Wohnpolitik in Bern: Solidarisch mit der Privatwirtschaft

Nr. 24 –

Die Stadt hält nicht, was sie vollmundig verspricht: Im Viererfeld vergibt Bern viel Bauland an gewinnorientierte Firmen – und damit eine der selten gewordenen Chancen auf günstigen Wohnraum.

das Viererfeld am nördlichen Stadtrand von Bern mit einer Bauwohnwagen-Siedlung
Eine der letzten Baulandreserven der Stadt Bern: Das Viererfeld am nördlichen Stadtrand. Foto: Franziska Rothenbühler

Auch in der Stadt Bern steigen die Mieten weiter rasant an – immer mehr Menschen können sich diese nicht mehr leisten. Aktuell böte sich die Möglichkeit, etwas dagegen zu tun: Nahe der Autobahnausfahrt Bern-Neufeld besitzt die Stadt auf einem Plateau über der Aare eine vor wenigen Jahren eingezonte Baulandfläche. Das Vierer- und das angrenzende, kleinere Mittelfeld bilden zusammen eine der letzten grossen Baulandreserven der Stadt.

Auf rund 100 000 Quadratmetern sollen gemäss vorliegendem Masterplan gut 1100 Wohnungen für rund 3000 Menschen sowie etwa 700 Arbeitsplätze entstehen. Weil die linken Parteien im Stadtparlament derzeit erstmals über eine absolute Mehrheit verfügen, wären die Voraussetzungen ideal, um ein wohnbaupolitisches Vorzeigeprojekt mit günstigen Wohnungen zu erstellen. Die Zahl der kommunalen Wohnungen – derzeit rund 2400 – könnte potenziell um fast fünfzig Prozent steigen.

Doch die Stadt hat andere Pläne, zumindest teilweise: Sie will die Hälfte der Baufelder an gewinnorientierte Bauträgerschaften abgeben. Für gemeinnützigen Wohnraum bleibt die andere Hälfte – und ob die Stadt davon einen Teil selber bauen wird, ist noch unklar. «Die Stadt Bern hat in der Vergangenheit bei der Wohnbauplanung in dieser Hinsicht wiederholt versagt», sagt Raffael Joggi, der für die Alternative Linke (AL) im Stadtparlament sitzt. «Nun will sie diese Fehler leider auch beim letzten Filetstück wiederholen.»

Notorisch im Hintertreffen

Nachdem die Stimmberechtigten im März bereits den Infrastrukturkredit genehmigt haben, kommt am Sonntag die Vergabe der zwei ersten Baufelder im Baurecht zur Abstimmung. Rund 8000 Quadratmeter sollen dabei an die Hauptstadt-Genossenschaft gehen, 2500 Quadratmeter an die gewinnorientierte Mobiliar Asset Management AG. Ein Nein zur Vergabe wäre die wohl letzte Chance, die Privatisierungspläne der Stadt zu stoppen. Über die Vergabe der restlichen gut 90 000 Quadratmeter wird gar nicht erst abgestimmt, weil die Regierung diese Baufelder in Eigenregie vergibt.

Der Anteil genossenschaftlichen und städtischen Wohnungsbaus ist in der Stadt Bern notorisch tief. Während etwa in der Stadt Zürich rund 25 Prozent in die Kategorie stadteigener Wohnungen fallen, sind es in Bern nur rund 13 Prozent. Seit einiger Zeit versucht die Stadt eigentlich, den Anteil zu erhöhen. «Sind Sie Eigentümerin oder Eigentümer eines kleineren oder grösseren Mehrfamilienhauses? Die Stadt ist am Kauf Ihrer Liegenschaft interessiert!», schreibt sie auf ihrer Website. Jährlich budgetiert sie für den Wohnungskauf fünfzehn Millionen Franken. Damit kann sie aber höchstens einige Dutzend Wohnungen erwerben, womit «bezahlbarer Wohnraum erhalten und gefördert» und Liegenschaften «der Spekulation entzogen werden» sollen.

Dass auf Vierer- und Mittelfeld nun über 550 künftige Wohnungen der Spekulation zugeführt werden sollen, geht auf einen Abstimmungsentscheid im Jahr 2016 zurück. Und wäre es nach der Regierung gegangen, wären es sogar noch mehr Einheiten gewesen. Erst ein Vorstoss von links bewirkte, dass höchstens fünfzig Prozent der Wohnungen von Privaten gebaut werden dürfen. Mehr sei damals politisch nicht möglich gewesen, sagt die langjährige Stadträtin Rahel Ruch vom Grünen Bündnis. «Doch aus heutiger Sicht ist es schon fragwürdig, dass städtisches Land an Private abgegeben wird», so Ruch.

Gehemmte Linke

Dennoch tragen Ruchs Partei und die SP den Entscheid von 2016 bis heute mit. Dabei ist Ruch überzeugt: Hätte man es gewollt, hätte sich der Anteil der kommunalen und gemeinnützigen Bauträger auf dem Mittel- und Viererfeld auch nachträglich noch erhöhen lassen. In Bern habe die Linke aber oft Hemmungen, ihre Mehrheiten zu nutzen, sagt Ruch.

Eigentlich hat die Stadt zuletzt selbst bewiesen, dass es auch anders geht – bei anderen, deutlich kleineren städtischen Arealen: Das Warmbächliareal wird gänzlich von Genossenschaften bebaut, ein Areal im Rossfeld von der Stadt selbst. Bern stehe «im schweizweiten Vergleich nicht schlecht da», sagt der zuständige SP-Gemeinderat Michael Aebersold; man habe sich «zum Ziel gesetzt, dass die Hälfte aller bis 2030 in der Stadt Bern gebauten Wohnungen im preisgünstigen Segment entstehen». Unklar bleibt, wie dieses Ziel erreicht werden soll, wenn die Stadt im Grossprojekt Viererfeld nur das Minimum erfüllt, während in ganz Bern aktuell sehr viel privat gebaut wird.

«Obwohl die Stadt kaum noch Bauland hat, will es die Regierung allen recht machen», sagt Daniel Blumer vom regionalen Kompetenzzentrum gemeinnütziger Wohnungsbau. Statt Visionen resultiere so eine Realpolitik, «die sich die Stadt aufgrund ihrer kaum noch existenten Baulandreserven nicht leisten sollte». Finanzminister Aebersold argumentiert hingegen, die Vergabe an «marktorientierte Bauträgerschaften» im Vierer- und Mittelfeld sei deshalb nötig, weil diese einen höheren Baurechtszins bezahlten als die gemeinnützigen Bauträgerschaften. «Nur mit diesem Mix ist es möglich, dass die Kosten der Stadt auch gegenfinanziert werden können und dass die Stadt selber in bezahlbaren Wohnraum investieren kann», so der Exekutivpolitiker.

Heisst also: Um städtischen Wohnraum zu schaffen, muss Bern zuerst sein wertvolles Bauland dem Immobilienmarkt überlassen. Besonders schlüssig wirkt das nicht.