Italien nach Berlusconi: Meloni und die gefährliche Erbschaft

Nr. 26 –

Die drei Parteien des italienischen Rechtsblocks werden sich nach Silvio Berlusconis Tod neu aufstellen müssen. Dabei drohen sie dessen Lebenswerk zu vollenden – womöglich in einer neuen nationalen Einheitspartei.

Es heisst, Ministerpräsidentin Giorgia Meloni habe heftig geweint, als sie vorletzte Woche von Silvio Berlusconis Tod erfuhr. Vermutlich mischte sich in die Trauer um einen langjährigen politischen Weggefährten aber auch Erleichterung. Denn das Verhältnis der beiden war spannungsreich.

Während einer Senatssitzung im Oktober, nach der gemeinsam gewonnenen Wahl, machte Berlusconi deutlich, was er von der neuen Regierungschefin hielt: Melonis Verhalten sei «anmassend», «überheblich», ­«arrogant» und «beleidigend». So stand es gut sichtbar auf einem Zettel, dessen Inhalt Presse­vertreter:innen umgehend veröffentlichten – was vom Verfasser offensichtlich auch so beabsichtigt war. Dass er sie auch ­«lächerlich» finde, hatte er durchgestrichen, es war aber noch lesbar.

Neue Hierarchien

Meloni nahm die Schmähung hin, ergänzte die Aufzählung aber um ein weiteres Adjektiv: Vor allem sei sie nicht erpressbar, liess sie verlauten. Mit der Parlamentswahl vom 25. September waren die Verhältnisse innerhalb des italienischen Rechtsblocks geklärt. Melonis Fratelli d’Italia (FdI) erreichten mit 26 Prozent der Stimmen mehr als das Doppelte ihrer beiden rechten Bündnispartner; Berlusconis Forza Italia landete mit kaum mehr als acht Prozent knapp hinter der Lega von Matteo Salvini.

Heute wären Berlusconis Partei­freund:innen mit einem solchen Ergebnis hochzufrieden. Denn mittlerweile scheint nicht einmal das Überleben der Forza Italia gesichert. Berlusconis älteste Tochter Marina, die seit langem an der Spitze seines Konzerns Fininvest arbeitet, beteuert zwar, die Partei erhalten und auch finanzieren zu wollen. Einen persönlichen Einstieg in die Politik, nach dem Vorbild ihres Vaters, schliesst sie aber aus. Aussenminister Antonio Tajani fungiert zunächst als Übergangspräsident – bis zum ordentlichen Kongress im nächsten Jahr. Bislang war dieser Event jeweils eine reine Show, in der die Parteibasis dem Einzigartigen an der Spitze huldigte. Nach dessen Tod am 12. Juni soll das Parteisymbol erhalten bleiben, inklusive Aufschrift: «Forza Italia. Berlusconi Presidente».

Für Wahlerfolge wird das nicht reichen. Nicht einmal die Einheit der Partei ist garantiert, weil darin mindestens zwei Strömungen rivalisieren: eine auf stärkere Profilierung drängende und eine, die um jeden Preis mitregieren will. Hinzu kommen Absetzbewegungen von Funktionsträger:innen, die ihre Zukunft eher bei Melonis boomenden Fratelli sehen. Dabei wären massenhafte Übertritte derzeit nicht in deren Sinne: Bei den Wahlen zum Europäischen Parlament im kommenden Jahr will sie im Bündnis mit der Forza Italia antreten. Ihr Ziel lautet, auch auf EU-Ebene an Einfluss zu gewinnen.

Der nächste Versuch?

Daneben geht Salvinis Lega eigene Wege. Nachdem die Strategie einer Ausdehnung bis in den Süden des Landes weitgehend gescheitert ist, konzentriert sich die Partei wieder auf die Kernklientel im Norden. Ihr Vorhaben einer «differenzierten Autonomie» der Regionen ist weit gediehen. Während Kritiker:innen eine «Sezession der Reichen» befürchten, stösst genau das bei den Besserverdienenden der Nordregionen auf Zustimmung.

Die Wähler:innenschaft von Forza Italia hingegen könnte bei den Wahlen ins Europäische Parlament gemäss Umfragen mindestens halbiert werden. In diesem Fall würde Melonis Alternativplan greifen: die Gründung einer nationalen Partei der Rechten.

