Stadtentwicklung: Quartiere fast wie in Barcelona

Nr. 7 –

Die katalanische Metropole erprobt mit autoarmen und begrünten Quartierzonen, sogenannten Superblocks, die Stadt der Zukunft. Die Idee ist nun auch in Schweizer Städten angekommen.

Picknicktische und Kübelpflanzen statt Blechlawinen? Was verkehrsgeplagte Städter:innen andernorts nur erträumen, ist in Barcelona bereits Realität. Die katalanische Metropole verteilt den Strassenraum neu: weniger Platz für Autos, mehr für Begrünung und Aufenthaltsmöglichkeiten. Damit will die linke Stadtregierung gegen die Klimaerwärmung vorgehen und die Lebensqualität der Bewohner:innen erhöhen.

Herzstück von Barcelonas Stadtentwicklungsstrategie sind autoarme «Superblocks»: Bis zu neun Häuserblocks werden zusammengefasst und vom Durchgangsverkehr befreit; Zufahrt haben nur Anwohnerinnen und Lieferanten. Im Innern der Superblocks haben Fussgängerinnen und Velofahrer Vorrang. Der frei werdende Platz wird mit Bäumen, Pflanzenkübeln und Hochbeeten begrünt und mit Spielgeräten und Sitzbänken möbliert.

Vorstösse in Basel und Zürich

Barcelonas Superblocks haben vielerorts Initiativen inspiriert – so auch in Basel. «Im Prinzip geht es darum, den Strassenraum auch als Lebensraum zu denken», sagt die Raumplanerin und Architektin Nicole Wirz vom Verein Wettstein 21. 2019 initiierte dieser ein «Quartierlabor», in dem Bewohner:innen des Wettsteinquartiers eine Charta für eine klimaneutrale und nachhaltige Zukunft des Quartiers entwickelt haben. Als Schlüsselmassnahme schlagen sie sechs Superblocks vor.

Die Charta wurde im Sommer 2022 dem Basler Regierungspräsidenten Beat Jans (SP) übergeben. Einige Wochen später gelangte ein ähnlicher Vorstoss für drei Superblocks aus dem St.-Johann-Quartier an die Regierung. Kurz darauf forderten die Kantonsrätinnen Brigitte Kühne (GLP) und Raffaela Hanauer (Grüne) die Regierung auf, zu prüfen, wie bereits im Sommer 2023 versuchsweise Superblocks im Wettstein und im St. Johann umgesetzt werden können.

Ist das überhaupt realistisch? Hoffentlich, meint Wirz. Das Superblock-Konzept sei niederschwellig. Mit einfachen und kostengünstigen Massnahmen – Signalisationsänderungen, mobilen Sitzgelegenheiten und Pflanzenkübeln – lasse sich der Strassenraum rasch neu aufteilen. Mit Blick aufs Basler Klimaziel Netto null 2037 sagt Wirz: «Wir müssen Lösungen suchen, die sich schnell realisieren lassen!» Auch die Basler Regierung ist sich der Dringlichkeit bewusst: «Um dieses ambitionierte Ziel bis 2037 zu erreichen», so Regierungspräsident Jans, «müssen wir alle möglichen Ansätze nutzen. Superblocks können dazu beitragen.»

Auch Schweizer Städte eignen sich grundsätzlich für Superblocks, obwohl ihre Strassen selten eine rasterartige Struktur wie in Barcelona bilden. Zu diesem Schluss kommt eine Nationalfondsstudie der Empa, des interdisziplinären ETH-Instituts für Materialwissenschaften und Technologieentwicklung. Der einzige Haken: In Barcelonas Superblocks herrscht Tempo 10 – das niedrigste Limit im hiesigen Strassenverkehrsgesetz ist jedoch Tempo 20 in Begegnungszonen. Um es weiter zu senken, bräuchte es eine Gesetzesänderung auf nationaler Ebene. Der schnellste Weg, den Verkehr innerhalb der geplanten Blocks zu beruhigen, ist deshalb die Umwandlung der Quartierstrassen in Begegnungszonen.

