DJ Edu: «Die Musikgeschichte bewegt sich zyklisch»

Nr. 33 –

In seiner Sendung auf BBC spielt DJ Edu seit fünfzehn Jahren aktuelle Musik vom afrikanischen Kontinent. Deren Wahrnehmung im Westen habe sich in den vergangenen Jahren stark verändert, auch dank Social Media.

Edwin Ochieno alias DJ Edu
Edwin Ochieno alias DJ Edu

DJ Edu: Verzeihen Sie die Verspätung, ich war gerade joggen.

WOZ: Kein Problem. Welche Musik haben Sie dazu gehört?
Gar keine. Während ich renne, versuche ich, die Natur aufzunehmen, und achte auf die Stimmen der Vögel und das Rauschen der Bäume.

Welcher Song läuft sonst gerade auf Repeat bei Ihnen?
Oh, das ist schwierig. Viele Leute stehen momentan auf «Last Last» des nigerianischen Künstlers Burna Boy. Ich selbst hätte gar nicht die Zeit dafür, mir einen Track so oft anzuhören. Dank meiner Radiosendung kriege ich pro Woche mindestens tausend Lieder aus verschiedenen Teilen des afrikanischen Kontinents zugeschickt – die allermeisten davon, ob Sie es glauben oder nicht, aus Nigeria.

Ihre Radiosendung «Destination Africa» auf BBC beansprucht für sich, die «heissesten Sounds» aus Afrika zu spielen. Wie repräsentiert man in einer einzigen Sendung einen ganzen Kontinent mit über fünfzig Staaten und unzähligen Genres?
Bevor die Sendung über den Äther ging, recherchierte ich gemeinsam mit einem Team, wie viele Menschen aus Afrika eigentlich in Grossbritannien leben und woher sie kommen. Weiter haben wir uns angeschaut, in welche afrikanischen Länder British Airways Direktflüge anbot. Daraus entstand eine Liste aus zwanzig Ländern, die ich repräsentieren wollte. Das war der Ausgangspunkt der Sendung.

Wie ging es weiter?
Nachdem ich zu Kenner:innen der Musikbranche in diesen zwanzig Ländern Beziehungen aufgebaut hatte, verselbstständigte sich die Sache ein Stück weit. Ich hatte beispielsweise einen Kontakt in Kenia, das Ostafrika repräsentieren sollte, und die Person meinte dann, sie kenne jemanden in Tansania und jemand weiteren in Ruanda und so weiter. Als wir mit der Sendung begannen, gab es Spotify noch nicht. Wir tauschten Musik mit Tapes, CDs und dann immer mehr auch über E-Mail aus. Gleichzeitig wurde ich in verschiedenen Ländern als DJ gebucht und konnte so weitere Kontakte knüpfen.

Mein Team und ich haben heute also ein grosses Netzwerk von Leuten, die uns über Trends informieren. Und als die Sendung bekannter wurde, fingen die Künstler:innen an, mich mit Musik zu bombardieren. Heute versuche ich nach wie vor, in jeder Sendung Musik aus mehr als zwanzig verschiedenen Ländern zu spielen und dabei anglofone, frankofone und lusofone Sprachregionen zu berücksichtigen.

In einem Interview sagten Sie einmal, dass Sie als Jugendlicher in Kenia eigentlich Tänzer werden wollten, dann aber, weil sie keine Lust auf das ständige Schwitzen hatten, DJ wurden …
Das ist korrekt! Die Liebe zur Musik habe ich von meinem Vater geerbt, der ständig Musik hörte – alle Klassiker von den Jackson Five, Michael Jackson, Franco Luambo Makiadi, M’bilia Bel bis zu allen möglichen Rumbaplatten. Als Teenager hat er mich überallhin mitgenommen, um zu tanzen, und ich habe damit Geld verdient. Irgendwann habe ich gemerkt, dass die DJs die eigentlichen Stars an den Partys waren.

