Bundesasylzentren: Dumpinglöhne für Geflüchtete

Nr. 7 –

In Beschäftigungsprogrammen leisten ­ Asylsuchende Hunderttausende Arbeitsstunden im Dienst der Allgemeinheit – und erhalten dafür minimalste Anerkennungsbeiträge. Betroffene fühlen sich ausgebeutet.

zwei Asylsuchende in oranger Arbeitskleidung reinigen eine Treppe
5 Franken pro Stunde, monatlich maximal 400 Franken: Einsatz von Asylsuchenden. Foto: Francesca Agosta, Keystone

Es regnet und ist kühl. Die Tische im Café in einem Dorf im Kanton St. Gallen, wo Halil Gündoğan aktuell in einem Asylheim lebt, bleiben fast alle leer. Arbeiten habe er immer wollen, sagt Gündoğan, denn das wäre eine Möglichkeit gewesen, sein Taschengeld von drei Franken pro Tag etwas aufzubessern. Gündoğan kam im August 2019 in die Schweiz und wohnte bis Oktober des gleichen Jahres im Bundesasylzentrum Boudry NE. Erwerbsarbeit im eigentlichen Sinn fand er dort aber keine – nur sogenannte Beschäftigungsprogramme. Und für diese findet er klare Worte: «Wir haben die Drecksarbeit für die Schweiz erledigt.»

Die Beschäftigungsprogramme in den Bundesasylzentren (BAZ) sind für dort untergebrachte Asylsuchende die einzige Möglichkeit, einer Arbeit nachzugehen. Vom regulären Arbeitsmarkt sind sie ausgeschlossen. Definition und Anwendungsbereich dieser Programme gelten für alle BAZ und sind im «Betriebskonzept Unterbringung» geregelt. Die Programme sind demnach Teil des Beschäftigungskonzepts, das auch Hausarbeiten, Bildungs- und Freizeitangebote umfasst. Sie sollen eine «Tagesstruktur» schaffen, «das Zusammenleben in den Zentren» erleichtern – sowie dem «allgemeinen lokalen oder regionalen Interesse des Kantons oder der Gemeinde» dienen.

Erst mal gratis arbeiten

In einer gemeinsamen Recherche haben die WOZ und das unabhängige Recherchekollektiv WAV eine umfassende Medienanfrage an das verantwortliche Staatssekretariat für Migration (SEM) gestellt und mit Asylsuchenden und ehemaligen Mitarbeitenden in den BAZ Zürich, Boudry und Basel gesprochen. Die Zahlen, die das SEM zur Verfügung stellt, sind eindrücklich: Über 300 000 Stunden gemeinnützige Arbeit haben Asylsuchende 2021 in Bundesasylzentren geleistet. Die Einsätze umfassten siebzehn Arbeitsbereiche – am häufigsten waren Forstarbeiten (14 Prozent), Unterhaltsarbeiten an öffentlicher Infrastruktur und Reinigungsarbeiten (je 13 Prozent), Bekämpfung von Neophyten (invasiven Pflanzen) sowie Arbeiten in den zentrumseigenen Wäschereien (je 8 Prozent).

Gemäss dem SEM gilt in fast allen BAZ die Regel, dass Asylsuchende eine obligatorische Mindestmenge an unbezahlten Arbeiten erledigen müssen, bevor sie an einem vergüteten Beschäftigungsprogramm teilnehmen können. Je nach BAZ variiere der Umfang der unbezahlten Arbeiten zwischen 6 und 28 Stunden. Auf die Frage, zu wie vielen Stunden bezahlter Arbeit dies qualifiziere, gibt das SEM keine klare Antwort. Laut Aussagen von Mitarbeiter:innen der Asylorganisation Zürich (AOZ) reicht das aus, um bis zu sieben Tage an einem vergüteten Programm teilnehmen zu können. Quittiert wird die unbezahlte Arbeitszeit mittels einer Stempelkarte.

Das SEM nennt weitere Voraussetzungen für bezahlte Einsätze: Die Bewohner:innen müssen «vorgängig gezeigt haben, dass sie sich an die Regeln des Zusammenlebens im BAZ halten», ihre obligatorischen Hausarbeiten «zur Zufriedenheit des Leistungserbringers Betreuung» erledigt haben und dass sie von keinen Sanktionen betroffen sind. Doch selbst wenn all das erfüllt ist, ist ein bezahlter Einsatz laut SEM nicht garantiert: Das sei jeweils auch von der Verfügbarkeit von Beschäftigungsprogrammen und der Anzahl Asylsuchender abhängig.

