Ein Traum der Welt: Wo ist die Wirklichkeit?

Nr. 20 –

Annette Hug hat die philippinischen Wahlen nicht verdaut

Plötzlich war die Blase still. Obwohl alle Vorhersagen darauf hingedeutet hatten, kam das Wahlergebnis als Schock. Die Bilder von Riesendemos in Pink für Leni Robredo und begeisterte Berichte aus dem Wahlkampf drohten im Nichts zu versinken ob der einfachen Auskunft: Die Kampagne von Ferdinand «Bongbong» Marcos lief vor allem online, systematisch und in ganz anderen Blasen – mit viel mehr Geld. Und was noch schwerer wiegt: Das Versprechen von Kontinuität, Sicherheit und Ordnung hat einen Nerv getroffen. Es ist traumwandlerisch, nur davon zu sprechen, die Mehrheit sei verblendet und gekauft, der wahre Wille des Volkes unter Geplärr verborgen. Wo ist die Realität? Die wahre und die geteilte Wirklichkeit? So radikal stellt sich die Frage, nicht nur auf den Philippinen.

Etwas einfacher ist das Genderthema. Leni Robredo und ihr Team setzten mit der Farbe Pink auf ein Antimachoprogramm und damit auf die Hoffnung, dass eine stille Mehrheit vom amtierenden Präsidenten Rodrigo Duterte, seiner Kombination aus Sexismus und Brutalität, genug hat. Dass sie «Delikadeza» vermisst, was auf Filipino nicht nur Takt und Empfindsamkeit bedeutet, sondern auch ein Feingefühl bezeichnet, das tiefen Respekt für andere und das Gemeinwohl einschliesst. «Delikadeza» ist im philippinischen Alltag auf Schritt und Tritt zu spüren, sonst wäre das Land ob seiner Gegensätze schon lange im Chaos versunken. In Robredos Programm übersetzt sich das in die Vision einer sozialen, grünen und modernen Ökonomie, die vor allem auf kleine und mittlere Unternehmen setzt.

Duterte steht dagegen für die Allianz mit chinesischen Grossinvestoren und für militärische Lösungen sozialer Probleme. Marcos verspricht, die Politik seines Vorgängers fortzuführen. Man kann das auch als Backlash gegen eine Generation linksliberaler Frauen verstehen, die nach dem Sieg über die Marcos-Diktatur in einigen Bereichen das Recht des Stärkeren eingeschränkt haben. Nun hat aber die Demokratie seit jener Revolution von 1986 der Mehrheit der Bevölkerung keinen Aufschwung gebracht. Moralische Appelle und der Maternalismus vieler Damen aus gutem Hause reizen da schnell zu Häme. Zum Beispiel beim dritten, weit abgeschlagenen Kandidaten, dem irrlichternden Boxer Manny Pacquiao. Er sagte im Lauf seiner Kampagne maliziös: Wenn alle so gute Menschen wären wie Leni Robredo, dann würde er nicht antreten. Dass ein starker Mann den (anderen) Warlords und Kleptokraten zumindest gewisse Regeln aufzwingen müsse, ist ein häufig gehörtes Argument von Leuten, die Leni Robredo – oder das Fliegengewicht Pacquiao – nicht gewählt haben.

So dreht sich alles im Kreis: Weil sich jene, die das Recht mit Füssen treten, nur mit Härte zurückdrängen lassen, hoffen viele auf den Superboss, der sich dann seinerseits auch über das Recht stellt. Wobei ausgerechnet Bongbong Marcos keinen Ballermann darstellt, er wirkt auch mit über sechzig noch immer wie das verwöhnte Söhnchen des Diktatorenpaars Marcos, das er verherrlicht. Sein Machismo ist gepflegt. Gleich nach der Wahl hat er verkündet, dass Sara Duterte, Tochter seines Vorgängers, Bürgermeisterin einer Multimillionenstadt und neue Vizepräsidentin, das Amt der Bildungsministerin übernehmen werde. Begründung: Sie ist Mutter und liebt Kinder.

Annette Hug übersetzt philippinische Literatur ins Deutsche und war noch im Frühling 2015 so begeistert von den jungen Kultur- und KMU-Szenen Metro Manilas, dass sie mit einem fulminanten politischen und künstlerischen Aufbruch rechnete.