Wichtig zu wissen: Die Bundesrats­wahlen

Nr. 50 –

Ruedi Widmer über die eher unbekannten Seiten der Tradition

Fuhr man in den letzten Tagen nach Bern, zeugten Panzersperren auf der Autobahnausfahrt und rigorose Zugkontrollen von den politischen Wirren dieser Tage. Niemand durfte nach Bern gelangen, ohne seinen Leistungsausweis zu zeigen, auf dass ja keine Person Bundesrat wird, die unter achtzig Jahre alt ist, in weniger als zehn Krankenkassenverwaltungsräten sitzt, die nicht Bauer ist und neben Französisch auch ein bisschen Putin versteht. Herausgekommen ist es nun doch etwas weniger schlimm.

Der Schweiz gehts ja immer noch gut. Das Blutigste, was wir seit dem Generalstreik 1918 erlebt haben, ist die «Nacht der langen Messer». Doch meist sind die Beteiligten zu betrunken, um den Gegner überhaupt zu verletzen. Die Messer sind seit 1959 eh nicht mehr geschliffen, seit 1981 sind sie aus Plastik und seit 2005 aus wiederverwertbarem Bambusholz aus dem Murtensee gefertigt.

Um 23 Uhr wird die Zauberformel vom Münsterturm heruntergemurmelt. Dieser Akt wird stets vom oder von der Parlamentsältesten ausgeführt, der oder die dazu das Murmelkleid anziehen muss.

Und wenn die Wahl des Bundesrats abgeschlossen ist, reiten die Parteipräsidenten auf ihren Elefanten in der traditionellen «Elefantenrunde» durch die Altstadt, unter Jubel des Volkes. Seit der Nationalzirkus Knie seine Elefanten nicht mehr besitzt, werden dafür ausländische Tiere geleast, die jedes Mal nach Bern verschifft werden müssen.

Hinter den Elefanten folgt die goldene Kutsche, in der der neue Bundesrat (oder die neue Bundesrätin) samt Lebenspartner:in sitzt. Früher wurden SP-Bundesräte nur mit dem Einachser gefahren, in der Bundesratskutsche durfte nur mitfahren, wer in der FDP und in den Zünften dabei war. Der heute 83-jährige Kutschenwart Fritz Zimmermann, der von 1964 bis 2009 den Kutschenfuhrpark des Bundeshauses betreute, hat noch manche lustige Geschichte auf Lager. So soll angeblich Christoph Blocher bei seiner Fahrt 2003 die eigene Polsterkutsche von Herrliberg herangekarrt haben, und Willi Ritschard (SP) lief 1974 zu Fuss.

Hinter der Kutsche folgen die Särge der Abgewählten und Abtretenden, die von sechs Männern im Trauerflor auf den Schultern getragen werden. Das ist natürlich symbolisch, die Abtretenden werden ja nicht getötet (diese Unsitte wurde schon 1876 abgeschafft), sondern sie liegen bei lebendigem Leib im Bundessarg und dürfen später auch wieder aussteigen. Die Tour im Sarg ist unbeliebt. So forderte Ruth Metzler 2003 Licht im Sarg drin, und Pascal Couchepin war zu gross für die beiden verfügbaren Särge, die 1848 von Johannes Kellermüller in Muri bei Bern gefertigt worden waren. Die neuen Sargentwürfe von Absolvent:innen der Schule für Gestaltung Zürich (mit Fenstern oder gleich ganz gläsern) gehen in der ersten Session 2024 in die Vernehmlassung.

Der Tross fährt traditionellerweise zum Bärengraben. Dort dürfen die Neugewählten den Bären die sogenannten Bundesratsrüebli zuwerfen. Die Abgewählten intonieren dazu das «Bärenlied» von Johannes Brahms. Ernst Zöltschi, Bundeskapellmeister von 1982 bis 2019, weiss noch manche witzige Anekdote. So sang Adolf Ogi eine Oktave zu hoch und Christoph Blocher etwas von Albert Anker. Sehr schön in Erinnerung geblieben seien ihm die Gesänge von Micheline Calmy-Rey und Pascal Couchepin (Bariton).

Zwischen 1874 und 1911 wurden die abgetretenen Bundesräte nach dem Lied noch den Bären zum Frass vorgeworfen, aber diese Praxis wurde selbst von den Bären nicht sonderlich geschätzt, die meist ratlos vor den offenen Bundesratssärgen sassen. Der Luzerner Bundesrat Josef Anton Schobinger war 1911 der Letzte, der diese Tortur aushalten musste, sie aber unverletzt überstand. Er gab der «Neuen Zürcher Zeitung» damals zu Protokoll, der Bär habe ihn zuerst angeknurrt, dann aber doch bloss ein Autogramm verlangt.

Ruedi Widmer fragt sich, warum sie im Radio eigentlich immer «die Bundesrat Zwahlen» sagen und nicht «die Bundesrätin Zwahlen».