Intransparentes Vergabesystem

Die Betreuung in den Zentren wird nicht direkt vom SEM gewährleistet, sondern an Unternehmen ausgelagert – mancherorts an die öffentlich-rechtliche AOZ, in anderen Zentren an die private, profitorientierte ORS. So entscheidet die zuständige Betreuungsfirma üblicherweise auch über die Verteilung der Arbeitseinsätze. Laut dem SEM orientieren sich die Firmen dabei an einem «fairen» Vergabesystem. Ehemalige AOZ-Mitarbeiter:innen haben aber Zweifel daran. Zum Beispiel Pascal Erlacher, der seinen wahren Namen nicht in der Zeitung lesen will. Er arbeitete für die AOZ als Betreuer im Testzentrum Juch in Zürich, wo von 2014 bis 2019 der Betrieb von Bundesasylzentren probeweise getestet wurde. Das Vergabesystem sei intransparent, sagt er. «Es gibt eine hohe Machtkonzentration bei Einzelpersonen aus dem Betreuungsteam. Entsprechend gross ist das Potenzial des Machtmissbrauchs.»

In Zürich gebe es im Betreuungsstab der AOZ eine eigene Abteilung für die Organisation und die Vergabe der Beschäftigungsprogramme, erzählt Lilith Heller, die ebenfalls anders heisst und bis August 2020 im BAZ Duttweiler in Zürich arbeitete. Einer übergeordneten Kontrolle sei diese Abteilung jedoch nicht unterstanden. Thomas Kopp, der bis im Frühjahr 2020 für die AOZ im BAZ Duttweiler arbeitete, bestätigt das: Es gebe keine überprüfbaren Kriterien für die Vergabe der Einsätze. Selbst wenn die meisten Mitarbeitenden gute Absichten hätten, seien sie bei der Vergabe nicht frei von persönlichen Sympathien.

Samuel Wyss von der Medienstelle des SEM beteuert, ihm seien in diesem Zusammenhang keine Fälle von Machtmissbrauch bekannt. Auf die Frage, ob es ein Budget für solche Einsätze und damit auch eine fix definierte Maximalanzahl bezahlter Stunden gibt, sagt er: «Die Teilnahme ist nicht aufgrund eines Stundenbudgets limitiert. Eine Begrenzung besteht jedoch durch die jeweils verfügbaren Projekte.» Eine Statistik zu Fällen von Asylsuchenden, die trotz geleisteter Qualifikationsarbeit nicht an einem vergüteten Programm teilnehmen konnten, führt das SEM nicht.

Trotzdem glaubt Wyss an die Fairness des Systems – und verweist auf die Möglichkeit für Asylsuchende, sich in «regelmässig stattfindenden Sprechstunden» bei Mitarbeiter:innen der Sektion Partner und Administration des SEM zu beschweren. Lilith Heller allerdings sind aus ihrer Zeit im BAZ Zürich kaum Fälle bekannt, in denen sich Asylsuchende über die Bedingungen der Beschäftigungsprogramme beschwert haben. Dafür, so Heller, fehle ihnen das Vertrauen. Den Grund dafür sieht sie im Machtgefälle: «Betreuer:innen sind für Asylsuchende wie Götter, weil sie über Zugang zu bezahlter Arbeit und andere Vorteile im Lager entscheiden können.»

Die Vergütung für die Teilnahme an Beschäftigungsprogrammen nennt sich offiziell nicht Lohn, sondern Anerkennungsbeitrag, was die Abwertung der geleisteten Arbeit zum Ausdruck bringt. Der Beitrag beträgt pro Arbeitsstunde 5 Franken und darf pro Tag 30 Franken nicht überschreiten. Monatliches Maximum: 400 Franken. Bei achtzig Stunden Arbeit im Monat entspräche das einem Fünfzigprozentpensum. Bezahlte Überstunden? Gibt es nicht. Laut dem SEM werden Stunden, die über den maximalen Anerkennungsbeitrag hinausgehen, nicht vergütet.

Die Asylsuchenden sind auf diese Arbeiten angewiesen. Und tatsächlich verleihen sie ihnen wenigstens ein kleines Stück Selbstbestimmung. «Wir wollen gar nicht in erster Linie Geld; wir wollen Selbstbestimmung, Würde. Wir wollen Tee trinken, Zigaretten rauchen, Hygieneprodukte kaufen», sagt Emre Polat*. Er durchlief 2022 das Asylverfahren im BAZ Duttweiler und lebt aktuell in einem Asylheim im Kanton St. Gallen, wo er auf seinen Asylentscheid wartet.

