Beyoncé: Dass sie so darf

Nr. 32 –

«Renaissance», das neue Album von Beyoncé, ist eine betörende und verspielte Tanzplatte über die Kraft der queeren und Schwarzen Clubkultur.

Sängerin Beyoncé sitzt auf einem glitzernden Hologrammpferd
Absolut gar nichts an «Renaissance» wirkt unüberlegt: Beyoncé auf einem glitzernden Hologrammpferd. Foto: Carlijn Jacobs, Sony Music

Beyoncé ist nicht unbedingt eine Figur, die für ihren Humor bekannt ist; so zum Scherzen aufgelegt wie auf «Renaissance» war sie noch nie. «America Has a Problem» liest sich ein Titel gegen Schluss des neuen Albums, und man denkt dabei vielleicht an ihre grossen Songs über das rassistische Amerika, «Formation» oder «Black Parade». Doch dann geht es darin vor allem um Sex; oder um Drogen (das zentrale Sample stammt aus einem Rapsong namens «Cocaine. America Has a Problem») – Körper und Begehren auf jeden Fall. Viel mehr als das sowie jede Menge Selbstliebe geben die vagen Worte nicht her. Doch wer jetzt denkt, hier zeige sich, wie oberflächlich die neuste Version von Beyoncé ist, hat den Witz nicht verstanden.

Um Probleme geht es auch sonst kaum auf «Renaissance». Es ist ein Album ohne eine einzige Ballade und frei von Melancholie – alles scheint hier einfach nur glamourös und geil: das befreiende Gefühl auf dem Dancefloor, die feuchten Körper, natürlich Beyoncé selber. Dazu spielen Tanzbeats aus diversen Ecken und Zeiten: House, Dancehall, Funk, Disco, Bounce oder Gqom. «Renaissance» ist auch eine sehr reflektierte Platte; in all den Samples, Zitaten und Kollaborationen, die Beyoncé innerhalb der sechzehn Songs auslegt, steckt ein Stück Geschichte Schwarzer und queerer Clubkultur: Sie handelt von Discoikonen wie Donna Summer, von House in Chicago, von Drag in New Yorker Ballrooms.

Diva auf dem Dancefloor

Sie habe das Land mit einer Pistole betreten, rappt Beyoncé im Song «Energy» in einer der raren düsteren Zeilen – «’cause them Karens just turned into terrorists». Karen, dieses Meme einer Borderline-Reaktionären aus der weissen Mittelschicht, die in offene Vernichtungslust kippt, gibt ein scharfes Bild für die drückende konservative Gegenrevolte in den USA ab. Diese richtet sich wesentlich und direkt gegen Körper, von Schwarzen, Queers oder Frauen, wie zuletzt mit der Aufhebung des Rechts auf Abtreibung durch den Obersten Gerichtshof. «America Has a Problem» – vielleicht sind damit gar diese Körper gemeint, und Beyoncé behauptet mit ihnen ein Bollwerk von Pride und Sexappeal.

Am pointiertesten tut sie das in «Cozy», mitgeschrieben von der trans Frau und DJ Honey Dijon, wo Beyoncé zu verführerisch glitzerndem Retrohouse singt, wie wohl sie sich in ihrer Haut fühle. Zwischen die Strophen schiebt sie ein Sample aus einem Video von einer Performance der Schwarzen trans Frau und TV-Berühmtheit Ts Madison, das diese nach der Ermordung von George Floyd ins Netz stellte: «Bitch, I’m Black».

Nach zwei Jahren Sand im Getriebe läuft die Popmaschine wieder, seit Jahresbeginn sind gleich mehrere bemerkenswerte Blockbusteralben erschienen. «Renaissance» überragt sie alle, zumal Beyoncé darin offenbar alles zu bündeln vermag, was diese jeweiligen Alben auszeichnet: die makellose Mechanik von The Weeknds «Dawn FM», das kuratorische Gespür von Rosalías «Motomami», die rhythmische und stilistische Virtuosität von Kendrick Lamars «Mr. Morale & the Big Steppers».

Da mutet es absurd an, wenn Beyoncé in einer knappen Erklärung zum neuen Album behauptet, sie wolle damit einen sicheren Ort kreieren, frei von Urteilen, Perfektionismus und übermässigem Hinterfragen. (Frecher noch, als sie auf dem Album einmal gar von ihrem Nine-to-five-Job singt.) Absolut gar nichts an «Renaissance» wirkt unperfekt oder unüberlegt, und man stelle sich nur mal die selbsterklärte Diva mit ihrer High-Fashion-Aura vor – die nicht einmal an ein Basketballspiel gehen kann, ohne das ganze Stadion in Aufregung zu versetzen –, wie sie irgendwo einfach so auf einen Dancefloor spaziert und sich in Ekstase tanzt. Nein, dieser Dancefloor ist ein Mythos – doch wie lebendig er wird, wenn eine ihn verkörpern kann wie Beyoncé.

