Der Lange Arm des Regimes: Als wäre Eritrea ein ganz normaler Staat

Nr. 46 –

Um an Papiere zu gelangen, müssen geflüchtete Eritreer:innen mit der Botschaft des Regimes üble Deals eingehen. Die Schweizer Behörden wissen um die Praxis – und stützen sie.

Eritreer:innen und Unterstützer:innen beim Einreichen einer Petition vor dem Bundeshaus in Bern
«Passbeschaffungspflicht abschaffen!» Eritreer:innen und Unterstützer:innen reichten letzte Woche vor dem Bundeshaus in Bern eine Petition ein. Foto: Anthony Anex, Keystone

Am Donnerstag letzter Woche protestierten Eritreer:innen gemeinsam mit solidarischen Menschen vor dem Bundeshaus – und reichten eine Petition ein. Sie wehren sich damit dagegen, dass die Schweizer Behörden Geflüchtete zwingen, mit dem brutalen eritreischen Regime Kontakt aufzunehmen, vor dem sie geflüchtet sind.

Denn um eine Schweizer Aufenthaltsbewilligung zu beantragen, um zu heiraten, die Familie in die Schweiz zu holen oder ein Härtefallgesuch zu stellen, verlangen Schweizer Behörden einen Reisepass. Ein solcher fehlt Geflüchteten aus Eritrea oft. In vielen Fällen weigert sich das Schweizer Staatssekretariat für Migration (SEM) aber, eritreischen Geflüchteten einen «Pass für eine ausländische Person» auszustellen. Die Betroffenen könnten sich ja bei der eritreischen Botschaft in Genf einen Pass ausstellen lassen, so das Argument des SEM. «Die Behörden tun so, als ob Eritrea ein ganz normaler Staat wäre und die Passausstellung durch die eritreische Botschaft ein ganz normales Prozedere», sagt Shalom Habte vom Eritreischen Medienbund Schweiz, der vergangene Woche die Petition gegen die Passbeschaffungspflicht eingereicht hat. «Doch die Realität ist eine ganz andere.»

Reueerklärung erforderlich

Die eritreische Botschaft stellt für die Ausstellung des Passes rechtswidrige und hochproblematische Bedingungen – Berichte von Menschenrechtsorganisationen bestätigen dies ebenso wie Geflüchtete und eine involvierte Anwältin, mit denen die WOZ gesprochen hat. Gemäss übereinstimmenden Aussagen verlangt die Botschaft, dass Menschen, die einen Pass beantragen, eine Reueerklärung unterschreiben, weil sie aufgrund ihrer Flucht Pflichten gegenüber dem eritreischen Staat verletzt hätten. Mit der Unterschrift müssen die Betroffenen dabei auch Strafmassnahmen gegen sich selbst zustimmen. Denn Geflüchtete erwarten nach einer allfälligen Rückkehr nach Eritrea Haftstrafen. Die Menschenrechtslage im ostafrikanischen Land ist miserabel, Oppositionelle und Deserteur:innen sind Folter ausgesetzt, müssen Zwangsarbeit leisten.

Um den eritreischen Pass zu erhalten, müssen sich Geflüchtete ausserdem verpflichten, zwei Prozent aller bisher und künftig in der Schweiz erzielten Einnahmen an den eritreischen Staat zu bezahlen. Diese «Diasporasteuer» ist eine der Haupteinnahmequellen des Regimes. Bezahlt eine geflüchtete Person diese Zwangsabgabe nicht, müssen Verwandte in Eritrea mit staatlicher Repression rechnen. Dazu verlangt die Botschaft von den Antragstellenden detaillierte Auskunft zur ganzen Verwandtschaft.

Viele akzeptieren die Forderungen der eritreischen Botschaft nicht. So auch Daniel Berhane, der aus Eritrea in die Schweiz flüchtete und dessen Asylgesuch abgelehnt wurde. Er sei grundsätzlich nicht bereit, eine «Steuer» an das eritreische Regime zu bezahlen, das ihn in die Flucht getrieben habe. Gleichzeitig fürchtet er um die Sicherheit seiner Angehörigen in Eritrea.

Berhane, der eigentlich anders heisst, hat den Kontakt mit der eritreischen Botschaft abgebrochen. Weil ihm auch die Schweizer Behörden bisher kein Passdokument ausstellen wollen, konnte die seit eineinhalb Jahren geplante Hochzeit mit seiner Schweizer Lebenspartnerin noch immer nicht stattfinden.

«Kontaktaufnahme zumutbar»

Weil die eritreische Botschaft strikt keine schriftlichen Belege herausgibt, haben die Betroffenen Mühe, gegenüber den Schweizer Behörden zu belegen, dass die Forderungen der Botschaft für das Ausstellen des Passes inakzeptabel sind. Das SEM ist sich über das Vorgehen der eritreischen Botschaft aber im Klaren, wie es auf Anfrage der WOZ bestätigt. Trotzdem sei für Eritreer:innen eine «Kontaktaufnahme mit den Herkunftsbehörden zumutbar», findet die Migrationsbehörde. Ausgenommen davon seien jene, die in der Schweiz einen positiven Asylentscheid erhalten hätten.

Doch das SEM hat selbst dafür gesorgt, dass immer weniger Geflüchtete aus Eritrea einen positiven Asylentscheid bekommen: 2016 entschied die Behörde, dass die illegale Ausreise aus Eritrea allein kein Grund mehr dafür ist. «Die drakonischen gesetzlichen Bestimmungen für freiwillig Zurückgereiste werden derzeit offenbar nicht angewandt», mutmasste das SEM damals. Diese Vermutungen reichten dem Bundesamt aus, um die Anforderungen für die Erteilung eines positiven Asylentscheids zu verschärfen. So wurden 2022 über ein Drittel der aus Eritrea geflüchteten Menschen in der Schweiz nur vorläufig aufgenommen oder nach einem negativen Asylentscheid illegalisiert. Sie alle sollen nach dem Willen des SEM ihren Pass bei der eritreischen Botschaft beantragen müssen. Das Bundesverwaltungsgericht stützt die Praxis des SEM.

Dass es anders geht, zeigt das Beispiel Deutschland. Das deutsche Bundesverwaltungsgericht hat die Passbeschaffung für Eritreer:innen aufgrund der zu unterschreibenden Reueerklärung vor einem Jahr als «unzumutbare Grundrechtsverletzung» bezeichnet und die deutschen Behörden dazu verpflichtet, den Betroffenen Passdokumente auszustellen.