Wie wurden Sie selber DJ?
Während des Studiums hatte ich einen Freund, der eine mobile Disco betrieb, also ein Soundsystem hatte, mit dem er zu Festen fuhr; mal waren es Hochzeiten, mal Studentenpartys. Ich fing an, ihn zu begleiten und zu beobachten, was die DJs genau machten. Zuerst trug ich noch die Lautsprecher herum und wartete bis zum Ende der Nacht, um auf dem Equipment üben zu können. Später begann ich selbst aufzulegen und spielte irgendwann in Clubs im ganzen Land, bevor ich 1999 einen nationalen DJ-Wettbewerb gewann. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich das Gefühl, in Kenia das Limit des Möglichen erreicht zu haben, und wollte nach Grossbritannien – auch, um mich in der Musikproduktion weiterzuentwickeln. Mit dem Preisgeld konnte ich die Reise nach London finanzieren.

In England haben Sie weiter aufgelegt?
Ja. Die erste Clubnacht, die ich in London organisierte, war ein kenianischer Abend. Das hat sich gut angefühlt, es war wie ein Zuhause weit weg von daheim. Schliesslich hatte ich das Glück, Resident-DJ in einem Club zu werden, der regelmässig von Südafrikaner:innen für ihre Partys und Events gemietet wurde. So lernte ich viele Künstler:innen aus diesem Umfeld kennen. Es war, als würde ich mich neu in Afrika verlieben – weil ich weit weg war und alles vermisste, was vom Kontinent kam. Ich traf immer mehr DJs und Musiker:innen aus anderen afrikanischen Staaten, die nach England eingeladen wurden, um aufzutreten, und es fühlte sich wie eine Art Berufung an, das alles zusammenzubringen. Die Partys waren damals nämlich noch getrennt: Die Leute aus Sierra Leone feierten an einem Ort, die Ghanaer:innen an einem anderen und so weiter.

Nachdem Sie sich einen Namen als DJ gemacht hatten, wurden Sie von der BBC angefragt.
Die BBC pushte damals Musik aus Afrika. Bevor ich 2007 meine Show begann, sammelte ich erste Erfahrungen bei kleinen Community-Radios, die wollten, dass ich den «East African flavour» reinbrachte. Zu diesem Zeitpunkt fing ich auch an, immer mehr afrikanische Musik in meinen Sets in grossen Clubs zu spielen. Anfang der 2000er konntest du meistens nur kurze Sequenzen einbauen.

Wieso?
Ich organisiere hier in England seit längerem eine Clubnacht, bei der nur afrikanische Musik gespielt wird, nichts anderes. Am Anfang war das aber ein schwieriges Unterfangen, weil die Leute halt ihre Lieblingssongs aus Genres wie Hip Hop, R ’n’ B oder Dancehall hören wollten. Es brauchte ziemlichen Mut, zu sagen: Ich spiele ausschliesslich afrikanische Musik. Heute ist es eher so, dass sich die Leute zu beschweren anfangen, sobald du etwas anderes spielst, vielleicht mal was aus Jamaika. Im Stil von: «Wir haben Musik aus Sambia, aus Uganda, wir haben kenianischen Gengetone, wir haben Amapiano, Kizomba, Kuduro, Makossa – und du spielst Dancehall? Come on!» Wir sind an einem Punkt angekommen, an dem die Leute unterschiedliche Musik aus Afrika wirklich wertschätzen.

Es gab in den letzten Jahren immer wieder Genres aus Afrika, die in Westeuropa und den USA gehypt wurden, etwa Gqom aus Südafrika oder Kuduro aus Angola. Diese Musik wurde dem Publikum aber oft ohne Kontext präsentiert – das bekannteste Beispiel ist der US-DJ und Produzent Diplo, der solche Trends aufspürte und dem westlichen Publikum verkaufte.

