Zanele Muholi: Widerstand und visuelle Befreiung

Nr. 31 –

Zwischen Gewaltgeschichte und queerem Aufbruch: Zanele Muholis Fotografien ringen mit dem Erbe der Apartheid und sind gleichzeitig ein stolzes Archiv für die Zukunft.

«Vile»: Selbstporträt von Zanele Muholi.
«Vile»: Selbstporträt von Zanele Muholi. Foto: Muholi Art Institute

Die Schweiz war dem südafrikanischen Apartheidregime eine treue Partnerin: zum Beispiel über Waffenlieferungen von Oerlikon-Bührle, über den florierenden Goldhandel, über die Grossbanken Bankverein und Kreditanstalt, die dem international geächteten Unrechtsstaat Milliardenkredite gewährten – und über Christoph Blocher, der noch 1989 befand, das Wahlrecht für Schwarze würde Südafrika «ökonomisch und sozial» ins Chaos stürzen. Und wenn man eine Kritik an der ausgezeichneten Ausstellung zu Zanele Muholi im Kunstmuseum Luzern formulieren müsste, wäre es diese: dass trotz ausführlicher Einbettung von Muholis Kunst in politische und historische Zusammenhänge der Bogen zu dieser wesentlichen Schweizer Verstrickung hinter der Nebelwand der «Neutralität» nicht geschlagen wird.

Nicht «einfach» Künstler:in

Die Apartheid dauerte von 1948 bis in die 1990er Jahre. Zanele Muholi wurde 1972 geboren, der Vater starb wenig später, die alleinerziehende Mutter arbeitete als Bedienstete in einer weissen Familie, konnte sich nicht selbst um ihre Kinder kümmern. In den 1990er Jahren trat Muholi in die legendäre Schule von David Goldblatt ein, um das Handwerk der Reportagefotografie zu erlernen. 2000 begann Muholi als Fotograf:in und Reporter:in beim LGBTQ-Magazin «Behind the Mask» zu arbeiten. Muholi betont stets, ein:e Visual Activist zu sein, nicht «einfach» Künstler:in. Die südafrikanische Gewaltgeschichte ist auch die persönliche Lebensgeschichte von Zanele Muholi. Bis heute.

Denn obwohl die Apartheid seit dreissig Jahren offiziell Vergangenheit ist und auch wenn Südafrika eine der fortschrittlichsten Verfassungen der Welt hat – die etwa gleichgeschlechtlichen Paaren die Adoption von Kindern erlaubt –, gibt es weiterhin zahlreiche Hate Crimes gegen queere, nonbinäre, nicht-weisse Menschen, sind Diskriminierungen in einer nach wie vor christlich und konservativ geprägten Gesellschaft alltäglich. All das fliesst direkt in Muholis Fotografien ein: grösstenteils eindringliche Schwarzweissporträts, darunter viele Selbstporträts. Die wachsamen, skeptischen, trotzigen, nachdenklichen, verletzten Blicke der Sujets richten sich auf uns, manchmal auch von uns weg. Man kann sich ihnen schwerlich entziehen, wird gleichzeitig auf Distanz gehalten, versteht auch instinktiv, warum.

Denn diese Fotoserien bilden verschworene Wahlfamilien ab, die gemeinsam in eine Zukunft streben. Der Vergangenheit müssen diese in Schmerz und Stolz Verbündeten entkommen, um weiterzuleben. Nostalgie, ja jegliche Sentimentalität bezüglich des Durchlebten ist für sie unmöglich. Zugleich holt diese Vergangenheit sie immer wieder ein. All das spiegelt sich in diesen ausdrucksstarken Fotografien.

Weder einfach «glossy» noch «gloomy» sollen die Porträts sein, hat Muholi einmal gesagt, also weder bloss oberflächlich glänzend noch düster-traurig – sondern stets beides. Eine behutsame Balance herrscht auch zwischen Fotograf:in und Sujets, die Muholi konsequent Mitstreiter:innen nennt. Ins Auge sticht die strenge Komposition dieser Abbilder – und der Einsatz von Alltagsgegenständen als Modeaccessoires: Wäscheklammern, Klebeband, Bleistifte, Stromkabel. Sie erinnern an die verstorbene Mutter, ihre Arbeit als Hausangestellte und an rassistische Rituale aus der Zeit der Apartheid.

Muholi funktioniert auch mal eine billige Tragtasche zum modischen Hut um und interveniert geschickt in die alte Tradition der Porträtkunst: Jahrhundertelang war es mehrheitlich ein Vorrecht von weissen Privilegierten, sich in Gemälden verewigen zu lassen. Die Fotografie hat das Genre ein Stück weit demokratisiert, Muholis Porträts markieren nun einen weiteren Schritt: Sichtbarkeit, Würde und Widerstand in Schwarz. «To Blacken» nennt Muholi das Projekt schlicht; also nicht nur das Schwarzsein aus diversen weissen Aneignungen zurückholen, sondern alles strategisch schwärzen und kontrastieren: den Kanon, aber auch unsere Aufmerksamkeit. Wie gut diese Wahrnehmungsschärfung gelingt, erkennt man, wenn etwa Muholis Fotografien historischen (Selbst-)Porträts gegenübergestellt werden, wie kürzlich bei einer Ausstellung in Wuppertal: Dieses Nebeneinander verändert die Wirkung der historischen Gemälde markant.

«Inkanyiso I»: Selbstporträt von Zanele Muholi.
«Inkanyiso I»: Selbstporträt von Zanele Muholi. Foto: Muholi Art Institute

Codes und Posen, aber ironisch

In Luzern sind auch etwas ältere Aufnahmen zu sehen, die noch stärker im Zeichen der Reportagefotografie stehen. Sie zeigen Überlebende von Gewaltverbrechen in den Townships, wohin Nichtweisse unter dem Apartheidregime vertrieben wurden: LGBTQ-Selbstfindung im Privaten, von Muholi behutsam, fast zärtlich dokumentiert.

Selbstbewusster, verspielter erscheinen die Serien mit Szenen und Porträts aus queeren und trans Schönheits- und Dragqueenwettbewerben. Sie erhellen nicht zuletzt schlagartig, wie diese Community die typischen Codes der Selbstdarstellung und Laufstegposen der Schönheitsindustrie sehr viel besser, lockerer, witziger und vor allem viel ironischer drauf hat als viele cis Geschlechtliche: nicht nur visuell eine Befreiung.

Die Ausstellung «Zanele Muholi» ist noch bis am 22. Oktober 2023 im Kunstmuseum Luzern zu sehen. www.kunstmuseumluzern.ch