Affenpocken: Zum Impfen nach Kanada?

Nr. 33 –

Einmal mehr scheint die Schweiz auf den Ausbruch einer Infektionskrankheit nicht richtig vorbereitet. Es hapert bei der Kommunikation und beim Zugang zu Diagnose und Schutz für alle.

«Wie so oft, wenn es um Public Health geht, haben wir in der Schweiz ein Problem», sagt Benjamin Hampel. Der Infektiologe ist Koleiter des Checkpoints Zürich, Gesundheitszentrum für Männer, die Sex mit Männern haben, trans Menschen und andere queere Menschen. Der Checkpoint diagnostiziert und behandelt zurzeit etwa ein Viertel der Schweizer Affenpockenfälle. Länder wie die Niederlande hätten eine unmittelbar anwendbare Public-Health-Strategie für übertragbare Krankheiten, die eingedämmt werden sollten, sagt Hampel. In der Schweiz hingegen fange man bei jedem Krankheitsausbruch auf Feld eins an: Welche Schutz- und Behandlungsmassnahmen gibt es? Wer kann sich testen lassen? Wo? Und wer bezahlt das?

Das aktuelle Angebot von Checkpoint Zürich sei zwar sehr gut, ergänzt Roman Heggli. «Aber ich zum Beispiel wohne in Luzern, und da finde ich überhaupt keine Informationen, wo ich mich mit Symptomen testen lassen soll», sagt der Geschäftsleiter von Pink Cross, dem Schweizer Dachverband der schwulen und bisexuellen Männer. «Ich würde wohl mit Symptomen eine Stunde durch die Schweiz nach Zürich fahren. Völliger Unsinn.»

Weltweit haben sich bislang mehr als 37 000 Menschen mit dem Affenpockenvirus angesteckt, in der Schweiz sind es um die 400. Bereits Ende Juli hatte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) für den Krankheitsausbruch die gesundheitliche Notlage von internationaler Tragweite ausgerufen – die höchste Warnstufe. Weltweit gilt diese zurzeit gerade einmal für drei Krankheitsausbrüche: die Covid-19-Pandemie, Kinderlähmung (Polio) und eben neu die Affenpocken.

Behörden hüllen sich in Schweigen

Hierzulande wartet man allerdings vergeblich darauf, dass für die Erkrankung an Affenpocken die «besondere Lage» ausgerufen wird. Pink Cross will diesbezüglich demnächst beim Bund eine Petition einreichen, die Unterschriftensammlung läuft. Aktuell wird gegenüber der breiten Öffentlichkeit aber geschwiegen: Eine öffentliche Medienkonferenz des Bundesamts für Gesundheit (BAG) zum Thema gab es bis anhin nicht. Und während Innenminister Alain Berset rege zum Filmfestival Locarno twittert, wartet man auf eine Stellungnahme zu den Affenpocken vergebens. Nachdem nicht zuletzt während der Coronapandemie klar wurde, wie wichtig klare Kommunikation zu Gesundheitsthemen ist, bleibt schleierhaft, warum sich die Behörden in Schweigen hüllen.

Dass das BAG nicht offensiver kommuniziere, heisse natürlich nicht, dass im Hintergrund nichts laufe, meint Benjamin Hampel. Aber nicht zu kommunizieren, sei halt auch eine Nachricht: «Betroffene fühlen sich ignoriert und nicht ernst genommen», sagt er. «Die Älteren erinnern sich an die Anfänge der HIV-Pandemie in den Achtzigern.» Immerhin hat das BAG bereits früh gemeinsam mit der Aids-Hilfe Schweiz eine Kampagne zu den Affenpocken gestartet. Von Pink Cross über Checkpoint Zürich bis hin zu Verantwortlichen verschiedener HIV-Sprechstunden an Spitälern wird dies als positiv aufgefasst. «Denn die Aids-Hilfe hat sehr engen und guten Kontakt zur Community», sagt Marcel Stöckle, Infektiologe am Universitätsspital Basel. Der Name sei teils etwas irreführend, sagt er. Die Aids-Hilfe und ihre – häufig umbenannten – Lokalorganisationen befassen sich heute sehr breit mit sexueller Gesundheit.

