Medien und Rassismus: Ein Satz als Chiffre

Nr. 15 –

Die Reaktion von SRF auf die Kritik an Sportreporter Sascha Ruefer in der WOZ zeigt den gängigen Umgang mit Rassismusvorwürfen. Eine migrations- und medienpolitische Einordnung.

die Schweizer Fussball-Nationalmannschaft spielt vor leeren Rängen beim Spiel gegen Belarus im Karađorđe Stadion in Novi Sad, Serbien (März 2023)
Die Schweiz ist diverser geworden, und diese gesellschaftliche Veränderung zeigt sich auch in der Fussballnationalmannschaft. Foto: Laurent Gillieron, Keystone

Die ganze Geschichte dreht sich um einen einzigen Satz. Einen Satz, den ein Sportreporter gesagt hatte, nicht gesagt haben wollte, der aber trotzdem publik wurde. «Granit Xhaka ist vieles, aber er ist kein Schweizer.» Es ist ein Satz, der in sich völlig verständlich ist: Ein Schweizer namens Xhaka, der über die Schweizer Staatsbürgerschaft verfügt, erfüllt die Eigenschaften nicht, ein Schweizer zu sein. Es ist ein Satz von ausgrenzendem Charakter.

Gewiss mag es übertrieben scheinen, dass die grossen Medien diesem Satz seit Tagen zahlreiche Berichte widmen. Es kann boulevardesk wirken, dass sich auch diese Zeitung mit der Aussage eines prominenten Sportreporters beschäftigt. Aber es geht bei diesem Satz, der gesagt wurde und so nicht gesagt sein durfte, um mehr. Der Satz ist eine Chiffre: Er steht für den Umgang der Schweizer Gesellschaft mit Migration in den vergangenen drei Jahrzehnten. Sie duldete während des Kalten Krieges Ausländer:innen als Arbeiter:innen nur vorübergehend und tarnte ihre menschenrechtswidrige Diskriminierung mit dem Begriff der Saisonniers, wie gerade eine eindrückliche Ausstellung im Neuen Museum Biel zeigt.

Positiv ist negativ

Die Gesellschaft des Landes wurde nach dem Kalten Krieg zu einer vielfältigeren, diverseren, erteilt aber selbst den hier geborenen Secondos und Secondas nur nach einem langen Hürdenlauf den Schweizer Pass. Der amtliche Prozess macht Menschen fremd, die hier aufgewachsen und zur Schule gegangen sind, mit voller Absicht der Behörden und Scham als Folge für die Betroffenen. «Othering» nennt man das in der Rassismusforschung, die Konstruktion eines fremden Anderen zur Stabilisierung der eigenen Identität. Mal drückt sich dieses Othering in strukturellem Rassismus aus wie bei der Einbürgerung, mal in Alltagsrassismus wie in ausgrenzenden Bemerkungen.

«Du bist vieles, aber halt doch kein Schweizer»: Wie oft haben Migrant:innen diese Wertung bei ihren täglichen Bemühungen um Anerkennung schon gehört oder gespürt?

Doch Rassismus darf es nun einmal nicht geben in der Schweiz, dieser angeblichen Musterdemokratie, obgleich die rechtspopulistische Avantgardepartei SVP in diesem Wahlkampf wiedereinmal gegen Zuwanderung hetzt. Höchstens juristisch eingegrenzt kann so etwas wie Rassismus nachgewiesen werden, in der Definition der Antirassismusstrafnorm.

Nirgendwo zeigt sich die gesellschaftliche Veränderung des Landes so exemplarisch wie in der Fussballnationalmannschaft der Männer, in der nicht mehr nur die Eglis, Hermanns und Sutters spielen, sondern auch die Barnettas, Shaqiris und Embolos. Einer, der sich seit Jahren an dieser Entwicklung abarbeitet, ist Sportreporter Sascha Ruefer, der die Spiele des immer erfolgreicheren Teams vor Hunderttausenden kommentieren darf. Dabei taxiert er das Verhalten der Spieler gerne als unangemessen, etwa wenn er sich über den Doppeladlerjubel echauffiert. Es gibt auch Momente, in denen er die Secondos abfeiert, beispielsweise wenn ein Spieler, dessen Familie aus Bosnien in die Schweiz kam, ein Tor schiesst und Ruefer extra den «Mann aus Sursee» lobt. Doch ob negativ oder positiv: Immer geht es um die Herkunft der Spieler.

Ruefers Satz, der jetzt umstritten ist, stammt aus den Aufnahmen zu einem Dokfilm über die Schweizer Nati. SRF rechtfertigte die Löschung des Satzes aus der Endfassung damit, dass er aus dem Kontext gerissen worden sei. Letzte Woche machte die WOZ den Satz öffentlich, bewertete ihn als «klar rassistisch». Verschiedene Medien stellten wegen des Zitats die Eignung von Sascha Ruefer als Nati-Kommentator infrage. SRF startete darauf über Ostern eine PR-Offensive und führte ausgewählten Journalisten das Rohmaterial des Films vor, um den Vorwurf zu entkräften. Die WOZ war davon ausgeschlossen (vgl. «Sorgfaltspflicht nicht verletzt» im Anschluss an diesen Text).

