fonds finanziert nationale Grenzschutzbehörden, den Ausbau von Migrationsdatenbanken und den Ausbau der Grenzschutzagentur Frontex. Finanziert wird der BMVI-Fonds von sämtlichen EU-Staaten sowie den Schengen-assoziierten Ländern – darunter die Schweiz.

Von Hunden gejagt

Ein Blick auf das Vorgängerprojekt «ISF-Grenze» gibt eine Vorstellung davon, was mit den Steuergeldern finanziert wird. Trotz gut dokumentierter Menschenrechtsverletzungen durch Grenzschutzbehörden in Malta und Griechenland – illegale Pushbacks, gewalttätige Angriffe auf Migrant:innen – wurden diese von «IFS-Grenze» reich beschenkt: Malta erhielt über 12 Millionen und Griechenland gar 42 Millionen Euro für den Ausbau des Grenzschutzes. Kroatien bekam 2018 Geld, um Hunde und Fahrzeuge für seine Grenzschutzeinheiten zu beschaffen. 2020 schilderten Migrant:innen gegenüber der NGO Border Violence Monitoring Network, wie sie kurz nach Grenzübertritt in Kroatien von Hunden gejagt und attackiert und anschliessend von kroatischen Beamt:innen misshandelt worden seien.

Die einzige Partei, die das Geschäft im Nationalrat ablehnte, war die SVP. Jedoch nicht wegen etwaiger Bedenken, dass die Grundrechte von Migrant:innen verletzt werden könnten. Sie forderte vielmehr, die Mittel besser für den nationalen Grenzschutz einzusetzen. Die Pressestelle der SP sagt gegenüber der WOZ, dass sie für die Schlussabstimmung von nächster Woche noch keine Parole gefasst habe. Es sei keine einfache Entscheidung, weil die SVP mit ihrer Position «flächendeckende Grenzkontrollen in der Schweiz provozieren» wolle. Im Dezember klang das noch anders: Die SP stehe hinter dem Grundgedanken des Fonds, sagte Nationalrätin Priska Seiler Graf damals.

Anders die Grünen: Sie enthielten sich grossmehrheitlich. «Es hätte die Möglichkeit gegeben, gemeinsam ein Zeichen für die Menschenrechte zu setzen», findet die grüne Nationalrätin Marionna Schlatter, zum Beispiel durch eine gemeinsame Enthaltung von SP und Grünen im Nationalrat. Zu gross sei die Wahrscheinlichkeit, dass das Geld für Militarisierung und Menschenrechtsverletzungen eingesetzt werde. Eine wirkliche Abwägung habe im Parlament aber keine Rolle gespielt; Schlatter spricht von einer ­«Nulldiskussion».

Dass die linken Parteien dem BMVI ohne grossen Widerstand zustimmen, findet Annika Lutzke bedenklich, aber nicht überraschend. Lutzke ist Sprecherin der Gruppe «Bewegungsfreiheit für alle». Diese kritisiert die Beteiligung der Schweiz an einem Fonds, der «Gewalt, Elend und Tod» an den Aussengrenzen fördere. Insbesondere weil es kaum möglich sei, die Beiträge auszusetzen oder mitzubestimmen, wie die Gelder verwendet würden. «Sagt das Parlament Ja, antworten wir mit Nein», schreibt das Bündnis und führt die Möglichkeit eines Referendums ins Feld. Grünen-Politikerin Schlatter kann die Bedenken verstehen, blickt aber mit Skepsis auf die Referendumsidee. Zu gross sei die Gefahr, dass man der SVP die Deutungshoheit überlasse. «Wir müssen uns gemeinsam für eine menschlichere Asylpolitik einsetzen, aber das Referendum scheint mir in diesem Fall der falsche Weg.»

Kommt das Referendum?

Das sieht ein Teil der Bewegungslinken anders. Um Interessengruppen zu mobilisieren, läuft auf einer eigens dafür eingerichteten Website (bewegungsfreiheit.ch) derzeit eine Vorabklärung: Interessierte geben an, wie viele Unterschriften sie beisteuern können. Das Referendum wird lanciert, wenn es genügend Zusagen gibt – am 15. März fällt die Entscheidung. Sie hätten bereits Zusagen für 15 000 Unterschriften, sagt Lutzke. «Was es braucht, ist die Bereitschaft von vielen Menschen, sich gegen dieses gewaltvolle Regime zu organisieren. Das Referendum könnte ein erster Schritt sein.»

Mit der Unterstützung der grossen linken Parteien rechnet Lutzke nicht – sehr wohl aber mit jener von deren Mitgliedern. «Unsere Hoffnung ist, dass sich Individuen gegen die Interessen und vor allem gegen das Schweigen ihrer Partei wehren – zusammen mit uns.» Das Ziel des Referendums ist demnach auch, Strukturen zu stärken, die sich dem Migrationsregime im Alltag entgegenstellen. «Wir wollen mit dem Referendum Menschen längerfristig organisieren und über Informations- und Wissensaufbau Solidarität stärken», sagt Lutzke. Eine erste Zwischenstation gibt es dafür bereits: Am 30. März ruft die Gruppe zu einer Demonstration in Bern auf, um ihr Anliegen auf die Strasse zu tragen.