Auf allen Kanälen: Eine Zeitung für die Zukunft

Nr. 31 –

Kanäle Pikto

Einige der zahlreichen Leser:innenbriefe, die von der Redaktion der Tageszeitung «il manifesto» in den vergangenen Wochen veröffentlicht wurden, wirkten wie Nachrufe: dankbar, lobend, teils pathetisch. Dabei will das Kollektiv unbedingt weitermachen, allerdings unter neuer Leitung. Anlass für die Umgruppierung ist der altersbedingte Rückzug der zweiköpfigen Chefredaktion.

Dass sie nach vierzehn Jahren mit Zuversicht ihren Abschied nimmt, hat die 71-jährige Norma Rangeri Ende Juni in einem längeren Editorial erläutert. Als Autorin will sie der Zeitung erhalten bleiben und sich auch in die neu eröffnete Konzeptionsdebatte einmischen. In ihrem Abschiedstext blickt sie auf schwierige Jahre zurück. Schwierig nicht nur wegen chronischer Geldnöte, sondern auch wegen interner Differenzen, die mitunter zu schmerzhaften Zerwürfnissen führten. Ende 2012 stellte Rossana Rossanda (1924–2020), die prominenteste der Gründer:innen von 1969, nach einem Streit über die Rolle der Zeitung ihre Mitarbeit für mehrere Jahre ein. Rossanda warf der damaligen Redaktion inhaltliche Beliebigkeit vor und forderte eine Konzentration auf die soziale Frage, blieb damit aber in der Minderheit.

Nur ein bisschen Nostalgie

Später schrieb Rossanda dann doch wieder. Das war vor allem der Beharrlichkeit ihrer Freundin Luciana Castellina zu verdanken, der letzten Überlebenden aus der Gründer:innengruppe. Die mittlerweile 94-jährige Castellina hat sich nach Rangeris Rückzug auch wieder mit lesenswerten Kommentaren zu Wort gemeldet. Weit davon entfernt, als Veteranin vergangener besserer Zeiten ungebeten Ratschläge zu erteilen, bringt sie auf den Punkt, was aus ihrer Sicht die Besonderheit linker Zeitungen ausmacht: Diese sollen nicht nur Gegenöffentlichkeit bieten, sondern als politisches Subjekt auch gesellschaftliche Veränderungen auf den Weg bringen helfen. In einem Punkt erlaubt sie sich dann doch einen nostalgischen Blick auf die Anfangsjahre. Damals seien in ganz Italien spontan «‹il manifesto›-Kollektive» entstanden. Deren Mitglieder wollten nicht nur Leser:innen sein, sondern mit der Zeitung Debatten initiieren und kollektiv in soziale Konflikte intervenieren.

Dieses Modell wird sich kaum wiederbeleben lassen. In vielen Zuschriften von Leser:innen und Autor:innen wird aber deutlich, dass diese von «ihrer» Zeitung mehr erwarten als tägliche Information – und dass sie auch selbst bereit sind, dabei mitzuwirken. Andrea Fabozzi, der neue leitende Redaktor, hat diese enge Verbundenheit sehr wohl wahrgenommen. In einem brillant formulierten Text mit der Überschrift «Eine militante Leidenschaft» macht er eine ganze Reihe von Versprechen, darunter: mehr Mut im Meinungsstreit mit einer eigenen Position, aber auch der Bereitschaft, andere linke Strömungen zu Wort kommen zu lassen. Vier zentrale Themen hebt er hervor: Frieden, Kapitalismuskritik, Ökologie und Antifaschismus.

Darüber will die Redaktion eine breite öffentliche Debatte führen. Eine Kontroverse zeichnet sich schon jetzt ab. Immer noch steht im Zeitungskopf «quotidiano comunista» – kommunistische Tageszeitung. Viele wollen das ersetzen durch «quotidiano del pensiero critico» – Tageszeitung für kritisches Denken. Ihr kaum zu widerlegendes Argument: Kommunismus stehe nicht auf der Tagesordnung, und wichtiger als die Formulierung abstrakter Endziele sei die Kritik des Bestehenden. Andere wollen an der alten Selbstbezeichnung festhalten. Luciana Castellina etwa gibt zu bedenken, dass kritisches Denken allein nicht reiche, wenn der Wille fehle, gemeinsam mit jüngeren Aktivist:innen ein politisches «Projekt» zu schaffen.

Stabile Abozahlen

Einigkeit besteht im engen Bezug auf die sozialen Bewegungen und die plurale Linke. Deren Aktionen und Debatten sollen in der Zeitung künftig noch mehr Raum einnehmen. Am Ende des Sommers soll es eine öffentliche Versammlung geben, auf der die Neuerungen vorgestellt werden. Die Existenz von «il manifesto» scheint derzeit nicht gefährdet, vor allem dank stabiler Abozahlen. Auch die Printausgabe – sechsmal die Woche ausser montags – steht nicht zur Disposition.