SRF wollte also transparent sein – und blieb dennoch intransparent. Die Journalisten durften den Kontext nicht wörtlich zitieren. So bleibt nur der Konjunktiv: Ruefer soll den Satz nach Ende des offiziellen Interviews in einem positiven Kontext gesagt haben, als er Xhakas Führungseigenschaften herausstrich. Doch auch so hätte er einen individuellen Charakterzug in Beziehung zu einer imaginierten Nationalkultur gesetzt. Selbst wenn der Satz also positiv gemeint gewesen wäre: Wer einem Schweizer namens Xhaka aufgrund von implizit «unschweizerischen» Eigenschaften abspricht, Schweizer zu sein, erklärt ihn für nicht zugehörig. Trotz nachgeliefertem Kontext: Dieser ändert nichts an der Bedeutung des Satzes.

Der eigentliche Kontext

Die SRF-Verteidigung, mittels Sperrfrist auf allen grossen Medienportalen konzertiert verbreitet, zeigt beispielhaft, wie mit einem Rassismusvorwurf in der Schweiz umgegangen wird: Eine Äusserung wird nicht als Teil eines politischen Diskurses begriffen, sondern personalisiert. (Zugegebenermassen leistete dazu auch die WOZ zu Beginn ihren Beitrag.) Der Absender der Äusserung inszeniert sich darauf als Opfer. (Ruefer gegenüber CH Media: «Ich bin gebrandmarkt. Ich habe ein Tattoo auf dem Rücken, auf dem steht: Sascha Ruefer ist ein Rassist.») Zur Frage, wie seine Kommentare bei jenen Menschen ankommen, die täglich Rassismus erfahren, findet man in den Berichten keine Antwort.

Das Fernsehen wiederum verwies während der ganzen Auseinandersetzung auf einen ominösen «Kontext» der Aussage. Dabei ist der eigentliche Kontext völlig klar: die eingangs erwähnte Veränderung der Schweiz hin zu einer diverseren Gesellschaft. Eine Entwicklung, die nicht bloss der Sportreporter, sondern offenbar auch das Schweizer Fernsehen nicht antizipieren will, wenn es die Äusserungen seines Moderators vorbehaltlos verteidigt.

Medien entscheiden nicht in einem politischen Sinn über die Zugehörigkeit, wohl aber im kommunikativen. Sie bestimmen, wer eine Stimme hat und wer nicht. Sie prägen die Bilder mit, die sich eine Gesellschaft von sich macht. Gerade das Fernsehen kann neue Vorstellungsräume schaffen und blendet doch häufig postmigrantische Realitäten aus. Die Angriffe von rechts durch Spar- und Abschaffungsinitiativen mögen mit ein Grund dafür sein. Noch immer dominiert als «ideé suisse» die Vorstellung einer eindeutigen Schweizer Mehrheitsgesellschaft. Wären doch da bloss nicht diese Xhakas und Shaqiris.

Zum Vorwurf gegen die WOZ : Sorgfaltspflicht nicht verletzt

In verschiedenen Medien wurde über Ostern der Eindruck erweckt, die WOZ habe in ihrem Bericht über den SRF-Sportkommentator Sascha Ruefer («Der Schweizermacher», Nr. 14/23) ihre Sorgfaltspflicht verletzt. Dies trifft nicht zu.

WOZ-Redaktor Renato Beck ist bei seinen Recherchen über einen nie gesendeten Satz, den Ruefer während der Dreharbeiten zur SRF-Serie «The Pressure Game» geäussert hat, nach allen Regeln der journalistischen Sorgfalt vorgegangen. So hat er klar deklariert, dass ihm der genaue Kontext der fraglichen Äusserung («Granit Xhaka ist vieles, aber er ist kein Schweizer») nicht bekannt sei, weil SRF diesen auf Anfrage nicht offenlegen wollte. Zudem hat er SRF nicht nur rechtzeitig mit den Vorwürfen konfrontiert, sondern über SRF auch Ruefer selber um ein Interview zum Thema gebeten. Dieser, so wurde ihm beschieden, gebe «keine Interviews zu dem Thema».