Schmerzhafte Bläschen

Betroffen sind vom aktuellen Ausbruch vorwiegend Männer, die Sex mit Männern (MSM) haben. Übertragen wird das Virus hauptsächlich durch Hautkontakt. Die grosse Mehrheit der Ansteckungen wird mit sexuellem Kontakt in Verbindung gebracht, weshalb Fachleute vermuten, dass das Virus besonders einfach über die Schleimhäute – im Mund, an den Genitalien und am Anus – übertragen wird.

Hautläsionen können bei Erkrankten neben grippeähnlichen Symptomen wie Fieber, Gelenk- und Gliederschmerzen oder geschwollenen Lymphknoten auftauchen. Die meisten Infektionen verlaufen mild, allerdings können die Bläschen auf der Haut starke Schmerzen auslösen, speziell an Penis und Anus. Je nach betroffener Körperstelle können auch starke Schwellungen auftreten. Auch Hirnentzündungen durch das Affenpockenvirus sind bekannt.

Doch glücklicherweise sind diese schweren Fälle sehr selten: Die von der WOZ angefragten Universitätskliniken in Zürich, Basel oder Genf haben zurzeit jeweils weniger als zehn Affenpockenpatienten in stationärer Behandlung. Symptome wie grosse Schmerzen, die mit starken Medikamenten wie Morphium behandelt werden müssen, kommen aber bereits etwas häufiger vor. Beide Zahlen werden steigen, da die Infektionen sich häufen: «Mittlerweile kennen wir alle mehrere Männer in unserer Community, die mit dem Affenpockenvirus infiziert wurden», sagt Benjamin Hampel.

Vakzinbeschaffung verschlafen

Weiterhin kann man sich in der Schweiz nicht durch eine Impfung vor einer Affenpockenerkrankung schützen. Wie Swissmedic bestätigt, ist bei der Zulassungsbehörde für Medikamente bis anhin kein Gesuch des Impfstoffherstellers eingegangen. Die dänische Herstellerfirma Bavarian Nordic hat zudem kommuniziert, dass sie nur an Regierungen und in grösseren Mengen Affenpockenimpfstoff liefere. Ob und was hinter den Kulissen also trotzdem vom Bund mit der Firma ausgehandelt wird, bleibt unklar. Aufgrund der international grossen Nachfrage könnte es aber durchaus sein, dass die Schweizer Behörden verpasst haben, frühzeitig an den Impfstoff zu kommen.

«Dabei zeigt sich ganz klar, wie kapitalistisch unser Gesundheitssystem ist», sagt Benjamin Hampel. Man habe sich jahrelang darauf verlassen, dass einem die Pharmafirmen ihre Produkte verkaufen wollen. «In diesem System gibt es aber keine Sicherheit für Minderheiten, die speziellen gesundheitlichen Schutz brauchen, weil sie für den Verkäufer keine lukrativen Gruppen sind.»

Die Impfung – urprünglich gegen Pocken entwickelt, jetzt gegen Affenpocken eingesetzt – könne man zum Teil an Festivals oder in Clubs in England erhalten, auch ohne Wohnsitzbestätigung im jeweiligen Land, sagt Benjamin Hampel. Marcel Stöckle erwähnt gar die Möglichkeit einer Reise nach Montreal, wo sich aktuell impfen lassen kann, wer will. Ein unzumutbarer Zustand für die Schweiz mit ihrem teuren Gesundheitssystem. Es ist alles andere als sicher, dass man im Ausland dann tatsächlich einen Stich in den Arm kriegt – wenn man sich den Ausflug überhaupt leisten kann und die richtigen Dokumente für die Ein- und die Ausreise besitzt.

So zeigt sich ein weiterer Makel, der sich auch während der Coronapandemie offenbarte: Armut und Mehrfachdiskriminierung stellen ein signifikantes Gesundheitsrisiko dar. Aktuell bei den Affenpocken hätten etwa illegal arbeitende männliche und trans Sexarbeiter:innen ein hohes Ansteckungsrisiko, sagt Benjamin Hampel. Während niemand langfristig von Pockennarben entstellt sein will, kann dies bei Sexarbeiter:innen in eine existenzielle Notlage münden. Einmal mehr geht es bei der Bekämpfung dieser übertragbaren Infektionskrankheit also um den Schutz der Vulnerabelsten unserer Gesellschaft. «Doch leider hat die Schweiz bis heute nicht begriffen, wie wichtig die Prophylaxe ist», sagt Marcel Stöckle dazu. «Im Flicken sind wir zwar gut, aber nicht im Vorbeugen.»