Von oben herab : Viola Vormregal

Nr. 49 –

Stefan Gärtner über deutsche und Schweizer Einkaufskörbe

Das ist bei der Lektüre dieser Kolumne vielleicht schon aufgefallen, wie sehr es mich freut, wenn sich Klischee und Wirklichkeit als deckungsgleich erweisen, und so musste der klischeehaft liberale Vater dem Grossen, der in der Spielzeugabteilung vorm Lego-Regal klischeehaft grosse Augen bekam, das väterliche Unbehagen angesichts des Lego-Sets übermitteln, das in der Reihe «Drei in eins» einen Kampfjet, einen Flugzeugträger und einen Helikopter bereithielt, an dessen militärischem Zweck dann nicht mehr viele Zweifel möglich waren. «Das ist aber ein, hm, Kampfflugzeug», sprach der liberale Vater gequält, der liberal anfügte, er werde es ihm, dem Sohn, nicht geradezu verbieten – «es ist dein Taschengeld, nicht wahr» –, wolle aber doch sagen, dass er es «nicht gut» finde usw. Der Sohn nahm schliesslich das Luftkissenboot, und ich kam mir zwar es bitzeli albern vor, war aber doch erleichtert.

Kann man Pilotinnen zum Atombomben­abwurf fliegen lassen?

Die Spielzeugsoziologie mag untersuchen, seit wann derlei wieder gängig ist. Als ich Kind war, waren Modellbausätze von Kriegsgerät im Kinderzimmer noch das Selbstverständlichste von der Welt, und da ich kein Spielzeugsoziologe bin, muss ich mich auf den völlig subjektiven Eindruck verlassen, dass derlei dann, als pädagogisch heikel erkannt, aufhörte. Heute gilt man ja schon als unzuverlässig, wenn man beim Kleinkindergeburtstag kein Holzspielzeug verschenkt, und das wäre natürlich ein Spass, unseren Wir-fördern-optimal-und-machen-alles-richtig-Eltern mal mit dem Revell-Bausatz «Leopard 2A6/26M» zu kommen, gerieten Vater und (jüngerer) Sohn dann nicht in ein völlig falsches Licht. Mit meinem kleinen Bruder habe ich zu meiner Zeit sehr gern «Bombenkrieg» gespielt und von der Lego-Raumstation aus sein Playmobil-Fort angegriffen, auf diese Weise Dokumentationen über den Zweiten Weltkrieg in den Spielflur holend. Heute fange ich Fliegen mit Teeglas und Bierdeckel ein, um sie auf dem Balkon auszusetzen, und bestimmt gibt es Konzernchefinnen, die früher in der Puppenküche standen. Andererseits gäbe es vielleicht viel mehr Konzernchefinnen, wenn früher weniger Mädchen in der Puppenküche gestanden hätten, und jedenfalls kriegt der kleine Sohn zu Weihnachten eine Spielküche, und seis, weil wir hoffen, dass er dann endlich die richtigen Töpfe in Ruhe lässt.

Dass die Schweizer Zuständige für die anstehende Beschaffung US-amerikanischer F-35-Kampfjets Amherd heisst, ist in diesem Zusammenhang eine schöne, vom Leben selbst geschriebene Pointe. Verteidigungsministerin Viola Amherd möchte sechs Milliarden Franken ausgeben, um Kampfflugzeuge zu bestellen, die zuletzt ins Gerede gekommen sind, und zwar nicht bei uns klischeehaft liberalen Eltern, sondern bei Fachleuten: «Über 800 technische Schwierigkeiten» hat der Hersteller laut WOZ auf dem Zettel, und leider ist der ewig kaputte Berliner Hauptstadtflughafen ja doch noch in Betrieb gegangen, sodass der Witz nicht mehr geht, den BER den F-35-Jets vorzubehalten, die ja auch die Bundeswehr haben will, während die US-Luftwaffe 110 Bestellungen storniert hat. In Deutschland sollen die ersten acht Jets 2026 ausgeliefert werden, weiss «Bild»: «Die F-35 sichert Deutschlands nukleare Teilhabe ab. Das bedeutet: Im Fall der Fälle (Atomschlag) ist es die deutsche Luftwaffe, die mit diesen Jets die in der Eifel gelagerten US-Atombomben abwirft», und gäbe es anschliessend noch eine Pädagogik, müsste sie sich fragen: Was haben die Piloten, die dann vielleicht dreissig sind, einst als Kindergeburtstagsgeschenk bekommen? Und kann man Pilotinnen zum Atombombenabwurf fliegen lassen, oder stimmt auch dieses Klischee, dass Frauen im letzten Moment Skrupel kriegen, mal eben 500 000 Menschen zu töten?

Viola Amherd steht jedenfalls vorm Regal und will das Kampfflugzeug haben. Was will die Schweiz auch mit einem Luftkissenboot, oddr?

Stefan Gärtner (BRD) war Redaktor bei der «Titanic» und ist heute Schriftsteller und «linksradikaler Satiriker» («Die Zeit»). An dieser Stelle nimmt er jede zweite Woche das Geschehen in der Schweiz unter die Lupe.

Sein Buch «Terrorsprache» ist im WOZ-Shop erhältlich unter www.woz.ch/shop.