Nachdem zuvor schon CH Media über den Fall berichtet hatte, machte die WOZ die fragliche Äusserung am 6. April publik, was von mehreren Medien aufgegriffen wurde. Daraufhin lud Ruefer am Karfreitag ausgewählte Journalisten verschiedener Medien ein, die Aufnahmen samt Kontext zu sichten – unter strengen Auflagen und im Beisein der SRF-Chefredaktorin Sport und des Leiters der Geschäftseinheit Sport, die ebenfalls Auskunft erteilten. Die WOZ war zu dieser Medienorientierung nicht eingeladen, was einen Verstoss gegen das Prinzip der Gleichbehandlung darstellt. Auf eine diesbezügliche Nachfrage von CH Media liess SRF verlauten: «Es steht Sascha Ruefer frei, mit jenen Medien zu sprechen, die er als seriös erachtet.» SRF hat die WOZ damit zu Unrecht in ein schiefes Licht gerückt.

Die WOZ hat Ruefer nie als Rassisten verunglimpft. In dem betreffenden Artikel wurde lediglich ein Satz von ihm als rassistisch gewertet. Der später bekannt gewordene Kontext ändert unseres Erachtens nichts am ausschliessenden Charakter der fraglichen Äusserung.  

Die WOZ-Redaktion

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Kommentare

Kommentar von marioleimbacher

Mi., 12.04.2023 - 19:33

Ihr macht zuerst ein unverhältnismässiges Geschrei um einen zugegebenermassen aus dem Kontext gerissenen Satz, was schon sehr erzwungen wirkt, und nun sucht man alle möglichen Argumente um die Unfehlbarkeit der Redaktion zu zementieren. Da kommt mir gleich die Katholische Kirche in den Sinn. Nehmt es doch etwas lockerer, gerade mit dem unendlich ermüdenden Geschrei und Geplapper in und um die Fussballstadien.

Kommentar von 412581

Mi., 12.04.2023 - 23:24

Rassismus, z. B. in Form ausgrenzender Äusserungen, verletzt. Das sollte man (nicht mehr !) locker nehmen.
Die katholischen Unfehlbarkeitsnebelpetarden hätte man auch besser nicht zünden sollen - offenbar soll nur vom Thema Alltagsrassismus abgelenkt werden.

Kommentar von Florian Keller WOZ

Do., 13.04.2023 - 08:37

Es geht hier nicht um Glaubensfragen, und auch nicht um einen Anspruch auf Unfehlbarkeit. Sondern darum, dass der Eindruck erweckt wurde, die WOZ habe nicht seriös gearbeitet oder gegen berufsethische Standards verstossen. Der Artikel oben zeigt zudem, wieso bei einem Satz wie diesem - und im Umgang damit - immer mehr auf dem Spiel steht.

Kommentar von ADKoy

Do., 13.04.2023 - 11:27

Ich habe mit Interesse die Diskussion nach dem Erscheinen des persönlichen Angriffs auf S.R. verfolgt und war gespannt auf die Reaktion der WOZ auf den Artikel von letzter Woche. Eine Apologie, getarnt als "Einordnung", hätte ich nicht erwartet!

Was ihr heute auftischt ist reinster Whataboutisms!

Messt Euch an Eurem Leitbild! Nehmt Eure Leser:innen ernst (Punkt 6)! Seid selbstkritisch (Punkt 5)! Ich - und Eure Leitlinien - haben höhere Ansprüche an die WOZ!

Kommentar von @Annette1

Sa., 15.04.2023 - 12:40

Vor ca. 14 Jahren habe ich mich als Kulturredaktorin bei der WOZ beworben. Ich wurde mit der Begründung abgelehnt, mich als Deutsche nicht ausreichend in der Schweizer Kulturszene aus zu kennen. Dabei lebte ich damals bereits 10 Jahre in der Schweiz. Heute arbeite ich bei SRF. Insofern - ja, ich gebe Kaspar Surber Recht, das Problem ist weitreichend und leider überall zu finden.

Kommentar von Topsen

Sa., 15.04.2023 - 12:45

Wegen Sasha Ruefer gibts anti Geotracking. Die schönste Nebensache der Welt wird seit Jahren ,seit BeniT.?getrübt von Sasha Ruefer. Er versteht nichts von Fussball nichts von Menschen und sein Ego ist sehr gross.
Leider verlassen die Sportreporter das Srf bevor Sie zur Hochform auflaufen, siehe Matthias Hüppi.
Viele Grüsse Ihre Fussballfreunde gegen die Grundgebühr.

Kommentar von Matthias.Rauh

Mo., 17.04.2023 - 13:21

Habe ich den Satz von Sascha Rufer richtig gedeutet? Leisungsträger, die in der globalen Sportwelt ihre:n Mann:Frau stehen, wie Mujinga Kambundji, Granit Xhaka, Marco Odermatt und Roger Federer sind keine Schweizer, weil sie den Durchschnitt krass übersteigen? Ich könnte mir vorstellen, dass sich Sascha Rufer auf dem Olymp aller Sportreporter wähnend, auch nicht als Schweizer bezeichnen würde. Der Olymp als mystische Konstruktion ist schliesslich auch nicht national verortet. Ich glaube ich verstehe ihn oft nicht, drum stelle ich bei der WM amigs auf den Österreicher um.