Würden Sie sagen, dass sich hier ein Wechsel abzeichnet, etwa dank des aktuellen beispiellosen Aufstiegs der nigerianischen Musikindustrie?
Ich glaube, die Musikgeschichte bewegt sich immer zyklisch oder wellenförmig. So gab es eine Zeit, in der Musik aus Nordafrika, etwa der Rai, ganz gross war. Später war es der Rumba – all die kongolesischen Musiker:innen reisten nach Frankreich, um dort zu spielen. Es folgte eine südafrikanische Zeit und eine Zeit des Highlife und des Afrobeat mit Fela Kuti. Und jetzt ist gerade die Zeit Nigerias, während sich gleichzeitig der Amapiano von Südafrika durchschlägt.

Es hat sich also gar nichts verändert?
Doch, es gab in der Vergangenheit viel kulturelle Aneignung. Ein Beispiel sind der US-Rapper Jay-Z und sein Produzent Timbaland: Sie haben den ägyptischen Klassiker «Khosara» von Abdel Halim Hafez für ihren Track «Big Pimpin’» gesampelt und sich nie darum geschert, die Rechte dafür zu kriegen. Ähnlich lief es mit «Soul Makossa» von Manu Dibango, der von Michael Jackson und Rihanna gesampelt wurde. Wir haben nie wirklich daran gedacht, wo die Musik ursprünglich herkam. Heute ist das anders.

Ich denke, insbesondere Social Media haben hier sehr viel verändert: Die Künstler:innen haben einen Namen und ein Gesicht. Sie haben die Macht über ihre Musik und bringen sie in die Welt. Die Leute erfahren heute über Social Media, wer gross ist. Wenn du siehst, dass etwas Cooles in Nigeria passiert, dann willst du ein Teil der Geschichte sein. Und wenn Wizkid aus Nigeria nach England kommt und im ausverkauften O2-Stadion spielt, dann ist das auch Teil einer afrikanischen Geschichte, etwas, das du verstehen kannst.

Die nigerianischen Künstler Wizkid und Burna Boy haben kürzlich Grammys gewonnen – allerdings in der Kategorie «World Music». Ist dieser Begriff nicht problematisch, gar rassistisch, weil er alle nichtwestliche Musik als anders und exotisch definiert?
Die Kategorie «World Music» setzt die Musik und die Künstler:innen herab, nimmt sie nicht ernst, verschleiert die unterschiedlichen Entwicklungen und schmeisst alles in eine kleine Box. Ich sass in meinem Leben in vielen Vorständen und Jurys, und mein grösstes Problem war immer genau das: Du kannst nicht Angélique Kidjo und Burna Boy im gleichen Satz erwähnen! Die eine ist eine absolute Legende und Burna Boy … Er schaut vermutlich zu Angélique auf. Es ist, als würde man Michael Jackson und Chris Brown in dieselbe Kategorie packen. In meiner Show sind Künstler:innen von Aya Nakamura bis Wizkid zu hören. Wir feiern die Erfolge dieser Leute, die so unterschiedliche Musik machen, und die Welt wird verstehen, dass das nicht «World Music» ist. Es ist Musik, die vom «Motherland Africa» inspiriert ist.

Der «Afroboss»

DJ Edu (47) wuchs als Edwin Ochieno in Kenias Hauptstadt Nairobi auf. Nachdem er sich in seiner Heimat einen Namen als DJ gemacht hatte, zog Ochieno vor rund zwanzig Jahren nach London. Seit 2007 moderiert und gestaltet er auf BBC Radio 1Xtra die Sendung «Destination Africa» – laut dem Onlinemagazin «Quartz» die erste Radiosendung ausserhalb des afrikanischen Kontinents, die sich ganz der zeitgenössischen afrikanischen Musik verschrieben hat. DJ Edu, auch «Afroboss» genannt, legt weltweit an Partys auf, produziert Musik und wird regelmässig als Experte an Tagungen und Festivals eingeladen.