Film: Flucht vor der Kälte

Nr. 37 –

Filmstill aus «Fallen Leaves»: Eine Frau und ein Mann sitzen sich beim Essen an einem Tisch gegenüber
«Fallen Leaves». Regie und Drehbuch: Aki Kaurismäki. Finnland/Deutschland 2023. Jetzt im Kino.

Aki Kaurismäki ist der letzte Punk des Kinos: Auf dem roten Teppich in Cannes richtet er die dem Paparazzo entwendete Kamera auf selbigen und lässt sich von der Security mit seiner Zigarette auf die Strasse schicken. Die Spielzeit seiner Filme hält er möglichst unter achtzig Minuten, weil er selbst es länger nicht aushalte, ohne zu rauchen, nach der Premiere will er noch während der Standing Ovation flüchten.

Zugleich, und nicht dass das ein Widerspruch wäre, ist er einer der letzten Romantiker:innen – aus pragmatischen Gründen. In Anbetracht des Krieges in der Ukraine, sagte er an der Pressekonferenz des Festivals, habe er das Gefühl gehabt, dass «diese verdammte Welt ein paar Liebesgeschichten braucht».

Und wenn es sich bei «Fallen Leaves» auch in jeder Hinsicht um eine Liebesgeschichte handelt, sollte bloss niemand mit der Erwartung ins Kino gehen, dass in einem Kaurismäki-Film eine Figur einmal bei einer grossen Geste oder einer zur Schau gestellten Gefühlsregung zu ertappen wäre. Wenn da jemand vorschlägt, in die Karaokebar zu gehen, winkt der andere ab: «Harte Kerle singen nicht.»

Weil aber selbst exzessiver Alkohol- und Zigarettenkonsum den Schweisser Holappa (Jussi Vatanen) noch nicht zu einem solchen gemacht haben und weil wir eben in einem Kaurismäki-Film sind, geht man trotzdem, lässt dort allerdings nur den beeindruckend selbstbewussten Kollegen singen, während Holappa sich in die Supermarktangestellte Ansa (Alma Pöysti) verliebt. Anderntags trifft er sie wieder, geht mit ihr ins Kino, verliert dann aber im kalten spätkapitalistischen Klima den Job und im kalten Wind Ansas Telefonnummer. Die Lage wirkt aussichtslos.

«Fallen Leaves» ist Kino, das noch ans Kino glaubt: Hier lässt sich die Realität ausschalten wie das Radio, das ausschliesslich vom Krieg in der Ukraine berichtet. Für einen kurzen Moment (knapp 79 Minuten ohne Abspann) vielleicht nur. Aber doch nachhaltiger, als es mit Alkohol möglich ist. Am Ende stösst noch ein Hund dazu, vom Leben so gezeichnet wie unsere Protagonist:innen, und alles wird gut.