Und verkörpern darf. Denn die schwerreiche, heterosexuelle cis Frau, die sowohl an der Vereidigung Barack Obamas wie auch mit Destiny’s Child an jener von George W. Bush gesungen hat, wird von der queeren Szene heiss geliebt. Beyoncé weiss das genau – und bezeichnet sich in einem Songtitel entsprechend als «Alien Superstar».

Am freizügigsten spielt sie diese Liebe in «Pure/Honey» aus, wo sie zum Schluss die exaltierte Stimme der Neunziger-Drag-Legende Moi Renee in Szene setzt und zum Einstieg Dragqueen Kevin Aviance und Rapper Kevin Jz Prodigy, wie sie knapp fünfzigmal das Wort «cunt» wiederholen. Beyoncé fügt sich geschmeidig in den versexten Vibe des Songs ein, stöhnt zweimal, bevor sie etwas sagt, und dann ist nicht klar, ob es ums Tanzen geht oder ums Vögeln: «Uh, you wanna feel my technique?» Der Housebeat dazu strahlt mit seiner agitierten Bassline und seinen satten Subbässen eine forsche Erotik aus.

Plötzlich wird alles hell, als der Song in einen glitzernden Discogroove aufbricht und Beyoncés Stimme, gerade noch opak schmachtend, in leichtfüssigem Soul davonfliegt. Faszinierend, welche musikalischen Welten und Namen sich in diesem Wunderland von einem Album versammeln, dessen Songs oft nahtlos verbunden sind, als wäre es ein DJ-Set. In «Cuff It» träumt sie davon, draussen in der Nacht etwas zu zerstören und sich zu verlieben, während Nile Rodgers seine Discogitarre federn lässt. In «All Up in Your Mind» wuchtet ein verzerrter, ausgefranster Trapbeat von Hyperpop-Produzent A. G. Cook, während Beyoncé virtuos mit Intensitäten und Timbres spielt und sich Versionen ihrer Stimme aneinanderschmiegen. In «Church Girl» rappt sie über Gospelsamples und im furiosen Finale von «Heated» über pumpendem Dancehall.

Und dann ist da der Auftritt von Grace Jones, Königin der Nacht. In ihren Memoiren schrieb Jones 2015, sie habe die Anfrage einer jungen Popsängerin für einen gemeinsamen Song abgelehnt. Den Trends solle sie folgen, habe man ihr gesagt, neue Hörer:innen erschliessen, klingen wie Rihanna, Lady Gaga oder Beyoncé – aber: «Ich kann nicht wie die sein, höchstens insofern, als sie alle sind wie ich.» Und nun also hat sie für Beyoncé ihre Meinung geändert. Die darf das.

«Direkt aus dem Dschungel»

Die Begegnung findet auf mächtigem Grund statt: Unter dem minimalistischen, karibisch verschobenen Beat vibriert einer dieser bodenlosen Bässe – eine Referenz an den Detroiter Technopionier Kevin Saunderson, der diese Technik des schwimmenden Untergrunds geprägt hat. «Move» heisst der Track: Das ist als Befehl gemeint, vorgetragen in biblisch-monumentaler Bildsprache. «Teilt euch wie das Rote Meer, wenn die Königin kommt!» – diese Zuschreibung muss unklar bleiben: Die Königin, ist das die grosse Ahnin oder ihre rechtmässige Erbin? Beyoncé führt in fordernd gerappten Zeilen an, die androgyne Stimme von Grace Jones spukt dazwischen, dunkel und betörend, bevor sie in scharfem, kühlem Flow übernimmt; dann wieder beide: «Wir kommen direkt aus dem Dschungel», bevor noch eine Dritte auftritt, das «girl in the back of the room», wie sie sich selber einführt, die nigerianische Sängerin Tems.

Ein Soloalbum von Beyoncé kam schon lange nicht mehr mit so wenig Bildmaterial aus wie «Renaissance». «Beyoncé» (2013) und «Lemonade» (2016), begleitet von albumlangen Experimentalfilmen, prägten das Format des Videoalbums. Zu «Renaissance» gibt es nicht einmal einen Videoclip, nur eine futuristische Spielerei auf dem Cover: Im Glitzerbikini sitzt Beyoncé auf einem Hologrammpferd, als Anspielung auf Bianca Jagger, die 1977 auf einem Pferd in die legendäre New Yorker Disco Studio 54 ritt. Doch all die Charaktere, die auf «Renaissance» in immer neu ausstaffierten Szenerien auftreten, und wie die Übergänge ausgeführt werden, als würde der Blick von einer zur nächsten Szene schweifen – das hat auch etwas Filmisches. Es zeugt von bestechendem Selbstbewusstsein, die Fantasie auf diesem Dancefloor frei tanzen zu lassen.

Beyoncé: Renaissance. Columbia. 2022