Das SEM gibt an, den Asylsuchenden mit den Beschäftigungsprogrammen ein Stück Autonomie zu vermitteln: «Die Selbstbestimmung und das Selbstwertgefühl werden – insbesondere durch die Erzielung eines kleinen Verdienstes – gefördert, und das Konfliktpotenzial wird dadurch reduziert.» Zudem sollen die Beschäftigungsprogramme «die positive Wahrnehmung der Asylsuchenden» in der lokalen Wohnbevölkerung erhöhen.

Ferhat Tosun* sieht das anders: «Das ist Ausbeutung», sagt er. Tosun wohnte 2021 im BAZ Basel, heute wartet er wie Polat im Kanton St. Gallen auf seinen Asylentscheid. Wie alle befragten Asylsuchenden empfindet er die Vergabe der Arbeitseinsätze und die tiefe Bezahlung als willkürlich und ungerecht. Ob in Basel, Boudry oder Zürich: Die wöchentlichen 21 Franken Taschengeld reichen bei weitem nicht, um sich Telefonguthaben, ÖV-Tickets oder mal einen Kaffee zu kaufen. «Wir wollen nicht einmal das gute Leben. Das gute Leben ist vorbei, ich musste meines zurücklassen», sagt Tosun. «Wir wollen einfach nur leben.»

Das SEM unterscheidet die Teilnahme an Beschäftigungsprogrammen von herkömmlicher Erwerbstätigkeit mit Verweis auf Artikel 11 des Ausländer- und Integrationsgesetzes. Dieses definiert Erwerbstätigkeit als «jede üblicherweise gegen Entgelt ausgeübte unselbstständige oder selbstständige Tätigkeit». Laut dem SEM ist «die Teilnahme an gemeinnützigen Beschäftigungsprogrammen keine solche Tätigkeit. Gemäss Artikel 43 Absatz 4 des Asylgesetzes bedürfe es dafür auch keiner Arbeitsbewilligung.

Rausan Noori, Rechtsanwältin mit dem Spezialgebiet Sozialhilferecht, kritisiert diese Auslegung: «Umzugs- und Reinigungsarbeiten etwa werden in der Schweiz üblicherweise sehr wohl finanziell entschädigt.» Tätigkeiten in Beschäftigungsprogrammen könnten daher je nach Fall durchaus als Erwerbstätigkeit angesehen werden. Dies müsste aber jeweils im Einzelfall geprüft werden und hänge von unterschiedlichen Faktoren ab – davon etwa, ob der Betrieb, für den die Asylsuchenden tätig sind, einen wirtschaftlichen Nutzen aus der geleisteten Arbeit zieht. Selbst das SEM kann nicht ausschliessen, dass durch die Beschäftigungsprogramme Lohnkosten eingespart werden. «Interne Arbeiten sind unabdingbar für den Betrieb des Zentrums», sagt dazu denn auch Lilith Heller. «Wenn diese wegfallen, würde mehr Personal benötigt.»

Unklare Rechtslage

Expert:innen der Universität Basel und der Hochschule Luzern haben 2020 gemeinsam die Studie «Arbeiten unter sozialhilferechtlichen Bedingungen» zur Frage der Entlohnung in Beschäftigungsprogrammen veröffentlicht. Darin plädieren die Autor:innen dafür, auch solche Arbeiten mit einem Arbeitsvertrag zu regeln, sofern diese einen wirtschaftlichen Wert haben. Sie fordern eine angemessene Versicherung der Teilnehmenden und einen Stundenlohn zwischen 15 und 30 Franken. Diese Überlegungen liessen sich wohl auch auf Beschäftigungsprogramme im Asylbereich ausweiten, sagt die an der Studie beteiligte Melanie Studer. Dazu allerdings, so die Juristin, bräuchte es auch zu den Beschäftigungsprogrammen im Asylwesen eine wissenschaftliche Studie.

Die Asylsuchenden leisten also für sehr wenig Geld gemeinnützige Arbeit für eine Gesellschaft, von der sie vielleicht nie Teil sein werden, für eine Infrastruktur, die sie unter Umständen nie mitbenutzen dürfen. Besonders deutlich zeigt sich dieser Zynismus in der Neophytenbekämpfung: Menschen, die in der Schweiz nicht willkommen sind, vernichten für eine Gesellschaft Pflanzen, die hier als Bedrohung wahrgenommen werden.

Halil Gündoğan sagt dazu: «In diesen Programmen zeigen sich die Unterschiede zwischen Schweizer:innen und Geflüchteten. Wir sind nicht gleich viel wert wie die anderen.»

* Namen geändert.

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Die Recherche entstand in Zusammenarbeit mit dem Recherchekollektiv WAV. Der Artikel wurde von JournaFonds unterstützt.