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Nr. 44 –

Michelle Steinbeck räumt mit Uterus- und Spermienmythen auf

Vor kurzem schaltete ich gespannt den Fernseher ein: SRF brachte eine «Puls»-Sendung zum Thema Endometriose. Nach einer halben Stunde hätte ich konsternierter nicht sein können. Was hatte ich denn erwartet? Neue wissenschaftliche Erkenntnisse? Gar eine wirksame Wunderbehandlung?

Ob die Macher:innen der Sendung meine heimliche Hoffnung teilten oder ob ihnen schlicht mehr an einem märchenhaften Happy End lag als an einer realistischen Schilderung der kontinuierlichen Zermürbung durch diese chronische Krankheit, sei dahingestellt. Indem sie jedoch suggerierte, es gäbe einen Strauss an effektiven Methoden zur Heilung von Endometriose, war diese Sendung für viele Betroffene eine Anmassung. Die schlimmsten Nebenwirkungen der Hormonpräparate wurden nicht erwähnt, ebenso wurde verschwiegen, dass die so easy-peasy wirkende Zauberoperation nur selten das nachhaltige Ende des Leidens ist.

Eine Revolution in der Endometrioseforschung und -behandlung scheint in weiter Ferne. Besonders wenn wir uns vor Augen halten, dass die bestehende Unterfinanzierung medizinischer Forschung für sogenannte Frauengesundheit nach der Coronapandemie weltweit noch drastischer wurde. Die Autorin, Aktivistin und Hebamme Leah Hazard zeigt dieses Ungleichgewicht in ihrem neuen Buch «Womb» immer wieder auf: So stiess sie etwa während ihrer Recherche auf über 15 000 wissenschaftliche Artikel über Sperma – und fand nur 400 über Menstruation. Dieser Missstand brachte sie erst auf die Idee: Als sie sah, dass es kein einziges kommerziell erhältliches Buch über die Gebärmutter gab, schrieb sie eben selbst eines.

In den Begegnungen mit wissenschaftlichen Expert:innen merkt Hazard, wie wenig selbst sie als Hebamme über das «missverstandene, erstaunliche Organ» wusste. Dass der Uterus etwa, wie 2016 entdeckt wurde, über ein eigenes Mikrobiom von ständig aktiven Bakterien, Viren und Pilzen verfügt, das sehr viel über die Gesundheit des Individuums aussagen kann – eine Erkenntnis, die in der Folge invasive, teure Untersuchungen unnötig machen könnte.

«Womb» führt uns in Labore, wo mit 3-D-Plazenta-Modellen an der Kommunikation zwischen Mutter und Fötus geforscht wird. Es räumt mit Mythen auf: So geschehe die Befruchtung einer Eizelle nicht dank des «heroischen Machismo» des stärksten Spermiums, das sich «durch die gefährliche Vagina» kämpft – vielmehr ziehe der Uterus durch Kontraktionen die Spermien heran, wo die Eizelle dann wohl ihre Wahl zwischen den unzähligen Anwärtern treffe. Hazard beschreibt auch die religiösen Hintergründe der Pille. So gebe es für die monatliche Einnahmepause bei der Antibabypille, die zur sogenannten Abbruchblutung führt, keinerlei medizinische Notwendigkeit: Sie wurde Ende der fünfziger Jahre vom Hersteller eingeführt, um den Vatikan zu überzeugen, dass diese Art von Verhütung als Ergänzung zum natürlichen Zyklus angesehen werden könne.

Hazard macht deutlich: In der reproduktiven Gesundheit basiert einiges auf gesellschaftlichen statt medizinischen Überlegungen – nicht selten, um daraus Profit zu schlagen. Ihr Buch schliesst sie mit einer Einladung: zum Ort, an dem wir alle begonnen haben, auf dass wir anfangen, ihn zu verstehen. «Vielleicht wird er uns sogar sagen, wohin wir gehen.»

Michelle Steinbeck ist Autorin. Sie empfiehlt Leah Hazards «Womb», das diesen Sommer unter «Wo alles beginnt» auch auf Deutsch erschienen ist.