Im Affekt: Nazis stossen Debatte an

Nr. 20 –

Nazifeministinnen! Für einen skrupellosen Boulevard hätte das ja ein verlockender Stoff sein können – aber so weit dachte die «10 vor 10»-Redaktion nicht einmal, als sie ein Porträt des Westschweizer Frauenkollektivs Némésis ausstrahlte. «Das Kollektiv schwimmt gegen den Strom von verbreiteten feministischen Bewegungen», heisst es bereits in der Ansage wohlwollend über die Gruppe, die konsequent in den Fokus rücke, «dass Gewalt gegen Frauen und sexuelle Übergriffe vor allem auf Einwanderer zurückzuführen seien». Dann dürfen zwei junge Frauen ihre rassistische Message ausbreiten. Der Beitrag schliesst mit dem anerkennenden Kommentar der Fernsehjournalistin: «Gegenbewegungen wie Némésis, sie funktionieren häufig nur, wenn sie extrem sind. Die Debatte zumindest ist angestossen.»

Was soll das für eine Debatte sein? Ob sich all die komplizierten feministischen Fragen vielleicht doch einfach durch eine effektive Abschottung des Landes lösen liessen, wie es die SVP ja schon lange weiss? Wobei, SVP ist hier ja noch hart untertrieben: Wie der Nazifachmann des «SonntagsBlicks» mit ein bisschen Internetrecherche zusammengetragen hat, gibt es diverse Verbindungen zwischen den Némésis-Aktivistinnen und der militanten Neonaziszene. Die Gruppe ist ein Ableger des Originals aus Frankreich, das aus dem Umfeld der «Identitären Bewegung» stammt. Die Strategie: rechtsextremen Positionen – der Gründerin Alice Cordier geht es um die «Rettung der weissen Rasse» – das hässliche Skinhead-Gesicht zu nehmen und den Rechtsextremismus als jung, weiblich, gemässigt darzustellen.

Statt diese so erschreckend erfolgreiche Normalisierung zu thematisieren, lässt sich die «10 vor 10»-Redaktion ohne Not dafür einspannen. Ist es zu viel verlangt, dass eine gut besetzte Fernsehredaktion mit grosser Reichweite und hoher Glaubwürdigkeit solche Hintergründe kurz recherchiert, bevor sie einen Beitrag ausstrahlt? Nein, ist es nicht.

Auf den Social-Media-Kanälen von Némésis sind unterdessen viele Posts und Follower dazugekommen – und ein SS-Totenkopf ist verschwunden.