Silas Hobi, Geschäftsleiter der Umweltorganisation Umverkehr, sieht das auch so. Er verweist auf Bern, das als bislang einzige grössere Schweizer Stadt grosse Begegnungszonen geschaffen hat. Aber fahren Autos mit Tempo 20 langsam genug, damit sich spielende Kinder auf der Strasse frei und sicher bewegen können? Dazu Nicole Wirz: «Es gibt bislang keine Studie, die belegen würde, dass man das Tempo in Begegnungszonen senken müsste; es gilt ja ohnehin Fussgängervortritt. Wichtig sind Spiel- und Aufenthaltsbereiche.» Ob es mittelfristig doch eine Gesetzesänderung auf nationaler Ebene braucht, wird sich zeigen. Die Initiant:innen aus dem St.-Johann-Quartier jedenfalls fordern in ihrer Petition weiterhin eine Reduktion auf Tempo 10.

Auch in Zürich soll es Superblock-Pilotprojekte geben. Das verlangt ein Postulat der SP-Gemeinderäte Severin Meier und Pascal Lamprecht, das von der Ratsmehrheit unterstützt und vom Stadtrat zur Prüfung entgegengenommen wurde. Es bezieht sich auf den neuen kommunalen Richtplan Verkehr. Darin nämlich sind autoarme «Quartierblöcke», wie Superblocks in Zürich heissen, bereits verankert. Dass sie der Gemeinderat in den Richtplan integrierte, geht ebenso auf einen Antrag von Meier zurück. Die Idee dazu, so Meier, sei entstanden, nachdem die Juso-Initiative «Züri autofrei» im Juni 2020 vom Bundesgericht für ungültig erklärt worden war, weil sie nicht mit übergeordnetem Recht vereinbar sei. «Wenn wir die kantonalen Strassen als Aussengrenzen verstehen, entsteht automatisch eine Art Raster mit Quartierblöcken – und über die kommunalen Strassen im Innern der Blöcke kann die Stadt ja selbst entscheiden.»

Auch Hobi ist überzeugt, dass Zürich gute Chancen hat, autoarme Quartierblöcke zu verwirklichen: «De facto existiert das Konzept bereits. Die Stadt arbeitet seit Jahrzehnten erfolgreich daran, den Durchgangsverkehr um die Wohnquartiere herumzulenken.» Laut Richtplan gelten Ausnahmen «für Zubringerdienste und Menschen mit eingeschränkter Mobilität». Meier: «Grundsätzlich soll es für die Anwohner:innen möglich sein, zu ihrem Haus vorzufahren.»

Vorfahren ja, parkieren eher nicht – zumindest nicht auf öffentlichem Grund, wie das heute der Fall ist. In Zürich sind die meisten Quartierstrassen noch immer auf einer, oft auf beiden Seiten zuparkiert. Das Quartierblockkonzept dagegen sieht vor, die Strassen umzunutzen und zu begrünen. Das aber braucht Platz. «Die Stadt sollte den Mut haben, die Parkplätze grossflächig aufzuheben», sagt Hobi – was gleichzeitig auch ein Anreiz für Anwohner:innen wäre, ihr Auto auf einem privaten Parkplatz abzustellen oder ganz darauf zu verzichten.

Erst einmal Pilotprojekte

Beim Thema Parkplatzabbau ist die Stadtverwaltung aber stets mit heftigem Widerstand konfrontiert. Obwohl heute die Mehrheit der Zürcher Haushalte kein Auto mehr besitzt, macht sich vor allem jener Teil der Bevölkerung lautstark bemerkbar, der unbedingt an günstigem Parkraum vor der eigenen Haustür festhalten will. Muss die schweigende Mehrheit also lauter werden? Eigentlich sollte das nicht nötig sein, sagt Silas Hobi. Alle Vorlagen der letzten Jahre, die den Fuss- und Veloverkehr fördern und mehr Platz für Umgestaltung und Begrünung schaffen wollten, seien ja schliesslich von der Bevölkerung angenommen worden. «Jetzt ist es an der Stadt, diese auch zügig umzusetzen.»

Und der Fahrplan für die Quartierblöcke? «Ziel ist, bis 2024 Pilotprojekte zu realisieren und die Erfahrungen für weitere Projekte zu nutzen», schreibt das Tiefbauamt. Trotz absehbarer Verzögerungen durch Einsprachen ist Severin Meier überzeugt, dass einer flächendeckenden Umsetzung längerfristig nichts im Weg steht: «Ich hoffe sehr, dass wir bald zwanzig, dreissig, vierzig oder fünfzig dieser Quartierblöcke in der Stadt sehen werden.»