Das gab es schon einmal. 2009, während seiner vierten Präsidentschaft, nötigte Berlusconi die Neofaschist:innen der Alleanza Nazionale zur Fusion mit Forza Italia. Die daraus entstandene Partei Popolo della Libertà bestand jedoch nur bis 2013. Meloni, von Berlusconi 2008 gerade mal 31-jährig zur Ministerin für Jugend und Sport ernannt, trat schon 2011 von diesem Amt zurück und gehörte ein Jahr später zu den Gründer:innen der Fratelli d’Italia. Mit ihrem Rücktritt, so schreibt sie in ihrem Bestseller «Ich bin Giorgia», habe «alles begonnen, was schon zu Ende schien»: die Rückkehr zu den ideologischen Wurzeln und die Absage an Italiens nationale «Untertänigkeit» gegenüber den EU-Gremien. Nun könnte das grosse rechte Parteiprojekt neu aufgelegt werden – diesmal mit umgekehrtem Kräfteverhältnis und einer autoritär regierenden Neofaschistin an der Spitze.

Mitmachen würden vermutlich auch Exponent:innen der von allen Seiten umworbenen politischen «Mitte». Denn der Versuch von Matteo Renzi (Italia Viva) und Carlo Calenda (Azione), einen «dritten Pol» zwischen links und rechts zu etablieren, ist gescheitert. Renzi, zwischen 2014 und 2016 Mitte-Links-Premier für tausend Tage, schwadronierte damals von einer zu gründenden «Partei der Nation».

Gerüchte, wonach er nach Berlusconis Tod an die Spitze der führungslos gewordenen Forza Italia treten könnte, hat er zwar dementiert. Gänzlich haltlos sind diese aber nicht. 2014 – noch bevor er Regierungschef wurde – schloss Renzi mit Berlusconi den berüchtigten «Pakt von Nazareno», benannt nach der Strasse in Rom, an der der sozialdemokratische Partito Democratico (PD) seine Zentrale hat. Inhalt der Verhandlungen waren der autoritäre Umbau der Verfassung und eine Wahlrechtsreform zuungunsten kleinerer Parteien.

Die angestrebten Verfassungsänderungen wurden 2016 in einem Referendum abgelehnt, Renzi trat als Regierungschef zurück. Nun könnte er in gleicher Sache wieder mitmischen – denn auch Melonis Vorhaben einer Direktwahl der Regierungschefin würde die Exekutive stärken und das Parlament weiter schwächen. Schon jetzt regiert Meloni regelmässig mit Dekreten und Vertrauensabstimmungen.

Brüchige Opposition

Die Kräfte, die sich den autoritären Entwicklungen entgegenstellen, sind schwach. Die stärkste Oppositionspartei, der PD, steht unter der linken Generalsekretärin Elly Schlein in Umfragen zwar etwas besser da. Die Kommunalwahlen in mehreren mittelgrossen Städten im Mai verliefen allerdings enttäuschend. Opposition gegen die Rechten reicht allein offensichtlich nicht aus, um jene zurückzugewinnen, die seit Jahren in immer grösserer Zahl den Wahlurnen fernbleiben.

Schlein hat ein Siebenpunkteprogramm vorgestellt, für das der PD im Sommer werben will, auch im Bündnis mit dem Gewerkschaftsbund CGIL. Es geht um eine neue Politik in existenziellen Fragen, etwa zu Klima, Gesundheit, Wohnen und Arbeit. Während in der Partei hierzu Einigkeit herrscht, bleibt die Bündnispolitik aber umstritten: Schleins Auftritt zusammen mit Expremier Giuseppe Conte wurde von der rechten PD-Minderheit heftig kritisiert, weil Contes Partei, die Cinque Stelle, Waffenlieferungen an die Ukraine ablehnt – eine Streitfrage, die ein Zusammengehen bei Wahlen verhindern könnte.

Nutzniesser wäre der Rechtsblock, der Berlusconis Lebenswerk vollenden will. Dessen Art, Politik zu machen, hat der Historiker Nicola Tranfaglia als «autoritären Populismus» bezeichnet – ein möglicher Zwischenschritt zu noch Schlimmerem.