Erwachet!: Wiedergeburt

Nr. 42 –

Michelle Steinbeck über ein Zeichen der Hoffnung aus Italien

Gute Nachricht aus Kalabrien: Das Berufungsgericht entlastet Mimmo Lucano. Der ehemalige Bürgermeister von Riace, dem kleinen Dorf, das durch seine aussergewöhnliche «Willkommenskultur» weltweit Berühmtheit erlangte, machte sich mit dem Erfolgsmodell der Integration von Migrant:innen mächtige Feinde. 2021 wurde er wie ein Schwerverbrecher zu über dreizehn Jahren Haft verurteilt, unter anderem wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung, Betrug und Amtsmissbrauch.

Bereits damals bezichtigten seine Anwälte die Anklage der «Verzerrung der Tatsachen», um Lucano «um jeden Preis» zu verurteilen. Sie wiesen besonders auf das von der Anklage aufgeführte «Schlüsselgespräch» hin: Dieses Transkript eines abgehörten Gesprächs soll einen erfundenen, im aufgezeichneten Gespräch nicht existenten Satz enthalten, der Lucano zugeschrieben wurde. «Surreal» nannten seine Anwälte diese Vorgehensweise, und sie beharrten darauf, dass es «kein einziges Beweisstück» gebe, das darauf hinweise, dass Lucano ein anderes Ziel verfolgte als die ordnungsgemässe Aufnahme und Integration von Geflüchteten.

Die Richter:innen in zweiter Instanz kamen nun zwei Jahre später zu einem ähnlichen Verdikt: Fast alle Mitangeklagten wurden freigesprochen, die schwersten Anklagepunkte gegen Lucano fallen gelassen. Verurteilt wurde er einzig wegen Urkundenfälschung in einem Verwaltungsakt von 2017 – zu achtzehn Monaten Haft auf Bewährung. Das hielt seine Unterstützer:innen im Gerichtssaal nicht vom Jubeln und Singen ab: «Bella Ciao» wurde angestimmt, «Mimmo, Mimmo!» skandiert. Dieser soll in Riace, von wo aus er den Richtspruch verfolgte, in Freudentränen ausgebrochen sein.

«Endlich kann ich wieder atmen», sagt er wenig später in einem Interview mit der linken Zeitung «La Repubblica», «jetzt beginnt eine neue Phase, eine Phase der Wiedergeburt und der Hoffnung.» Er beginne zwar erst, es zu begreifen, denke aber bereits über eine politische Rückkehr nach. Mit dem «globalen Dorf» hätten sie bewiesen, dass die Aufnahme von Migrant:innen kein Problem und kein Grund zur Beunruhigung sei, sondern vielmehr eine Chance für Wachstum und Neuanfang für alle: «für den Ort und die, die bereits dort waren, und für die, die aufgenommen werden».

In Riace wird derweil gefeiert, das Interview durch heftige Umarmungen des Interviewten unterbrochen. Ob das «Dorf des Willkommens» denn damals nicht zerstört worden sei? «Absolut nicht», meint Lucano, «es leben immer noch viele geflüchtete Familien hier.» Dafür danke er allen, die ihn und das Dorf stets unterstützt hätten. Das erste Urteil habe eine Welle der Solidarität ausgelöst; ein Crowdfunding für die Zahlung seiner Strafe sei auf Lucanos Wunsch für anderes verwendet worden: «für Arbeitsprojekte, die viele Menschen beschäftigen, etwa die Ölmühle, die damals als Teil des angeblich kriminellen Projekts diffamiert wurde und tatsächlich die Hoffnung für diejenigen ist, die mit nichts angekommen sind.»

Zehn Jahre nach dem schweren Schiffsunglück vor Lampedusa, das die humanitäre Krise im Mittelmeer in den Fokus der Öffentlichkeit rückte, auf das jedoch statt sicherer Fluchtrouten immer mehr Abschottung und Gewalt gegenüber den Flüchtenden und Tausende mehr Tote sowie die Kriminalisierung von Seenotrettung und Helfer:innen folgten, ist das endlich ein hoffnungsvolles Zeichen.

Michelle Steinbeck ist Autorin. Im Feed des Horrors und im Strudel der Ohnmachtsgefühle hält sie sich an guten Nachrichten fest.