Streik in Hollywood: Ein Kampf für alle statt für wenige

Nr. 19 –

In den USA streiken die Drehbuchautor:innen. Der Welt wird das schlechte Netflix-Serien und im Fall eines Erfolgs eine schöne Blaupause für Arbeitskämpfe bescheren.

Wer im Spätherbst 2008 ins Kino ging, kratzte sich öfters am Kopf oder stöhnte verzweifelt auf: Beim damals neusten Bond-Film konnte man zwei Stunden lang mitansehen, was ein Autor:innenstreik in Hollywood anrichten kann. «Ein Quantum Trost» – der Titel entbehrte nicht einer gewissen Ironie – war aber keineswegs der einzige Kollateralschaden der hundert Tage Widerstand exakt ein Jahr zuvor. Zahlreiche Filme wurden ohne fertiges Drehbuch verfilmt, Serien wurden oftmals in verkürzten Staffeln produziert oder gleich ganz gestrichen, und die Talkshows flüchteten direkt in Wiederholungen alter Episoden. Die Proteste kosteten Los Angeles’ Wirtschaft rund zwei Milliarden US-Dollar.

Gut möglich, dass Kino und Streamingplattformen nächstes Jahr wieder mit halbfertigen Inhalten geflutet werden. Sehr wahrscheinlich auch, dass sich die Branche erneut mit grossen Verlusten abfinden muss. Denn seit dem 2. Mai stehen die Mitglieder der Writers Guild of America (WGA) wie vor sechzehn Jahren auf ihren Streikposten vor den Eingängen der Studios.

Es ist auch eine Erinnerung daran, dass die US-Unterhaltungsindustrie – oftmals als Zentrum von Dekadenz, überbezahlten Schauspieler:innen und bedeutungslosen Auszeichnungen dargestellt – die wohl am besten gewerkschaftlich organisierte Branche der Vereinigten Staaten darstellt. Nach der Great Depression, der grossen Wirtschaftskrise ab 1929, begannen Schauspielerinnen, Regisseure, Autoren und weitere Arbeiterinnen sich nach und nach in sogenannten Unions zu organisieren – Hollywoods Studiobosse stiessen plötzlich auf organisierten Widerstand. Mittlerweile handelt die Alliance of Motion Picture and Television Producers (AMPTP), die Koalition der grossen Studios, Fernsehsender und Streamingplattformen, alle drei Jahre mit den verschiedenen Unions neue Verträge aus.

Linksliberale Masken fallen

2007 erkämpfte sich die WGA mit ihrem Streik einen Platz im Streaminggeschäft. Neben Kinofilmen und den Prestigeproduktionen der linearen Fernsehnetzwerke stellten Produktionen für Streamingplattformen damals noch eine Nische dar – heute gehören sie längst zum Kerngeschäft der Branche. Gleichzeitig befindet sich diese aufgrund der Nachwehen der Pandemie in einer Krise. Gespart wird auf dem Buckel der Autor:innen: Die klassischen Writers’ Rooms werden nach und nach eliminiert, die Vergütungen sinken seit Jahren stetig, und die Studios setzen auf Auftragsarbeiten statt auf feste Anstellungen. Nachdem es bereits vor drei Jahren zu Reibungen gekommen war, öffnete sich in den diesjährigen Verhandlungen ein unüberwindbarer Graben: Während die Gewerkschaft für die nächsten drei Jahre finanzielle Verbesserungen von rund 429 Millionen US-Dollar forderte, bot die AMPTP bloss 86 Millionen.

Auch wenn das Stichwort «Hollywood» an einen Kleinkrieg in einem privilegierten Umfeld denken lässt: Hier geht es um einen waschechten Arbeitskampf. Auf den sozialen Medien meldeten sich in den letzten Tagen preisgekrönte Autor:innen, die sich mittlerweile an den Rand des Existenzminimums getrieben sehen, in den Medien geben prominente Kreativschaffende linke Kampfbegriffe wieder und wettern gegen die Millionensaläre der Studiomanager:innen. Die grossen Studios lassen im Gegenzug ihre linksliberale Maske fallen, um den Streikenden mit Konsequenzen zu drohen.

Gewisse Privilegien sind dennoch zu erkennen: Der De-facto-Gewerkschaftszwang in Hollywood verhindert, dass die streikenden WGA-Autor:innen nun durch nicht gewerkschaftlich organisierte Arbeiter:innen ersetzt werden. Zudem führt er zur interessanten Situation, dass sich millionenschwere und einflussreiche Promis, die ebenso einer Gewerkschaft angehören, mit den Streikenden solidarisieren und teilweise gar selbst ihre Arbeit niederlegen. Dies wiederum führt zu einer unvergleichlichen Medienpräsenz. Verglichen mit anderen Arbeitskämpfen, die während der Pandemie in den USA entflammten, erscheint in Hollywood selbst ein Streik fast schon glamourös.

Solidarität von Teamsters

Der Writers’ Strike kommt genau zur richtigen Zeit: Die Arbeitskämpfe der US-Gewerkschaften, etwa in den Amazon-Warenhäusern oder bei Starbucks, stecken in einer Sackgasse. Es fehlt an Durchschlagskraft gegenüber den mächtigen Unternehmen. Auch die grösste Gewerkschaft der USA, die International Brotherhood of Teamsters, befindet sich weiterhin in zähen Verhandlungen um bessere Arbeitsbedingungen für die UPS-Fahrer:innen (siehe WOZ Nr. 17/23). Kein Wunder also, dass die Kurier:innen den Writers’ Strike ausdrücklich unterstützen und sich von den protestierenden Autor:innen die Zufahrtswege zu den Studios blockieren lassen. Dies, weil die Verträge der Teamster zwar keine Solidaritätsstreiks erlauben, die einzelnen Kurier:innen jedoch das Recht haben, Streikposten anderer Gewerkschaften nicht übertreten zu müssen.* Die zentralen Forderungen bleiben branchenübergreifend ähnlich: bessere Versicherungsleistungen, eine Abkehr von der Gig Economy, die Arbeiter:innen dazu zwingt, von Auftrag zu Auftrag zu hüpfen, und ein angemessener Anteil an der Wertschöpfung der Unternehmen.

Dazu kommt die Angst vor der künstlichen Intelligenz. Die AMPTP widersetzte sich vehement jeglicher Regulierung und gab damit unmissverständlich zu verstehen, dass man Autor:innen als finanziell belastendes Auslaufmodell betrachtet – eine Angst, die auch andere Arbeitsfelder durchzieht.

Ein Sieg in Hollywood, einem der wenigen Orte, wo das gewerkschaftliche System noch dazu fähig scheint, wäre also für viele im Land der lang ersehnte Präzedenzfall.

*Korrigenda vom 11. Mai 2023: In der Printversion sowie in der alten Onlineversion steht fälschlicherweise, dass die Kurier:innen den protestierenden Autor:innen die Zufahrtswege blockieren würden. Korrekt ist es umgekehrt. Wir bitten für diesen Fehler um Entschuldigung.